Inhaltsverzeichnis
1. Kaperung 3
2. Neuanfang 91
3. Kontakt unerwünscht 104
4. Unter Profis 138
5. Abenteuer 206
6. Auf dünnem Eis 266
7. Diplomat mit heißer Ware 287
8. Weiche Waffen gegen Karsai 384
9. Kanalarbeiten 394
10. In Widersprüchen 444
11. In der Falle 483
12. Nachspiel 558
Tran, der immer gut gelaunte Philipino, machte die beiden Boote als erster aus. Er wies mit ausgestreckter Hand in den leichten Dunst, der allseitig das Schiff umgab, streifte den Mundschutz ab und legte Farbeimer und Spritzpistole auf das Podest der Leiter. Er rief erst seinen Landsleuten ein paar Worte zu, danach auch Gerd und Luc. Luc Haanen arbeitete als Berufsanfänger in der Zentrale eines Versicherungskonzerns in Brüssel, Gerd Stellring war Student im höheren Semester an einer Universität in Deutschland. Stellring hatte sonst nie über sein Sehvermögen klagen müssen, aber er erkannte nichts. Das dampfende Meer verschwamm nicht weit vom Schiff entfernt mit einem Himmel, der nur in einem kleinen Ausschnitt direkt über dem Kopf blau erschien. Jenseits davon verlor die Farbe sich in unbestimmtes Grau. Wenn er den Blick nur wenig senkte, blickte er in trübe Schleier. Eine klare Linie als Horizont hatte sich seit der Abfahrt in Deira nicht gezeigt.
Sie waren schon zwei Tage auf einem Meer ohne jede Abwechslung unterwegs. Kein Fahrtwind machte sich bemerkbar, die Luft auf dem Schiff bot keinen Widerstand, so als bestehe sie aus weicher Watte. Die langsame Fahrt der “Stolzenfels” in Richtung Nord hob die Wirkung einer leichten Brise in gleicher Richtung auf. Kein Flugzeuge am Himmel, auch keine anderen Schiffe, weder auf parallelem noch auf Gegenkurs! Stellring nahm an, der Kapitän hatte aus Sorge vor unerwünschten Begegnungen einen von der direkten Route abweichenden Weg gewählt.
Hatte Tran doch endlich noch ein anderes Schiff gesehen? Auf der Brücke war anscheinend auch Jakob aufmerksam geworden, ein Kotzbrocken in der Funktion als Steuermann. Er war mit seinem Fernglas seitlich ans Geländer getreten und richtete es in die Richtung, die Tran gewiesen hatte. Auf die Entfernung für Stellring gerade noch erkennbar, schüttelte Jacob den kahlen Kopf. Vermutlich stieß er anlaßlos gewohnt unfreundliche Kommentare aus. Kurze Zeit darauf trat er durch die Tür wieder zurück zu seinen Gerätschaften hinter der Verglasung. Gerd Stellring ging ein paar Schritte in Richtung Vorderschiff. Er reckte den Hals und konnte sehen, der Mann sprach in ein Mikrophon. Über Bordlautsprecher plärrte als Durchsage an den Kapitän die Bitte um dringendes Erscheinen auf der Brücke.
Auch Stellrings Freund Luc hatte draußen jetzt etwas ausgemacht. Ein dunkler Punkt in einiger Entfernung, mehr könne er nicht erkennen. Falls das ein Schiff sei, wäre es noch weit entfernt, wenn nicht das, dann mit Sicherheit ein ziemlich kleines Boot für die Fahrt auf offener See. Tran hatte noch ein paar Worte mit seinen Landsleuten Noel und Joe gesprochen, jetzt wandte er sich wieder an die Europäer. Wenn Piraten mit einem Boot im Anmarsch seien, gehe die gemeinsame Reise vorzeitig zu Ende. Er könne nicht genau erkennen, ob zwei Boote sich näherten oder nur eines. Am Ende noch ein Abenteuer? Stellring sah Luc, den Freund aus Belgiens Hauptstadt fragend an. Natürlich hatten sie beide von Überfällen somalischer Piraten schon gehört. Sie waren auf dem Weg von einer längeren Tour quer durch Ostafrika zurück nach Hause. Nach dem Abschluß der Reise mit einem womöglich gefährlichen Abenteuer zur See stand ihnen nicht der Sinn. Angst hatte der Phlipino anscheinend nicht. Was er über Piraten in dieser Gegend wisse? Er fahre diese Strecke doch nicht zum ersten Mal. Tran gab nicht ohne Anzeichen von bescheidenem Stolz Kenntnisse dieser Gefahren preis. Er wisse Einiges aus Gesprächen mit Leuten, die selbst unangenehme Erfahrungen gesammelt hatten. Wenn man sich vernünftig verhalte, sei die Gefahr allerdings gering. Man liege maximal ein paar Wochen irgendwo in Küstennähe auf Reede bis Lösegeld geflossen sei. Die Reedereien hätten für solche Fälle ihre Versicherung. Dann werde die Fahrt fortgesetzt. Wenn ein Reeder Anstand zeige, werde die Besatzung für die Zeit der Gefangenschaft sogar bezahlt.
Wenn Tran und seine Landsleute nur mäßig beunruhigt waren, bestätigte sich, was Luc und sein Freund Stellring aus Berichten in den Medien wußten. Man erfuhr regelmäßig von Schiffsentführungen am Horn von Afrika, aber über Verluste an Menschenleben hörte man in aller Regel nichts. Die UNO hatte eine Flotte von Schutzschiffen unter dem Bezeichnung Atalanta eingesetzt. Das überwachte Seegebiet war groß, die Zahl der Schiffe wahrscheinlich nicht. Daß eines in der Nähe operierte, war nicht ausgeschlossen aber unwahrscheinlich. Stellring erkannte jetzt selbst den dunklen Fleck im Dunst. Noch war kein Geräusch zu hören. Der Lärm aus dem Motorenraum der MS “Stolzenfels” hätte auch ein noch weit entferntes Motorboot, wenn es denn eines war, leicht übertönt. Luc sah anscheinend schon mehr als nur den unbestimmten dunklen Gegenstand. Er sagte mit belegter Stimme:
“Mein lieber Gerd, du hast Dich beklagt, wir hätten bisher zu wenig Ungewöhnliches erlebt auf unserer Fahrt. Dein Wunsch wurde erhört, jetzt kurz vor Schluß kannst Du Dein Abenteuer haben.” Was vorher nur schemenhaft erschienen war, kam auf Sichtweite heran. Nicht ein einziges sondern zwei Boote näherten sich, ihrem Tempo nach geurteilt, stark motorisiert. Beide nicht größer als geschätzt zehn Meter lang, zweieinhalb Meter breit und ohne Sonnendach. Im Heck jeweils ein kleiner Steuerstand. Die Boote bestanden dem Anschein nach aus Holz. Stellring war Laie auf nautischem Gebiet. Er nahm an, solche Seefahrzeuge waren kaum geeignet für weite Fahrten aufs offene Meer. Der Steuermann Jacob hatte sie bei Abfahrt aus Beira in Mozambique informiert, das Schiff liefe seinen Nordkurs ziemlich weit abseits der Küste. Diese Boote würden trotz ihrer Schnelligkeit ziemlich lange brauchen bis zurück an Land.
Auf dem Boot, das am nächsten herangekommen war, hielten sich ein Mann am Steuer und und drei weitere Personen auf, Afrikaner ließ sich jetzt erkennen, Wie Schiffbrüchigen sahen sie nicht aus. Für ein Rettungsboot war das Fahrzeug auch zu stark motorisiert. Auf Stellring machte die Besatzung nicht den Eindruck von Piraten. Das zweite etwas kürzere Boot hatte in kleinem Abstand parallelen Kurs gehalten und drehte jetzt seitlich ab. “Sieben Mann insgesamt”, sagte Luc, seine Stimme klang belegt, “Wir sind hier acht.”
Sollten die Brüder uns unfreundliche gesinnt seien, würden sie längst irgendwelche Waffen schwenken, dachte Stellring. Nicht dergleichen geschah. Die vier winkten nicht unfreundlich zur Brücke hoch. Der Größte, das Steuerrad am Heck in einer Hand , machte mit der flach ausgestreckten anderen eine Bewegungen als tätschele er ein Pferd. Mit lauter Stimme schrie er ein paar Sätze zum Schiff herüber. Als keine Antwort kam, besann er sich und griff zu einem Megaphon. Keiner hatte vorher ein Wort verstanden, der Lärm von Boot und Schiff hatte die Stimme übertönt.
Luc sah seinen Freund mit hochgezogenen Augenbrauen an und Stellring verzog das Gesicht zu einer unsicheren Grimasse. Sie deuteten den Vorgang beide gleich: Der Brücke wurde die Aufforderung zum Stoppen angezeigt. Man befand sich auf hoher See und solle besser von Beidrehen sprechen, dachte Stellring. In einer ungewöhnlichen Situation ging ihm auch dieses mal wieder Überflüssiges durch den Sinn. Kein zweifel, die Bootsbesatzungen wollten an Bord. Ließ Hansen, der Kapitän, sich auf die Bitte ein? Das dumpfe Stampfen der Schiffsmaschine, das seit dem Auslaufen aus dem Hafen in Mozambique gleich geblieben war, hatte sich geändert. Die Tonlage war jetzt heller als vorher, auch die Vibration an Deck hatte sich verstärkt.
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