Hansen ließ sich auf den Besuch auf hoher See nicht ein, er hatte anscheinend die Maschine auf Höchstleistung gestellt und fuhr mit voller Kraft voraus. Der Abstand zu den Booten verringerte sich dadurch nicht, ganz im Gegenteil. Das seitlich ausgescherte kleinere Boot zeigte ein schneidiges Manöver. Auch hier ein Motorenton ähnlich einer Sirene: der Außenborder am Ende einer überlanger Schraubenwelle hob es zu drei Vierteln seiner Länge aus dem Wasser. Mit weiß schäumender Heckwelle jagte es längs an der„Stolzenfels“ vorbei. Es verließ kurz das Blickfeld der Anstrichtruppe an Bord der „Stolzenfels”und tauchte auf der rechten Schiffsseite wieder auf. Stellring registrierte die Erinnerung, an Steuerbord hieß das korrekt ausgedrückt auf See. Waghalsig knapp hatte das Boot vor dem Schiffsbug die Fahrlinie der “Stolzenfels ” gekreuzt. Der Abstand mußte halsbrecherisch klein gewesen, das Manöver einem Seemann waghalsig wenn nicht verrückt erschienen sein. Hansen und Jacob auf der Brücke mochten befürchtet haben, sie hätten das Boot gerammt, sagte er laut. Nicht befürchtet, eher gehofft, kommentierte Luc.
Vielleicht stand die Mutprobe als Zeichen für die Entschlossenheit, kampflos abweisen lasse man sich nicht. Stellring entdeckte bei der Vorbeifahrt im offenen Boot Gegenstände, die ihm die Annahme nahe legten. Trans Einschätzung war offensichtlich nicht aus der Luft gegriffen. Schießzeug hatte sich an Bord erkennen lassen, das die Jagdgewehre der Safari in Tansania aussehen ließ wie Spielzeug. Sie hatten, damals noch zu viert, gemeinsam Ranger auf dem Streifzug durch sein Reservat begleitet ehe die Mädchen vorab zum Rückflug aufgebrochen waren. Wenn Luc sich nicht getäuscht habe, sei auch aufgerollt eine Strickleiter im Boot gewesen. Stellring hatte keine Strickleiter gesehen, aber war sich mit Luc einig: anders als vorhin hatten die drei im zweiten Boot nicht den Eindruck neugieriger Fischer auf ihn gemacht.
Tran und die beiden anderen Philipinos zeigten kaum Gemütsbewegung. Nachdem Tran den frühen Alarm geschlagen hatte, waren sie dem Schauspiel anscheinend gleichmütig gefolgt. Waren sie sich im Voraus sicher was bevorstand? Stellring hielt es nicht mehr am Platz. Er sei gleich zurück, rief er Luc zu, er besuche jetzt sofort die Brücke. Mehr als ein Hinauswurf wurde dabei nicht riskiert. Die Beziehung zur Schiffsführung war schwer gestört, aber die Sache, die sich hier anbahnte, war kein Spaß. Er schuldete sich den Versuch, rechtzeitig zu erfahren, woran man war. Luc klappte seine Leiter zusammen, legte sie flach auf Deck neben den Farbeimer, die Stahlbürste und das Werkzeug zum Streichen und schloß sich Stellring an.
Die Zugangstür zur Brücke stand weit offen. Sie betraten den Kommandoraum, ohne auf Protest zu stoßen. Hansen wirkte blaß. Sein Steuermann Jacob war als Vertreter des erkrankten Maschinisten, zuständig auch für den Schiffsantrieb. Es schien, er hatte die unverschämte Grobheit der letzten Tage wenigstens ansatzweise abgelegt.
“Hatte immer gehofft, diese Erfahrung bliebe mir auf meiner letzten Fahrt erspart”, wandte der Kapitän sich den Beiden zu, in gesittetem Ton, als hätte es den großen Krach vor zwei Tagen zwischen ihnen nicht gegeben. Ohne die Bitte darum abzuwarten, reichte er Luc sein Glas.
“Schätze, mit dem Tempo der Boote nimmt es Ihr Schiff nicht auf”, sagte Luc zum Steuermann. Jacob verzog säuerlich das Gesicht. Eine neue Lage stellte sich gerade ein. Sinnlos, die kleinliche Hakelei fortzuführen! War Jacob schon klargeworden, man müsse ab jetzt zusammenstehen? Noch war das Wahrscheinliche nicht eingetreten.
Das Schnellboot an Steuerbord hatte die Fahrt gedrosselt und fuhr auf gleicher Höhe wie das Schiff. Die drei Mann Besatzung hatten Gewehre zur Hand genommen und schwenkten sie in der Luft. Einer hantierte zusätzlich mit einem dicken Tau. Luc hatte sich vorhin nicht getäuscht. Im Glas sah Stellring, daß es an einem Ende mit einer Strickleiter verbunden war. Am anderen Ende des Taues war ein leichter Bügel angebracht.
“Der Enterhaken liegt bereit”, sagte Stellring und gab das Glas zurück. Hansen setzte es selbst wieder an. Das Gesicht verzog sich als stieße ihm ein Brocken der letzten Mahlzeit sauer auf.
“Verflucht nochmal, Jacob, der Mensch hat recht.”
Unten wieder die Bewegung mit der flachen Hand wie vorhin beim Rudergänger des größeren der Boote, das sich weiter an der Backbordseite hielt. Die Geste ließ keinen Zweifel zu: eine Aufforderung an die MS “Stolzenfels” zum Stopp. Zweifel war ausgeschlossen, auf das Schiff wartete nicht angemeldeter Besuch. Der Kapitän stellte eine ratlose Betrachtung an:
“Jetzt zum Schluß noch so eine Schweinerei! Wir sind weiß Gott vorsichtig gewesen. Haben den Kurs geheim gehalten und seit dem Ablegen nicht einen Funkspruch abgesetzt. Trotzdem haben die Gangster uns aufgespürt.” Luc fand, die Gelegenheit eignete sich für eine Spitze. Er hatte mit beiden noch eine Rechnung offen:
“Nur keine Panik, Kapitän, wir sind ja für Sie da. Bis zum Beweis des Gegenteils sind die Leute nicht Gangster sondern auf Fischfang aus.“ Hansens Ärger mit den Beiden gleich nach dem Ablegen in Deira meldete sich zurück.
“Halt doch die Schnauze Menschenskind. Wir stehen knapp sechshundert Seemeilen querab zur Küste. Kleine Fischerboote treiben sich hier nicht herum. Die Hinterleute dieser Gangster haben per Satellit unsere Position bestimmt oder jemand hat einen Peilsender an Bord gebracht. So oder so, jetzt kommen auf uns Probleme und auf den Reeder Kosten zu. Bin nicht mal sicher, daß der Alte in Hamburg sich gegen Piraten abgesichert hat.” Er wandte sich an den Steuermann:
“Nicht schön für Ihre Karriere, Jacob. Mir tut der Ärger kaum noch weh, ich gehe in Pension.” Der Steuermann fühlte sich über Tröstungen erhaben und überging den Zuspruch seines Chefs.
“Wir rufen sobald möglich in Hamburg an. Anderes geht zunächst vor.” Hansen sagte, er sei gleich zurück, drehte sich um und ging. Drei Mann auf der Brücke waren unter sich. Hansens Glas lag auf dem Kompaßtisch. Luc nahm es zur Hand, sagte während er auf die Wasserfläche spähte:
“Gebe der Ordnung halber zu Protokoll, Herr Jacob, wir haben keinen Peilsender an Bord gebracht. Was gibt unsere Waffenkammer her?” Jacob ließ die Bemerkung unbeachtet. Vom größeren Boot her wurden Schüsse abgefeuert.
“Die Brüder meinen es tatsächlich ernst.“ Er Blickte die Freunde ratlos an.
„Bedaure Leute, Fehlanzeige! Abwehrgeschütze führt dieses Schiff nicht mit. Mir fehlt leider auch jede Erfahrung im Umgang mit Piraten.” Hatte der Steuermann seinen arroganten Ton so rasch abgelegt? Luc überzog:
“Vielleicht macht der Kapitän inzwischen die Torpedos klar.”
“Schon gut, Schluß jetzt mit dieser Spielerei. Wir sind erwachsene Leute. Ihr zwei habt für die Passage nicht bezahlt und seid nur infolge Protektion an Bord. Benehmt euch wie sich das gehört, spätestens jetzt wäre das angebracht. Allenfalls unsere Kombüse dient als Waffenkammer. Mehr als Küchenmesser stehen zur Gegenwehr nicht zur Verfügung. Gegen das Schießzeug da unten sind wir chancenlos.”
“Dann geben sie den Kerlen grünes Licht. Wenn Entern nicht zu verhindern ist, hat Widerstand keinen Sinn. Ich schlage vor, Sie laden die Leute zum Besuch an Bord.” Der Kapitän trat wieder ein:
“Der Reeder sagt, kein Risiko für Leib und Leben eingehen. Er gibt mir im Grundsatz freie Hand. Ich solle aber wissen, eine Versicherung zahlt bei Kaperung nur dann wenn versucht wurde, den Schaden soweit möglich zu begrenzen.” Jacob hatte mehr anscheinend nicht erwartet:
“Das ist alles? Hat gut reden der Mann, sitzt in seinem Büro in Hamburg und wir baden für ihn diese Sache aus.”
“Was sonst soll er aus der Distanz entscheiden? Sie sind der Kapitän”, sagte Stellring.
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