Draußen erklang wieder das Geräusch von Schüssen! Luc beobachtete weiter angespannt das Boot an Steuerbord:
“Sie schießen nicht mehr nur Kerzen sondern von unten aus nur ganz knapp über die Reling.”
Hansen ging zu ihm hinüber. Sagte, er habe vor dem Anruf in Hamburg einen Notruf abgesetzt und erwarte jeden Augenblick den Rückruf, ob und wann mit Hilfe zu rechnen sei. Auf jeden Fall müsse man müsse sich schützen, wie immer auch behelfsmäßig nur möglich. Jacob möge die Maschine abschalten, das Schiff liege dann erst einmal fest. So wie sie aussähen, setzten die Angreifer es ohne fremde Hilfe nicht wieder in Bewegung.
Es schien, der Kapitän hatte den ersten Schrecken überwunden. Er gab, noch immer in Gegenwart der Besucher auf der Brücke, Anweisung zum Bau einer Verschanzung. Der große Mannschaftsraum im Unterdeck werde schnellstens als Notbehelf zur Festung ausgebaut einschließlich einem Vorrat an Lebensmitteln und Getränken. Die Tore dort unten gäben nur unter Einsatz von schwerem Werkzeug nach. Zum Aufbrechen geeignetes Gerät werde versteckt oder gehe über Bord! Spätestens sobald geentert werde, ziehe die Besatzung sich in diesen Raum zurück. Ein paar Stunden bis Hilfe eintreffe, notfalls einige Tage halte man die Belagerung da drinnen aus. Jacob stelle bitte eigenhändig die Maschine ab, er selbst, Hansen, verlasse die Brücke erst zuletzt und bringe die Schlüssel und die schriftlichen Unterlagen in Sicherheit. Er habe sich zum Durchhalten entschlossen. Die Besatzung solle versichert sein, die Ganoven entgingen nach kurzer Freude über die freche Kaperung ihrer gerechten Strafe nicht. Markig gesprochen, dachte Stellring.
Man werde ohne Lüftung in einem abgeschlossenen Raum nicht lange Freude haben, wandte Jacob ein. Luc sprach Klartext und fragte nach Toiletten. Hansen musterte beide mit gleich unfreundlichem Blick und verwies auf später. Zur Zeit habe er einen besseren Vorschlag nicht parat. Sein Steuermann ging in Gedanken Alternativen durch, eine bessere Zuflucht fiel auch ihm nicht ein. Dem Alten ging es um den Nachweis, man habe Gegenwehr mindestens versucht. Die Aussicht auf Erfolg hing vom Eingreifen der Atalanta ab. Jedenfalls aber mußte schnell gehandelt werden.
Stellring und Luc Haanen verhehlten sich gegenseitig das flaue Gefühl im Magen nicht. Luc schloß die Sticheleien von vorher mit einem konstruktives Anerbieten ab: er und Stellring ständen Jacob für die Befestigung der Zuflucht zur Verfügung.
Der Ton zwischen Schiffsführung und den nicht zahlenden Passagieren hatte sich geändert. Stellring schien, als Folge der Bedrohung war ihre Wertschätzung beim Kapitän ein Stück gestiegen.
Hansen nahm sein Glas zur Hand und trat an Steuerbord ans Geländer hinter der Brückentür. Er winkte zum großen Boot hinüber und gab durch Zeichen zu verstehen, er komme der Aufforderung nach und nehme Fahrt zurück. Das Boot hatte sich auf Rufweite genähert. Die Waffen der Männer waren nicht mehr drohend aufs Schiff gerichtet sondern wieder lässig umgehängt.
“Wer sind Sie?” rief er in Richtung Boot. Der Eindruck der Schwäche, den er mit der Frage eingestehen mußte, war ihm klar. Man möge sich ihm bitte bekannt machen und sagen worum es ging, forderte Hansen die Bootsbesatzung auf. Stellte sich selbst als Kapitän seines Schiffes vor. Wenn man draußen in Seenot sei, sei er bereit zu helfen. Er bezweifelte kaum, man hielt ihn unten für naiv, aber er gewann Zeit. Er wandte sich Jacob zu: “Nimm langsam Fahrt zurück. Ich halte die Brüder hin.”
Der Wortführer am Steuerrad hatte ihn verstanden. Er sei Ibrahim. Die beiden Boote seien einem Sturm mit knapper Not entkommen, hätten einen Umweg nehmen müssen und brauchten dringend Wasser und Proviant. Er komme zu einem kurzen Besuch an Bord, wenn eine Strickleiter zur Hand sei, wäre ihm das recht.
Nicht nötig, daß er sich herauf bemühe, kam zurück. Auf der “Stolzenfels” sei man sich der Pflicht zur Hilfeleistung auf hoher See bewußt. Die Besatzung bereite umgehend einen Korb mit Verpflegung und einen großen Vorrat Wasser vor. Er und seine Leute auf ihren Booten würden sich nicht beklagen.
“Machen sie keine Umstände Kapitän, wir kommen jetzt an Bord”, kam vom Lärm der Außenborder fast verschluckt zurück. Noch lief auch die Schiffsmaschine, wenn auch nur mit halber Kraft.
Spielerisch, als geschehe es absichtslos, nahm Ibrahim das Gewehr von der Schulter und streichelte den Lauf. An Land wurde Ibrahim tags darauf zum Anführer der Wachmannschaft bestimmt. Das Schiff hatte Fahrt verloren, die Schrauben trieben es mit verminderter Geschwindigkeit voran. Jacob hatte den Bremsvorgang nicht übereilt. Die Maschine klang jetzt jetzt so wie am Hafenkai in Beira. Kein Antrieb mehr auf der Schraube, aber jedes größere Schiff braucht eine lange Auslaufstrecke bis es aus voller Fahrt zur Ruhe kommt.
Wenn man auf einer Visite so nachdrücklich bestehe, dann bitte sehr, aber nur ein Mann allein und unbewaffnet. Hansen erntete Gelächter und verspürte Zorn. Die Strauchdiebe fühlten sich anscheinend sicher und durchaus nicht in besonderen Eile. Er wußte vor einem Rückruf der Atalanta nicht, wann die angeforderte Hilfe zur Stelle war. Nur wenn die Besatzung der “Stolzenfels” viel Glück hatte, kreuzte rechtzeitig ein Schiff auf und setzte dem Spuk ein Ende.
“Nun mach schon Alter, soviel Gastfreundschaft muß sein.” Wieder lachte Ibrahim. In seinem Lachen lag Hohn. Er legte sein Gewehr an die Schulter und schoß in Richtung Heck. Das Geräusch diesmal anders als bei den Warnschüssen zuvor. Kurze harte Töne mischten sich zu einem Doppelklang mit Nachhall. Später stellte Jacob fest, die Projektile waren vorne ins Schornsteinblech geschlagen und rückseitig nicht wieder ausgetreten. Ein großflächiges Ziel, das nicht leicht zu verfehlen war, dachte Stellring. Das Scheppern blieb im Ohr. Luc erklärte später das häßliche Geräusch: nach dem Eintritt durch die Vorderseite des Schornstein hätte die Wucht der Projektile für das Durchschlagen der rückseitigen Wand nicht ausgereicht. Die verbliebene Wucht hatte das dünne Blech beim Anprall in Vibration versetzt.
“Ich warne Sie, mit Gewalt kommen Sie und ihre Leute hier nicht weit.” Ibrahim antwortete nicht gleich. Auch seine drei Begleiter nahmen Waffen zur Hand und legten an.
“Hängt die elenden Leitern raus oder wir geben gezieltes Feuer.” Hansen war über das Vorgehen von Piraten durch einen Vortrag vom Vorjahr im Verband Deutscher Reeder leidlich informiert. Betroffene hatten bei einer Schulung für verantwortliche Schiffsführer berichtet. Vor Mord und nicht provozierter Gewalttätigkeit an Mitgliedern der Besatzungen seien die Piraten immer zurückgeschreckt. Man hatte den Teilnehmern vor jeder Heldenpose abgeraten. Die Androhung von Gewalt zur Verteidigung sei aber nicht falsch, im Gegenteil. Jede Versicherung verlange einen halbwegs glaubhaften Nachweis von Widerstand gegen den Versuch einer Kaperung. Waren ein paar Einschußlöcher im Schornstein glaubwürdiger Widerstand genug wenn es in Zukunft um die Schadenregulierung ging? Wenn die Piraten das eigene Seilzeug benutzte, um an Bord zu kommen, würde das Mittel zur Androhung von Gegenwehr aus Messern bestehen, mit denen sich eine Strickleiter kappen ließ. Er würde keinem Mann seiner Besatzung raten, das zu tun. Sonstige Waffen führte sein Schiff aus gutem Grund nicht mit. Die Angreifer im Boot dagegen erwehrten sich jeder Behinderung leicht mit einem gezielten Schuß.
“Du hast es so gewollt, Idiot”, rief Ibrahim Hansen von unten zu. Alle vier Bootsfahrer hielten das Gewehr im Anschlag. Hansen zog sich ein Stück weit von der Reling zurück, gerade soweit, daß er das Boot noch sah. Er konnte erkennen, man zielte nicht auf ihn. Nacheinander schossen die vier Afrikaner je einen Feuerstoß gegen die Bordwand ein Stück weit oberhalb der Wasserlinie. Den Anfang hatte Ibrahim gemacht, forderte die beiden anderen dann auf, es ihm gleich zu tun. Die angespitzten Projektile trafen auf härteren Widerstand als das dünne Schornsteinblech vorhin. Fast gleichzeitig mit dem dem Abschußknall lösten sie beim Aufschlag dumpfes Dröhnen aus, verformten sich zu kleinen Platten aus Metall, die aufzischend ins Wasser fielen. Flache Beulen bildeten sich im Stahl der Außenhaut, die dick aufgetragene Farbschicht wurde abgesprengt. Auf einer Fläche nicht größer als ein Fingernagel zeigte sich blankes Metall, mehr Schaden richteten keines der Geschosse an.
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