“Das war knapp Kapitän. Was in der kurzen Zeit möglich war, haben wir vorbereitet. Hoffe, das Telephon funktioniert auch von hier unten aus.” Wenn Leute der Mannschaft um sie waren, sagte er “Kapitän”, sonst waren er und Jacob unter sich immer per “Du”. Hansen schnaufte mit einem bitterem Gefühl. Die anderen hatten ihre Schuldigkeit getan, aber ihr Kapitän hatte versagt. Er hatte den Piraten praktisch freie Fahrt verschafft. Die Hilfe eines Schutzschiffes der “Atalanta” war nicht in Sicht. Der Zugang zu Antrieb und Steuerung war kampflos preisgegeben. Er nahm sich vor, er würde Jacob darüber später ins Vertrauen ziehen.
Hansen hing seinen trüben Gedanken nach und antwortete nicht gleich. Stellring wechselte das Thema.
“Sie haben den Überfall doch schon gemeldet. Sagen Sie bitte, Kapitän, wann kommt die Uno uns mit einem Schiff zu Hilfe?“ Die Frage war legitim. Hansen hätte auch sie lieber übergangen aber auch Jacob sah ihn fragend an. Er sah keinen Grund zur Beschönigung der Lage. Eine Frist von zwanzig Stunden habe man ihm genannt.
“So lange reichen die Vorräte leicht aus.” Luc machte sich weiter hartnäckig Gedanken um die Entsorgung und ließ eine Bemerkung fallen, die allenfalls Hansen zugestanden hätte:
“Eines gleich vorab meine Herren: ich bitte jeden bei der Benutzung dieses Kübels um äußerste Zurückhaltung, wir haben hier unten über vierzig Grad.” Jacob spürte die Versuchung zu einer Tätlichkeit. Seine Selbstbeherrschung behielt die Oberhand. Mehr als eine grobe Zurechtweisung fiel ihm nicht ein: “Halt endlich die Schnauze Mann”. Der Verweis allein erschien ihm dann gleich danach zu schwach. Zu Stellring gewandt schob er mit erhobener Stimme nach: “Noch so ein Spruch, von Deinem Freund, und er fängt sich eine Tracht Prügel ein.” Er forderte mit erhobener Faust zur Ruhe auf. Luc gab sich den Anschein, die Bemerkung überhört zu haben. Die Freunde grinsten dem Steuermann herausfordernd ins Gesicht. Luc habe nichts Unrechtes gesagt, gab Stellring Hansen halblaut zurück und wandte sich dann mit gedämpfter Stimme an seinen Freund: Das reiche als Revanche aufs Erste aus. Bei Hitze von über vierzig Grad zusätzliche Spannung anzuheizen habe keinen Sinn.
Das Schiff werde auch ohne Schlüssel und Betriebsanleitung flott gemacht, flüstere Tran den beiden zu. Er habe das aus dem Gespräch von Seeleuten herausgehört. Die Piraten seien nicht nur Wüstenbewohner aus dem Hinterland. Man treffe studierte Leute in ihren Reihen an. Wer das Kurzschließen von Pkw beherrsche, der bekäme mit etwas Geduld auch den Motor und die Steuerung von Schiffen in den Griff. Stellring schenkte ihm keinen Glauben. “Bei ganz alten Schiffen vielleicht, aber doch nicht bei der “Stolzenfels”.
Während die Besatzung sich in die unbequeme Lage fand, betrat auch der Anführer des großen Kaperboots die Brücke. Er hatte Megaphon und Gewehr zurückgelassen. Ibrahim sprach ihn respektvoll mit dem Namen Achmad an. Seinem Auftreten nach geurteilt war er, nicht Ibrahim der erste Mann der laufenden Aktion. Ibrahim berichtete ihm was vorangegangen war. Das Schiff sei seinem Eindruck nach fahrbereit in ihrer Hand. Die Besatzung halte sich noch versteckt. Bisher habe die Suche nach ihr keinen Erfolg gehabt
Die Anzahl der Seeleute an Bord der “Stolzenfels” war Achmad und Ibrahim bekannt, auch daß die Besatzung sehr wahrscheinlich unbewaffnet war. Die Organisation der Somalier verfügte über zuverlässige Informanten in Deira und Daressalam.
Achmad übte am Ablauf wohlwollende Kritik. Später vertraute er Stellring an, die Kaperung war als Ibrahims Gesellenstück gedacht gewesen. Noch habe man die Besatzung nicht in seiner Gewalt, die Mission sei also nicht optimal verlaufen. Wenn Ibrahim sich aber nicht täusche und das Schiff war fahrbereit, dann wog dieser Vorteil den Schönheitsfehler bei Weitem auf.
Achmad ging seit einigen Jahren diesem Gewerbe nach. Daß es ein Kapitän nach Übernahme seines Schiffes dem unwillkommen Gast so leicht machte, kam selten vor. Es hatte sich längst herumgesprochen, ein Reeder erwartete von der Besatzung zumindest, daß sein Schiff Angreifern nicht fahrtüchtig in die Hände fiel. Wenn die Steuerung für Antrieb und Ruder noch intakt waren, ersparte das die Manipulation an einem Gewirr von Kabeln, von denen einzelne kurzzuschließen waren. Er wußte, die richtigen herauszufinden, fiel nie leicht. Die Schlüssel und Papiere samt den üblichen Codes wurden vor einer Kaperung immer in ein Versteck gebracht. Die Arbeit, ein besetztes Schiff gegen den Willen der Besatzung flott zu machen, zog sich in schwierigen Fällen über Stunden hin. Achmad galt seiner Organisation als Experte für heikle Operationen am Steuerpult. Dennoch verlor auch er viel Zeit ehe ein vorsätzlich blockiertes Schiff wieder Fahrt aufnahm. Achmad Rasul Dalmar ein studierter Mann. Er vermied Gewalt wo immer möglich. Nur wenn er zu langsam oder überhaupt nicht vorangekommen war, hatte er physischen Zwang auf eine Besatzung angewendet. Wenn Ibrahim sich nicht täuschte, blieb ihm jede Art von Gewaltanwendung bei der laufenden Aktion erspart. Das Schiff würde unverzüglich weiterlaufen, in Richtung auf einen sicheren Liegeplatz.
Achmad erteilte Anordnungen über den Fortgang der Aktion. Er übernehme das Kommando auf der Brücke selbst. Ibrahim breche zusammen mit zwei Mann sofort zur Suche auf. Es könne nicht schwierig sein, das Versteck zu finden. Gewaltanwendung nur bei bewaffneter Gegenwehr! Die Leute schmorten wahrscheinlich ohnehin irgendwo unten im eigenen Saft. Sollten sie sich eingeschlossen haben, hungere man sie aus, man habe genügend Zeit. Je später sie sich ergeben würden, umso leichter wären sie dann im Zustand der Entkräftung festgesetzt. Die Boote würden mit je zwei Mann besetzt. Sie hätten sich in der Kiellinie des Schiffes zu halten bis zum Ziel. Wann abgelöst werde, entscheide er.
Die Aufgaben waren verteilt, er war nach kurzer Zeit allein. Stellte fest, das Schiff machte inzwischen kaum noch Fahrt. Der mitgebrachte Schwung war nach aufgezehrt. Achmad schenkte Tee aus Hansens dampfender Kanne in eine Tasse aus dem halb leergeräumten Seitenschrank. Er durchsuchte den zweiten großen Schrank vergeblich nach Unterlagen. Seine Gastgeber hatten anscheinend Schiffspapiere und Unterlagen über die Ladung in ein Versteck gebracht oder vernichtet.
Achmad zog eine vorläufige Bilanz: Die Aktion war unter Ibrahims Führung trotz dieses einen Mangels gut gelaufen. Den Schiffen der „Atalanta“ Schutztruppe blieb zum Eingreifen keine Chance. Sie standen genügend weit ab, hatte die Zentrale ihm erst vor zwei Stunden mitgeteilt. Er schätzte, die “Stolzenfels” brauchte nicht länger als zwanzig Stunden bis zum neuen Ziel. Für die anstehenden Gespräche mit der Reederei wurde eine genaue Übersicht über die Schiffsladung gebraucht. Die Organisation war darüber nur grob informiert. Für die Verhandlung über die Höhe der Forderung reichten Schätzungen nicht aus. Seinen Leute blieb für diese Aufgabe genügend Zeit.
Das Verhalten der Besatzung gab zur Sorge nur wenig Anlaß. Er und seine Leute kannten dieses Spiel: Spätestens am zweiten Tag trieben Hitze und Gestank freiwillig Eingeschlossene aus dem Versteck. Er lachte in sich hinein. An das weniger wichtige gedacht aber das Nächstliegende, die Blockade des Schiffes übersehen! Schiffe dieser Größe besaßen immer ein kleines Büro für die Verbindungen zur Außenwelt und schriftliche Unterlagen. Ohne umfangreichen Schriftkram kam keine Schiffsführung mehr aus. Man würde diesen Raum leicht ausfindig machen, ebenso die Kapitänskajüte. Wenn er weiterhin Glück hatte, fanden sich dort Unterlagen mit Angaben zur Fracht. Ihm fiel ein, er schuldete seiner Zentrale jetzt eine Nachricht über bisherigen Verlauf und aktuellen Stand seiner Mission.
Achmad Rasul Dalmar überprüfte die Instrumente und Bordanzeigen. Er fand Ibrahims Angabe bestätigt, der Weiterfahrt stand nichts im Weg. Motor und Steuerung gehorchten ihrem neuen Herrn. Während das Schiff Fahrt aufnahm, griff er zum Telephon und rief seine Zentrale in Mogadischu an.
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