Kurzentschlossen zauberte ich ein freundliches Lächeln auf mein Gesicht, nickte dem Pfarrer zu und dirigierte Samuel dann mit sanftem Druck in eine der hinteren Bänke. Mir war klar, dass ich um des Friedens willen so viel Distanz zwischen Vater und Sohn bringen musste, wie es nur ging. Ich drehte mich zu Sam und stellte eine Frage, für die ich mich im gleichen Moment innerlich schalt. »Sollen wir lieber wieder gehen?«
Überraschung glomm in seinen Augen auf, aber dann schüttelte er verbissen den Kopf. »Nur über meine Leiche!«
Okay, das war deutlich. Ich nickte ergeben und verkniff mir das Augenrollen. Wenn Samuel glaubte, sich unbedingt selbst kasteien zu müssen, dann sollte es eben so sein. Die Kirche füllte sich zusehends und noch immer hielt er meine Hand. Ich war sicher, dass es heute auf all den Kaffeekränzchen nach der Messe kein anderes Thema geben würde als die Tatsache, das ich mit ihm hier war.
Ein leiser Glockenschlag ertönte und ich wandte meine Aufmerksamkeit dem Altar zu, von dem aus Pfarrer Wright jetzt die Gemeinde begrüßte und ein erstes Segenswort sprach. Ich bekreuzigte mich und versuchte mich auf den Gottesdienst zu konzentrieren. Im Verlauf der nächsten halben Stunde merkte ich jedoch, dass dies alles andere als einfach war. Praktisch jedes Mal, wenn die Rede von Vergebung oder auch Nächstenliebe war, schnaubte Samuel hörbar auf und ich begann mich zu fragen, ob ich sein Angebot der Begleitung nicht besser ausgeschlagen hätte.
»Heute möchte ich euch eine Geschichte erzählen, die einst unser Herr Jesus Christus seinen Jüngern zum Besten gab«, begann Pfarrer Wright schließlich seine Predigt, und mich überkam das seltsame Gefühl, dass sein Blick genau auf Sam und mir lag, als er nun mit lauter Stimme zu sprechen begann. »Ein Mann hatte zwei Söhne; und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Vater, gib mir den Teil des Vermögens, der mir zufällt! Und er teilte ihnen die Habe. Und nach nicht vielen Tagen brachte der jüngere Sohn auf und reiste in ein fernes Land, um sein Vermögen zu vergeuden. Als er aber alles verjubelt hatte, kam eine gewaltige Hungersnot über jenes Land, und er selbst fing an, Mangel zu leiden.«
Ich kannte die Geschichte vom verlorenen Sohn, und im gleichen Augenblick, in dem sich Samuel neben mir versteifte, begriff ich, dass der Pfarrer diese nur für ihn erzählte. Und wenn ich das verstand, so war diese Tatsache dem Rest der Gemeinde ebenfalls klar. Der Griff um meine Hand wurde immer fester und in einem Anflug von Mitleid riskierte ich einen Blick zur Seite.
Sams Gesicht hatte jegliche Farbe verloren und er rang sichtlich um Fassung, während der Pfarrer vorne immer weiter erzählte, bis er schließlich mit den Worten, »Und der Vater sprach zu seinem ersten Sohn, der ihm immer treu zur Seite gestanden hatte: Kind, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, ist dein. Doch jetzt lasse uns fröhlich sein, denn dieser dein Bruder war verloren und ist gefunden worden!«, endete.
Kaum, dass der Hall der Stimme seines Vaters verklungen war, ließ Samuel abrupt meine Hand los und erhob sich so hastig, dass das vor ihm auf der Bank liegende Gebetbuch krachend zu Boden fiel. Flammende Hitze schoss in meine Wangen, als sich nun die halbe Kirche herumdrehte und uns anstarrte. Wortlos drängte Sam sich an mir vorbei und verließ mit eiligen Schritten die Kirche.
Peinlich berührt saß ich da, und wusste für einen Moment nicht, was ich tun sollte. Doch als meine Augen auf den verzweifelten Blick von Mrs. Wright trafen, die nur mühsam die Tränen zurückhalten konnte, erhob ich mich ebenfalls. »Verzeihung«, murmelte ich leise, verließ mit gesenktem Kopf und heißen Wangen das Kirchenschiff und hastete hinter ihrem Sohn nach draußen.
Nach einigen Minuten des Suchens fand ich Sam im kleinen Garten hinter der Kirche, wo er auf einer kleinen Bank saß und den Kopf in seine Hände gestützt hatte. Ich ließ mich langsam neben ihm nieder.
»Was willst du, Deliah?«, murmelte er, ohne mich anzusehen.
»Ich ...«, hub ich an. »Ich wollte nur schauen, wie es dir geht.«
Sam lachte bitter auf. »Dem verlorenen Sohn geht es bestens. Geh wieder rein und hör dir weiter die verschissene Predigt meines Vaters an!«
»Er hat es doch nur gut gemeint!«, flüsterte ich und Sam fuhr hoch.
»Gut gemeint?«, spie er mir entgegen, baute sich vor mir auf und funkelte wütend auf mich herab. »Hörst du dir eigentlich selbst zu beim Reden? Alles, worum es meinem Vater geht, ist, mich zu demütigen, und dass ...«, er ballte seine Hand zur Faust, »ist ihm ja bestens gelungen!«
Ich hielt erschrocken die Luft an. Pfarrer Wright hatte Sam doch nur zurück in der Gemeinde begrüßen wollen, nachdem er so lange fortgewesen war! Wie konnte er seinem Vater etwas so bösartiges unterstellen?
»Saaaaaaaaam? Ist alles in Ordnung?«, erklang da zu meinem Entsetzen die nervtötende Stimme von Nora und keine Sekunde später bog sie auch schon um die Ecke. Samuels Gesicht verfinsterte sich, wenn das überhaupt möglich war, noch ein bisschen mehr.
»Ja, es ist alles bestens!«, erklärte Sam. »Ich hatte lediglich keine Lust mehr auf die Predigt meines Vaters.« Sein Blick flog zwischen mir und Nora hin und her, und dann blitzte etwas in seiner Miene auf, dass ich im ersten Moment nicht deuten konnte. »Allerdings hätte ich dafür auf etwas anderes Lust.« Er machte einen Schritt auf Nora zu. In einer harschen Bewegung presste er sie an sich und küsste sie hart auf den Mund.
Nora japste überrascht auf, wehrte sich aber nicht gegen den dreisten Überfall Sams. Aufreizend schmiegte sie sich in seine Umarmung und schien sich nicht im Geringsten daran zu stören, dass ich noch immer auf der Bank saß und mit weitaufgerissenen Augen auf die Szene, die sich mir bot, blickte.
»Was guckst du so?«, kam es schließlich knurrend von Sam und er schob die schweratmende Nora von sich fort. »Willst du mitkommen und zuschauen?«
Mir fehlten die Worte! Mit offenem Mund starrte ich ihn an, während sich ein finsteres Grinsen auf sein Gesicht legte. »Nein? Dachte ich mir!« Er packte Nora grob am Handgelenk. »Am besten gehst du wieder rein und betest für mein Seelenheil, während ich mich so lange damit beschäftigen werde, deine Freundin hier zu vögeln!«
Schneller, als ich darüber nachdenken konnte, hatte ich ausgeholt und ihm eine schallende Ohrfeige verpasst. »Du hast die Tränen deiner Mutter nicht einmal im Ansatz verdient!«, flüsterte ich. »Viel Spaß mit deinem Flittchen.« Mit diesen Worten wandte ich mich um und lief, so schnell ich konnte, aus dem Garten hinaus. Ich wollte, dass weder Sam noch Nora die Tränen sahen, die mir die Wange hinab liefen.
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