„Dank deiner Mieteinnahme und das Haus als Sicherheit stehen deine Chancen achtzig zu zwanzig. Und ich weiß, du wirst hier im Haus Befürworter haben.“ Grinsend zog er seine rechte Augenbraue in die Höhe.
„Was soll das denn heißen?“ Abrupt richtete sie sich wieder nach vorne und legte beide Hände auf die Tischplatte.
„Sarah, es ist alles gut. Richard und Daniel gaben mir zu verstehen, dass, wenn deine Bonität im grünen Bereich ist, wir dir diesen Kredit gewähren. Es handelt sich hier um Kleinkredite, und unsere Bank ist daran interessiert, auch die kleinen, mittelständischen Unternehmen und Gewerbetreibenden zu unterstützen und zu fördern.“
Erleichtert darüber, dass es nichts mit ihrer Person und ihrer Beziehung zu den Hochkamps, genauer gesagt mit Daniel, zu tun hatte, entspannte sie sich sogleich. Sarah wollte keine Almosen, es wäre das letzte, was sie bräuchte. Dennoch beschlich sie ein kleiner Zweifel. Wenn nun doch Daniel und Richard ihre Finger im Spiel hatten und ihr nur einen Gefallen tun wollten? Hatte Daniel etwa immer noch ein schlechtes Gewissen wegen ihres Zusammenpralls am Samstag? Es genügte doch, dass seine Großmutter im Laden aushalf! Ihr schwirrte der Kopf, zum einen von den vielen Zahlen und zum anderen über die Verfahrensweise. Sie hatte nichts Persönliches mit den Hochkamps zu tun und deshalb wollte sie, wie jeder andere Kunde auch, nicht bevorzugt behandelt werden. Und Abhängigkeit von anderen Menschen oder gar auf deren Mildtätigkeit angewiesen zu sein, gingen ihr ziemlich gegen den Strich. Wenn sie das Geld von der Bank erhielt, würde sie jeden einzelnen Cent zurückzahlen, auch wenn sie hierfür noch einen Nebenjob annehmen müsste. Woher sie allerdings die Zeit nehmen sollte, blieb ihr schleierhaft. Deshalb verdrängte sie jegliche Vorstellung daran.
„Gut, dann sag mir, wie es weiterläuft. Sicherlich benötigst du von mir noch einige Unterlagen.“
Tom nickte zustimmend und beförderte aus der obersten Schublade des Schreibtisches ein bedrucktes Blatt Papier, um es Sarah unter die Nase zu schieben.
„Hier ist aufgelistet, welche Unterlagen wir zur Beantragung des Kredites benötigen. Einen Nachweis deiner Mieteinnahmen, einen Grundbuchauszug, einen Kostenvoranschlag, eine Aufstellung deiner Vermögensverhältnisse, Bilanzen, etc. Gib mir Bescheid, wenn du alles beisammen hast, dann treffen wir uns wieder und beantragen den Kredit.“
„Verstanden. Klingt ziemlich unkompliziert. Und wie lange dauert es, bis er bewilligt ist?“ Erwartungsvoll blickte sie zu Tom.
„Ich denke vierzehn Tage, länger nicht. Ich würde mich sofort bei dir melden, sobald die Zusage vorliegt.“
Sarah fiel ein Stein vom Herzen. Sie sprang förmlich von ihrem Stuhl hoch, der beinahe umgekippt wäre, und rannte flink um den Schreibtisch und schloss die Arme um Tom.
„Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie erleichtert und dankbar ich dir bin.“ Froh über den Verlauf der Dinge schmatzte sie ihm einen dicken Kuss auf jede Wange.
Tom, der von ihrem Ausbruch völlig überrascht wurde, schaute perplex in ihre Augen.
„Schon gut, Sarah. Ich freue mich auch, dass wir dir helfen können. Wir verbleiben wie besprochen und du meldest dich umgehend. Wirst sehen, deine Heizungsanlage ist schneller wieder in Ordnung als du denkst, und dann brauchst du nicht mehr in deiner Wohnung frieren. Und wir auch nicht“, gab er mit zwinkerndem Auge zu. Froh darüber, dass die Leitnerbank auch ihr finanzielle Unterstützung verschaffen würde, löste Tom die Umarmung und ging zum Garderobenständer, um Sarahs Kleidung zu holen.
„Sei mir nicht böse, dass ich dich schon rauswerfen muss, aber ich habe noch einen Termin. Schließlich möchte ich pünktlich Feierabend machen. Wir sehen uns dann morgen Abend bei den Hochkamps.“
Er half Sarah in den dicken Wintermantel und reichte ihr Mütze und Schal. Dabei spürte er ein leichtes Zucken, das Sarahs Körper durchfuhr, als er den morgigen Abend erwähnte. Bevor sie ihm klarmachen konnte, dass ihr etwas dazwischen gekommen sei, stand plötzlich Richard im Raum. Er lehnte mit verschränkten Armen am Türrahmen und beobachtete schmunzelnd die Freunde.
„Hallo Sarah.“ Dann blickte er fragend zu Tom. „Wie schaut`s? Hat alles geklappt?“
Leicht befangen stellte Tom sich neben Sarah und blickte seinen Chef leicht verunsichert an. „Alles bestens, mit dem Kredit sollte es klappen. Sarah stellt alle Unterlagen zusammen und dann nehmen wir den Darlehensantrag auf. Spätestens Anfang nächstes Jahr kann sie ihre Heizung in Ordnung bringen lassen.“
Mit einem zuversichtlichen Lächeln musterte Richard Sarah.
„Gut.“ Mit dieser knappen Antwort trat er Sarah gegenüber. „Dann bis morgen. Ich freu mich.“
Zum Abschied schüttelte er ihre kleine Hand, erwartete aber anscheinend keine Antwort ihrerseits, sondern wandte sich bereits Tom zu.
„Tom, bist du soweit? Unser nächster Termin wartet.“ Damit verließ er den Raum so unauffällig wie er ihn betreten hatte.
Toms Augen folgten seinem Chef einen Moment zu lang, sodass es neugierig aus Sarahs Mund platzte. „Was war das denn? Tom! Richard Hochkamp machte bisher einen sehr kompetenten und freundlichen Eindruck auf mich. Aber eben hat er eine dominante Seite herausgekehrt, die ich ihm nicht zugetraut hätte. Ist er als Chef immer so furchteinflößend?“ Beeindruckt von Richards Auftritt schaute sie gespannt auf ihren Freund.
Tom schob Sarah aus seinem Büro, den Flur entlang, in Richtung Filialraum.
„Sarah, da täuschst du dich. Er ist der netteste Mann, ich meine Chef, den ich kenne!“
Mit zusammengekniffenen Augen sah sie ihren Freund von der Seite an und blieb stehen. Sie hielt ihn am Arm fest, sodass er ihrem Blick nicht ausweichen konnte.
„Aber das sah mir wirklich nicht wie nett aus. Der Mann hat voll den Boss herausgekehrt!“
Verwundert über Toms Gelassenheit ließ sie von ihm ab und runzelte die Stirn. Was war das denn? Tom wirkte in der Gegenwart seines Chefs richtig eingeschüchtert. Hatte er denn so viel Respekt vor ihm? Das sah aber letzten Freitag im Pub noch ganz anders aus. Sarah beließ es vorerst dabei und entschied für sich, dass Richards Verhalten darauf schließen ließ, dass die Männer hier im Job waren und ein korrektes Verhalten an den Tag legen mussten.
Als sie an einen der offenen Büroräume vorüber gingen, blieb Sarahs Blick für einen kurzen Moment an dem Anblick hängen, welcher sich ihr unerwartet bot. Melanie Hansen und Daniel Hochkamp!
Sarah verharrte kurzzeitig. Ihr Atem stockte, als sie diese Szene in sich aufnahm.
Daniel saß mit einem zufriedenen Lächeln an einem Schreibtisch und widmete seine Aufmerksamkeit einem Monitor. Dicht neben ihm auf der Tischplatte thronte Melanie Hansen, ein Bein über das andere geschlagen, mit einem bezaubernden Blick auf Daniel gerichtet. Sie trug ein elegantes graumeliertes Kostüm, dessen Rock oberhalb ihrer Knie gerutscht war und ihre schlanken Beine, die mit hauchfeinen Strümpfen überzogen waren, perfekt zur Geltung brachte. Das Kostüm hätte eines von Prada sein können, aber da kannte Sarah sich nicht gut genug aus. Ihr Makeup war ebenfalls vollkommen, dass man nicht vermutete, dass sie geschminkt war. Ihre Lippen trugen einen dezenten roten Lippenstift, was ihre Sinnlichkeit betonte. Sie glänzte vor Schönheit und Selbstbewusstsein. Und die Art, wie sie Daniel und nicht den Monitor fixierte, entsprach genau der, die die Männer mochten und dahinschmelzen ließen.
Nach dem anfänglichen Schock fasste Sarah sich schnell wieder und beschleunigte ihren Schritt. Sie hatte es auf einmal sehr eilig, die Bankfiliale zu verlassen. Tom bemühte sich, an ihren Fersen zu bleiben. Wahrscheinlich war ihm entgangen, was Sarah soeben gesehen hatte. Als er sie schließlich doch an der Eingangstür erreichte, fasste er Sarahs Arm und stoppte ihre Flucht nach draußen.
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