„Mir geht es gut. Was ist mit Ihnen? Haben Sie sich verletzt?“, fragte er mit mürrischer Stimme.
Sarah schüttelte heftig den Kopf, sodass er noch näher rückte und sie fast schon seinen warmen Atem an ihrer Wange spürte.
„Zeigen Sie mal bitte! Tut der Fuß weh?“ Seine Stimme klang nun doch etwas fürsorglicher.
Abermals schüttelte Sarah den Kopf. „Nein. Es ist nichts weiter passiert.“ Doch ihre Stimme versagte, sie schluckte die aufkommenden Tränen hinunter. Verdammt! Hätte sie nicht besser aufpassen können! Warum musste das unbedingt ihr passieren? Und zudem noch mit Daniel Hochkamp! Es gab hundert andere Männer auf diesem verdammten Berg, aber nein, ausgerechnet mit ihm passierte ihr dieses Missgeschick!
„Sarah? Mit offensichtlich echter Überraschung schaute er zu ihr hinab und drehte ihren Kopf behutsam zu sich herum. Mit der freien Hand schob er Sarahs Brille hoch, seine Augen blickten perplex in die ihren. Sofort breiteten sich Sorgenfalten auf seiner Stirn aus.
„Das habe ich nicht gewollt. Aber ich habe dich nicht gesehen und hinter der Kurve warst du direkt auf meiner Spur. Ich hatte keine Chance mehr, auszuweichen.“
Sein Ton war auf einmal viel sanfter und echte Besorgnis lag darin. Er strich eine lose Haarsträhne aus ihrem Gesicht und berührte dabei ganz zärtlich ihre Wange. „Es tut mir leid“, hauchte er an ihren Kopf.
Sarah zuckte leicht unter dieser Berührung zusammen, als hätte sie sich an ihm verbrannt, solche Hitze strahlte er ihr entgegen. Abermals spürte sie das Kribbeln am Körper und zog kaum sichtbar ihre Beine zusammen.
Was tat er da? Was passierte mit ihr? Wie am Abend zuvor brauste urplötzlich ein Gefühlssturm in ihr los, den sie nicht verhindern konnte. Es war erschreckend und angenehm zugleich. Konnte ein Mensch solch eine Wirkung auf einen anderen ausüben, und das bei einer einzigen flüchtigen Berührung? Sarah wusste es nicht, so etwas war ihr noch nie zuvor im Leben widerfahren. Trotzdem durfte sie sich nicht von diesem atemberaubend schönen Mann aus der Fassung bringen lassen. Schließlich war er bereits liiert, ermahnte sie sich.
„Nein, muss es nicht. Es war ganz allein meine Schuld. Ich hätte besser achtgeben müssen“, stammelte sie verlegen, den Blick auf seinen verführerischen Mund gerichtet. „Mir ist nichts passiert. Sie können aber weiterfahren. Ich komme schon allein zurecht.“
Ein Schmunzeln trat um seine vollen Lippen und verwirrte sie noch mehr. Eben war er noch stinksauer und nun lächelte er sie an.
„Sarah, gestern Abend waren wir alle beim du.“ Er schaute auf ihre Hand, die über den linken Fuß strich. „Hast du Schmerzen? Lass mal bitte sehen!“, forderte er sie auf, jeden Widerspruch von sich weisend. Da sie nicht sofort reagierte, nahm er behutsam ihren verletzten Fuß in die Hand und berührte dabei die ihre. Er ließ seine Hand für einen kurzen Augenblick auf ihrer ruhen und schaute sie fasziniert mit seinem durchdringenden und für Sarah nicht zu deutenden Blick an. „Sarah“, kam es ihm noch einmal über die Lippen.
Wie er ihren Namen aussprach, ließ Schmetterlinge in ihrem Bauch tanzen. Sie sah in den Tiefen seiner Augen ein Lodern, das Lawinen hätte ins Rollen bringen können. Das Knistern zwischen ihren Körpern entfachte beinahe ein Feuer in Sarah, das so heiß war, dass sie schon glaubte, der Schnee unter ihrem Körper würde schmelzen. Insgeheim hoffte sie, dass die Schmetterlinge in ihrem Bauch sich endlich beruhigen würden, bevor sie gänzlich mit ihr abhoben.
Plötzlich fiel eine Schneewolke über sie. Abrupt blieben drei weitere Skifahrer neben ihnen stehen.
„Can I help you?“, fragte eine junge Frau im giftgrünen Schneeanzug. Sie beugte sich hinunter und schaute auf den verletzten Fuß.
Erschrocken löste Sarah sich von Daniel und blickte zu der Frau über ihrem Kopf.
„No sorry. She is fine. Everything is all right. Thank you very much“, antwortete Daniel an Sarahs Stelle.
Die Frau setzte ihre Skibrille wieder auf, zuckte mit den Schultern und fuhr grüßend mit den anderen davon.
Die elektrisch aufgeladene Stimmung war dahin und Sarah nutzte die Chance, um aufzustehen.
Daniel, dem sofort ihre Absicht klar wurde, stützte sie am Arm. „Moment, ich helfe dir.“
Vorsichtig kam Sarah mit Daniels Hilfe auf die Beine und versuchte, ihren linken Fuß zu belasten. Sie spürte ein leichtes Ziehen im Knöchel, nahm trotzdem die Stöcke zur Hand und setzte die Brille auf, um sich vor seinen hygroskopischen Blicken zu verstecken.
„Es geht schon. Du kannst ruhig weiter fahren. Ist nicht so schlimm, wie es aussieht. Trotzdem danke“, gab sie gelinde zurück und biss sich auf die Unterlippe.
„Komm, ich lass dich nicht alleine da runter“, widersprach Daniel und nahm sie bei der Hand.
„Was hast du vor?“, fragte sie irritiert.
„Stell dich einfach in Fahrtrichtung. Ich bring dich sicher runter. Den Rest überlass einfach mir. Und Sarah, entspann dich. Dir wird nichts passieren, was du nicht willst.“ Seine Augen funkelten sie an.
Wie bitte? Die Zweideutigkeit seiner Worte ließ ihren Puls höher schlagen. Was tat er da, was sollte das? Machte er sie hier mitten auf der Piste an? Oder reagierte sie nur über und entnahm zwischen den Zeilen mehr, als er beabsichtigte, zu sagen? Sie sah sein anzügliches Lächeln und Röte schoss in ihre Wangen.
Jeder Widerstand schien zwecklos, deshalb nahm sie wie befohlen die Startposition ein. Keine Sekunde später fühlte sie Daniels starke Hände an ihren Hüften. „Bereit?“, fragte er, ohne eine Antwort abzuwarten, und setzte sich mit ihr in Bewegung.
Sarah konnte sich kaum auf die Abfahrt konzentrieren, so nervös war sie. Vergessen waren der Sturz und der Schmerz in ihrem Fuß. Sie spürte nur noch seine Nähe und den starken Druck seiner Hände an ihrem Körper. Aber keineswegs war ihr diese Berührung unangenehm. Im Gegenteil! Wieder nahmen ihre Gedanken eine andere Richtung. Wie würde es sich anfühlen, an einem anderen Ort mit diesem Mann…? Herr Gott, wieso hatte sie das Gefühl, dass ihr Körper in seiner Nähe ihr physisch und mental einen Streich spielte? Sie musste aufhören und sich konzentrieren und zwar auf genau diese Abfahrt. Zum Glück war der Schmerz in ihrem Fuß halbwegs erträglich.
Links und rechts von ihnen rauschten die schneebedeckten Bäume vorüber, doch Sarah hatte keinen Blick für die schöne weiße Winterlandschaft um sie herum.
„Gut so? Wir haben es bald geschafft. Da vorne siehst du schon die Straße und die Talstation“, verkündete Daniel.
„Ja, alles okay“, antwortete Sarah kopfnickend. Ein wenig enttäuscht stellte sie fest, dass das Ziel in greifbarer Nähe lag und sie binnen weniger Minuten das Tal erreichten. Sarah hätte ewig so weiter fahren können, in Daniels Armen.
Ups, wieder schweiften ihre Gedanken ab und ließen sie erschauern. Sarah atmete tief durch und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf das Geschehen vor ihren Augen. Augenblicklich dachte sie an die Freunde. Hatten sie sie bereits überholt und nichts von ihrem Sturz bemerkt? Einerseits war das gut so, weil sie auf die witzigen Kommentare verzichten konnte. Andererseits würden sie sich wundern, wenn sie mit Daniel so zusammen ins Ziel gefahren kam.
Und mit wem war eigentlich Daniel hier? Mit Melanie Hansen? Abrupt versteifte sie sich, doch Daniel packte sofort fester zu, sonst wäre sie noch einmal gestürzt.
Im Tal warteten bereits Jessica, Mark und Tom mit einem heißen Becher Glühwein in der Hand. Sie schienen nervös auf Sarahs heile Ankunft hoffend. Ursprünglich hätte Sarah vor ihnen im Ziel ankommen müssen. Da die drei jedoch eine andere Piste, als anfangs geplant war, gewählt hatten, wussten sie nicht, ob Sarah längst unten oder irgendwo auf der Strecke liegen geblieben war. In der Skihütte war sie jedenfalls noch nicht.
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