1 ...8 9 10 12 13 14 ...34 Als die Türglocke bimmelte, schrak Sarah aus ihren trüben Gedanken. Mehrere Kunden kamen bis zur Mittagszeit in den Laden und sahen sich nach Büchern um. Hier und da verkaufte sie verschiedene Exemplare, beriet ihre Kunden oder bestellte nicht vorrätige Bücher online. Zeit zum Verweilen blieb ihr nicht. Schließlich verging der Vormittag wie im Fluge und Sarah schloss pünktlich zur Mittagszeit den Buchladen ab. Geschafft! Endlich fand sie ein paar Minuten zum Verschnaufen. Sie hatte jede Menge zu tun gehabt, da am Wochenende die meisten Leute die Zeit zum Einkaufen fanden. Schließlich stand Weihnachten vor der Tür und ein Buch als Geschenk war in diesen Tagen mehr denn je gefragt.
Der Tag wurde hinsichtlich ihrer körperlichen Verfassung besser und ihr Kater von der gestrigen Kneipennacht verzog sich.
Kneipennacht, herrje! Die Erinnerungen an den Abend schossen ihr urplötzlich wieder ins Gedächtnis. Ihr erster Gedanke galt dem Mann, der sie allein mit seiner Anwesenheit so durcheinander gebracht hatte. Ob sie ihn jemals wiedersehen würde? Sarah wollte sich keinen falschen Illusionen hingeben. Es würde nichts bringen, Daniel Hochkamp war ja bereits liiert. Schlagartig war ihre gute Laune über den erfolgreichen Vormittag wie weggeblasen.
Und dann kam ihr die Verabredung mit den Freunden auf der Skipiste in den Sinn. Wie konnte sie sich nur so von ihnen einlullen und sich zu dieser Aktion überreden lassen? Immer wieder gelang es ihren Freunden, Sarahs Widerstand zu brechen und sie zu irgendwelchen Aktionen mitzureißen. Aber versprochen war nun mal versprochen, daran hielt sie sich.
Bei weihnachtlicher Musik, die im Radio dudelte, räumte Sarah den Laden auf und ging dann ohne Eile über den Treppenaufgang im Haus in ihre kleine Dachwohnung. Oben angekommen verspürte sie, wie ihr Magen sich zu Wort meldete und beschwerte, weil er noch keinen Happen zu essen bekommen hatte, sondern nur Flüssignahrung in Form von Kamillentee. Das musste sie schleunigst ändern. Flink holte sie ein paar Eier und Speck aus dem Kühlschrank und erhitzte die Pfanne auf dem Herd. Sie briet den Speck, gab die Eier dazu und würzte großzügig mit Pfeffer und Salz. Es dauerte nicht lange und die Rühreier waren fertig, die Sarah binnen weniger Minuten mit gesundem Appetit verschlang. Erst jetzt bemerkte sie, wie hungrig sie wirklich war.
Gesättigt von dem schnellen, aber für ihr Kochtalent sehr leckeren Gericht, schob sie das schmutzige Geschirr in den Geschirrspüler und machte kehrt in Richtung Schlafzimmer. Sie verspürte keinen Drang, heute überhaupt noch das Haus zu verlassen, geschweige denn sich mit den Freunden auf der Piste zu treffen, um waghalsige Abfahrten zu unternehmen. Am liebsten würde sie faul auf ihrer Couch mit einem Buch liegen und einfach nur chillen. Die Nachwehen des Abends steckten noch immer in ihren Gliedern, sie fühlte sich ziemlich schlapp und übermüdet.
Widerstrebend griff Sarah nach der weißen Skihose und Jacke in ihrem Kleiderschrank und presste sich in die Hose rein.
Letzten Winter hatte ihr Jessica diese Sachen überlassen, weil es für Jessica nach einem Jahr Zeit war, sich in Sachen Skimoden den aktuellen Trends anzupassen. Zweimal im Jahr war es für ihre Freundin Pflichtprogramm, ihr Riesenteil von Kleiderschrank auszusortieren, um Platz für die neusten Trendklamotten zu schaffen. Sarah war die Auserkorene, die Jessica beim Shopping-Marathon begleiten durfte. Meist suchte Jessica hierfür einen verkaufsoffenen Sonntag aus, sodass Sarah sich nicht mit der Ausrede drücken konnte, immerfort arbeiten zu müssen. An solchen Tagen war Sarah der festen Überzeugung, dass alles reine Verschwendung war, aber Jessica ließ sich nicht beirren, sie liebte diese Shoppingtouren.
Mit Müh und Not schloss sie den Reißverschluss ihrer Hose und fühlte sich wie eine Presswurst in diesem Teil. Jessica war viel schlanker und größer, sodass Sarahs Hände und Füße in diesen Teilen kaum zum Vorschein kamen. Zu guter Letzt nahm sie die monströsen Skischuhe, die Skibrille und die Handschuhe aus dem Schuhschrank und machte sich auf den Weg in den Kellerraum, um Skier und Skistöcke, die sie ebenfalls von Jessica ersteigert hatte, zu holen.
Kurz nach zwei Uhr traf Sarah bei der Skihütte ein und begrüßte die Freunde, die sie freudig in Empfang nahmen, mit einem kleinen, aber fröhlichen Murren. Um sie herum bewegte sich ein buntes Gewirr aus Menschen auf den Skilift zu, alle wollten die erste Gelegenheit dieses Winters zum Skifahren nutzen.
Es war ein herrlicher Tag, die Wintersonne schien am blauen Himmel und der Schnee glitzerte auf den Bäumen, Sträuchern und Häuserdächern. Aus den Lautsprechern der Skihütte drang AprèsSki Musik, was Sarahs Laune besserte. Es wird schon nicht so schlimm werden, sprach sie sich selber Mut zu.
„Na dann lasst uns mal starten, ich habe die Skipässe und Karten für uns bereits geholt“, sagte Jessica und verteilte sie an die anderen. Gefolgt von Tom stapfte sie voraus in Richtung Lift.
Mark, der immer noch keinen Fuß vor den anderen gesetzt hatte und wie angewurzelt neben Sarah verharrte, sah sie mit fragendem Blick an.
„Bist du okay? Hast du gut geschlafen? War wohl doch ein Bier zu viel?“ Ein zaghaftes Lächeln trat um seinen Mund.
„Ging so“, antwortete sie achselzuckend. Momentan verspürte sie keine Lust auf irgendwelche Erklärungen zum gestrigen Abend. Schließlich war sie zu nichts verpflichtet.
„Na los, dann auf zum Skifahren. Die beiden da vorne können es gar nicht abwarten. Und du sicherlich auch nicht?“, versuchte Mark zu scherzen.
Sarah verdrehte genervt die Augen. „Ich werde heute alle Rekorde brechen“, antwortete sie lakonisch.
„Fragt sich nur welche!“ Mark konnte sich ein Lachen nicht verkneifen und Sarah stimmte letztlich mit ein. Sie wollte ihren Frust nicht mit auf die Piste nehmen, sondern Spaß haben und hoffentlich auch unfallfrei ins Ziel kommen. Also packte sie ihre Skier über die Schulter und folgte zuversichtlich den anderen beiden mit Mark im Schlepptau.
Am Lift angekommen mussten sie noch eine Weile warten, bis sie an der Reihe waren. Überall drängten sich die Leute zum Lift, es waren optimale Bedingungen für die Abfahrt.
Tom drehte sich zu ihnen um. „Wie abgemacht bleiben wir heute an deiner Seite. Sozusagen als Patrouille.“
„Das will ich hoffen, sonst werde ich nie wieder mitkommen.“ Lächelnd und drohend zugleich hob Sarah die linke Faust.
Dann waren sie endlich an der Reihe. Jessica und Tom stiegen zuerst in den Lift, stellten Skier und Stöcke in den eigens dafür vorgesehenen Schacht und nahmen nebeneinander Platz. Mark und Sarah folgten. Da Sarah mit Stöcken und Skiern zusammen jedoch nicht klar kam, half Mark ihr selbstverständlich, dann setzten sie sich den beiden gegenüber.
Während der Lift seine Fahrt hinauf in die Berge nahm, bestaunte Sarah verträumt die herrliche Landschaft, die sich unter ihr auftat, und hing ihren Gedanken an den gestrigen Abend nach.
Tom plapperte ununterbrochen darüber, wie nett der Abend noch war. Allerdings leisteten nur Richard und Alexander ihm und Jessica Gesellschaft. Melanie und Daniel tranken ihr Bier aus und verließen ebenfalls kurz nach Sarahs und Marks Abgang den Pub. Sarah folgte Toms Schilderungen nur mit halbem Ohr. Vor ihrem geistigen Auge erschienen unschöne Bilder, wie Daniel Melanie nach Hause gebracht hatte. Was danach passierte, wollte sie sich lieber erst gar nicht ausmalen. Ihr schoss durch den Kopf, dass Daniel womöglich ähnliche Gedanken hegen könnte, dass Sarah und Mark ein Paar waren und Mark sie gestern nicht nur nach Hause begleitet hatte. Naja, möglich wäre es ja! Denn wenn sie sich nicht irrte, hatte er sie und Mark mit einem gewissen Interesse beobachtet.
Obwohl Sarah wusste, dass Mark sich zu ihr hingezogen fühlte, hatte sie ihn nie in die Schranken gewiesen. Es war ja nicht so, dass er sie jemals bedrängt hätte. Hin und wieder gab es ein oder zwei Küsse, aber das war schon alles. Wenn Sarah ehrlich zu sich selber war, gefiel es ihr in gewisser Weise. Nach zwei Jahren Abstinenz hatte sie schließlich auch Bedürfnisse. Aber zu mehr war sie bis jetzt nie offen gewesen.
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