Sarah hielt seinem durchdringenden Blick nicht stand und blickte schüchtern auf ihre ineinander verschränkten Finger. Bevor sie etwas einwenden konnte, meldete Tom sich zu Wort.
„Das wäre toll. Danke, wir nehmen eure Einladung sehr gerne an.“
Hoffnungsvoll schaute er in die Runde und wartete auf die Zustimmung seiner Freunde. Jessica lächelte erfreut. „Von mir aus gerne. Sollen wir irgendetwas mitbringen?“, schaute sie fragend auf Richard.
Der schüttelte den Kopf. „Alles organisiert. Nur gute Laune haben wir noch nicht gebucht. Also seid ihr dafür verantwortlich! Ihr seid also dabei?“ fragte er zufrieden und blickte von Sarah zu Mark.
„Von mir aus.“ Marks Gesicht wirkte nicht gerade überzeugend. Missmutig erhaschte er Sarahs Blick und sah, dass sie nervös auf ihrem Platz hin und her rutschte. Ohne ihre Antwort abzuwarten, plauderten die anderen munter durcheinander.
„Also abgemacht. Tom weiß ja, wo wir wohnen. Am Stadtrand. Beginn ist zwanzig Uhr.“
„Prima. Möchte noch jemand etwas trinken? Ich hätte gerne noch einen Tee, ich bin am Verdursten.“ Jessica schaute fragend in die Runde.
Tom nickte begeistert, er fühlte sich sichtlich wohl in der Gesellschaft seiner Freunde. „Ich gebe die nächste Runde aus.“
Sarah schüttelte den Kopf. „Danke. Für mich nicht, falls ich nachher noch eine Schmerztablette nehmen muss“, sagte sie und deutete auf ihren Fuß.
Tom erhob sich und ging quer durch den Raum zum Tresen, um eine neue Runde Jagertee zu bestellen. Mittlerweile wurde es in der kleinen Hütte voller. Da es draußen bereits dämmerte, trafen immer mehr Skifahrer und Snowboarder ein, um sich aufzuwärmen und in geselliger Runde den späten Nachmittag ausklingen zu lassen.
Daniel nahm sein Handy, wählte eine Nummer, während seine graublauen Augen unablässig Sarah fixierten.
„Ja, hallo. Hochkamp hier.“ Er bestellte ein Taxi zur Skihütte und legte wieder auf. „Ich bringe dich nach Hause. In einer halben Stunde ist das Taxi hier. Das ist das mindeste, was ich tun kann.“
Ungläubig, von seinen intensiven Augen fokussiert, sah sie ihn überrascht an. „Das musst du nicht. Es ist ja nicht so weit bis zu mir. Das schaffe ich schon irgendwie. Und außerdem bist du nicht daran schuld, dass ich gestürzt bin. Hätte ich mich nicht so dämlich angestellt…“, versuchte sie wenig überzeugend einzuwenden.
„Keine Widerrede“, mischte sich Jessica ein, der die knisternde Spannung zwischen den beiden nicht entging. „Schuld hin oder her. Du musst deinen Fuß schonen und es ist doch ein sehr nettes Angebot von Daniel.“ Beruhigend legte sie ihre Hand auf Sarahs Unterarm.
Mark, der das Gespräch verfolgte, stand plötzlich auf.
„Ich werde ja nicht mehr gebraucht, also schwinge ich mich nochmal in die Skier und geh auf die Piste, bevor es dunkel wird. Man muss schließlich die Gelegenheit beim Schopfe packen.“
Verstimmt nahm er seine Sachen und verabschiedete sich mit einem Kopfnicken. „Ich melde mich, bis dann.“
Und fort war er.
„Was ist denn plötzlich mit ihm los?“, wollte Richard wissen, der als einziger die angespannte Situation nicht bemerkte, und blickte Mark erstaunt hinterher.
„Keine Ahnung“, zuckte Jessica mit den Schultern. „Er hat sich den Nachmittag bestimmt etwas anders vorgestellt. Hier rumzuhängen ist nicht sein Ding.“ Dabei warf sie einen wissenden Blick zu Sarah rüber.
Verwundert über Marks Abgang trat Tom an den Tisch und stellte die fünf Jagertee darauf ab. „Wo ist Mark?“
„Der ist nochmal auf die Piste.“ Ohne weitere Kommentare abzuwarten und vom Thema abzulenken, nahm Jessica ein Glas vom Tablett. „Dann bleibt ein heißer Tee mehr für mich.“
Mit schmunzelndem Gesicht pustete sie vorsichtig an dem dampfenden Getränk.
Im Gespräch vertieft über ihre Tour heute, wurde die Gesellschaft nach einer Weile vom Hüttenwirt unterbrochen. „Ihr Taxi steht vor der Tür.“ Der Wirt, der an ihren Tisch heran getreten war und die leeren Gläser abräumte, zeigte nach draußen auf das bereits wartende Auto.
„Na dann wollen wir mal.“ Daniel stand als erster auf und beugte sich zu Sarah, um den Eisbeutel von ihrem Fuß zu entfernen und half ihr, den Skischuh zu schließen.
„Darf ich bitten?“, fragte er, neigte den Kopf etwas zur Seite und reichte ihr seine Hand. Sarahs Herz klopfte wild vor Aufregung in ihrer Brust. Schließlich legte sie zögernd ihre Hand in seine.
Sie wusste nicht, ob ihre Entscheidung, sich von Daniel nach Hause bringen zu lassen, die Richtige war. Doch das schmerzliche Pochen in ihrem Knöchel wischte alle Zweifel beiseite. Im Grunde genommen war sie froh, den Heimweg nicht alleine mit dem Fuß zurücklegen zu müssen. Und dennoch, jede Nervenfaser ihres Körpers war zum Zerreißen gespannt, als seine Augen sie anfunkelten. Behutsam erhob sie sich, und ihre Knie wurden ganz weich, was wohl nicht nur an dem Tee lag. Sie musste ihren Blick senken, denn erneut durchfuhr sie eine Welle der Erregung. Sie spürte die Wärme seiner Hand, die sich sofort auf ihren Körper übertrug. Ihr wurde warm, sodass sie sich nun doch beeilte, um der angespannten Atmosphäre zu entkommen und ihrem Körper und Geist im Freien Abkühlung zu verschaffen.
„Jessica und Tom, kommt ihr denn nicht mit?“ Obwohl sie die Antwort bereits kannte, sah sie erwartungsvoll zu den beiden Freunden.
Sie wollte nicht mit diesem überaus attraktiven Mann, der ihre Emotionen überkochen ließ, alleine sein. Daniel zog sie magisch an, das konnte sie nicht leugnen, aber gleichzeitig hatte sie Angst vor ihren eigenen Gefühlen. Seine Partnerin war Melanie Hansen, und diese spielte durchaus in der First Class. Aber warum tat er das dann alles hier? Aus Anstand oder Höflichkeit oder um sein Gewissen zu beruhigen? Eine innere Stimme raunte ihr zu, dass andere Gründe im Spiel waren. Und dann ständig diese zweideutigen Bemerkungen! Was wollte er von ihr? Für ihn musste Sarah doch wirklich ein kleines graues Mäuschen sein, mit dem es sich vielleicht eine Weile spielen lässt, um es anschließend, nachdem der Reiz verflogen war, fallenzulassen.
Ihr war klar, dass es schwer sein würde, ihre Gefühle unter Kontrolle zu behalten. Folglich musste sie auf Distanz gehen oder aber gar auf Kampfmodus umschalten und besser von Anfang an dagegen kämpfen, um nicht in seine Krallen eingefangen und dann irgendwann enttäuscht zu werden. Sie musste stark bleiben und durfte ihren verwirrten Gedanken und Gefühlen keinen Freiraum geben.
„Nein, du bist doch in guten Händen und Daniel hat bestimmt nichts dagegen, wenn wir noch ein bisschen mit seinem Bruder abhängen“, unterbrach Jessica ihre Überlegungen. Verschmitzt zwinkerte sie der Freundin zu. Leicht angeheitert vom Alkohol suchte sie Richards Bestätigung.
„Mein Bruder ist alt genug, er wird sich um deine Freundin kümmern. Also ich bleib dann noch. Kommt gut nach Hause.“ Und an Sarah gerichtet verabschiedete sich Richard freundlich.
„Wir sehen uns nächstes Wochenende. Tschüss Sarah. Und gute Besserung.“
Er lehnte sich bequem in seinen Stuhl zurück und wandte seine Aufmerksamkeit voll und ganz dem Jagertee und Tom zu.
Wieder beschlich Sarah das Gefühl, dass irgendetwas im Raum lag, sie es aber nicht zum Greifen bekam. Jessica unterdessen stand von ihrem gepolsterten Holzstuhl auf und umarmte ihre Freundin zum Abschied. „Ich melde mich. Solltest du aber meine Hilfe brauchen, dann lass es mich wissen.“
Schweigend saßen Daniel und Sarah nebeneinander im Fond des Taxis. Nur die laute Musik aus dem Autoradio durchbrach die Stille. Der Fahrer pfiff leise zur Melodie und schien nicht die Absicht zu haben, seine Fahrgäste in ein Gespräch zu verwickeln.
Während der kurzen Fahrt konzentrierte sich Sarah mit äußerster Anstrengung auf die an ihr vorüberziehenden Straßen mit den hell erleuchteten Schaufenstern. Sie bekam ihre Nervosität nicht in den Griff. Neben diesem Mann zu sitzen, ihm so nahe zu sein, brachte sie vollkommen durcheinander. Sarah sank tiefer in die Polster ihres Sitzes und rieb ihre kalten Hände aneinander. Ihre Anspannung wuchs mit jeder Minute.
Читать дальше