„Ich gehe kurz ins Schlafzimmer und ziehe mich um.“
Abrupt machte sie auf dem Absatz kehrt und verschwand.
Keine fünf Minuten später war sie wieder bei ihm, ohne einen prüfenden Blick in den Flurspiegel geworfen zu haben. Sie wusste, ihr Äußeres konnte sich sehen lassen, obgleich sie nicht mit ihrer Freundin Jessica mithalten konnte. Doch wem ihre Erscheinung nicht gefiel, der sollte einfach wegschauen. Sarah würde sich für niemanden, auch nicht für Daniel, verstellen. In bequemen, schwarzen Jeans, dicken Wollsocken und einem lila Sweatshirt ging sie zum Herd, um einen Kessel mit Wasser für den Tee aufzusetzen. Daniel hockte vor dem Feuer und rieb sich die Hände vor dem knisternden Feuer.
Sarah beförderte zwei große Teebecher aus dem Oberschrank. „Möchtest du eine bestimmte Sorte Tee?“ Fragend schaute sie auf den Mann, der sich ihr nun langsam näherte und jede ihrer Verrichtungen genau studierte.
„Earl Grey. Ganz einfach und doch unwiderstehlich.“ Schmunzelnd blieb er neben ihr stehen und seine Augen ruhten auf ihren.
Wieder vernahm sie die Doppeldeutigkeit seiner Worte. Schnell widmete sie ihre Aufmerksamkeit dem Tee, bereitete ihn ohne Eile und versuchte, in den Normalmodus umzuschalten. Sie wollte nicht weiter über seine Worte nachdenken oder zu viel hineininterpretieren.
„Du kannst schon mal rüber zur Couch gehen. Ich bin gleich soweit.“
„Nein, lass mich das machen. Du gehst zur Couch und ich erledige das hier. Du musst deinen Fuß schonen, schon vergessen?“
Zwinkernd nahm er ihr den Kessel aus der Hand und brühte den Tee auf. Mit einer Selbstverständlichkeit übernahm er diese Aufgabe, sodass Sarah entspannt zur Couchgarnitur humpelte und sich darauf niederließ. Sie zog den kleinen Hocker heran, legte ihren verletzten Fuß darauf und zog die Socke aus. Erst jetzt spürte sie, wie ausgelaugt sie war. Zum Glück war ihr Knöchel nur ein bisschen angeschwollen und die Schmerzen hielten sich in Grenzen. Sie rieb darüber und fühlte, dass Ruhe genau das war, was sie jetzt brauchte, sowohl physisch als auch psychisch.
Mit Herzklopfen beobachtete sie, wie Daniel routiniert die Teetassen auf das kleine Tablett neben dem Herd stellte und es anschließend zu ihr hinüber trug. Seine Fürsorge schmeichelte ihr. Es war noch nicht lange her, als sie das letzte Mal so umsorgt wurde, doch Marks Hilfe hatte sie nicht so erregend empfunden wie Daniels. Sarah genoss den Anblick, der sich ihr bot. Daniels Bewegungen waren besonnen und anmutig. Sie betrachtete ihn unauffällig von oben bis unten, stets darauf bedacht, dass er es nicht bemerkte. Sein Körper war athletisch, an Armen und Beinen zeichneten sich seine Muskeln ab. Gott war dieser Mann unglaublich schön, absolut kameratauglich. Die Frauenwelt musste ihm doch zu Füßen liegen!
Sarah schaute auf sein Gesicht, das angestrengt auf das Tablett gerichtet war, um nicht den Tee zu verschütten, als er sich dem Couchtisch näherte. Sicherlich gehörte dies nicht zu seinen alltäglichen Aufgaben. Sie konnte sich vorstellen, dass er Leute beschäftigte, die diese Dinge für ihn erledigten.
Sein Dreitagebart stand ihm ausgesprochen gut, ließ ihn verführerisch aussehen. Dieser Mann war der absolute Hauptgewinn, der Jackpot im Lotto, einschließlich Zusatzzahl. Sarah beneidete die Frau, die ihn für sich gewinnen würde. Schnell schob sie diese Vorstellung in die unterste Schublade ihres Hirns und genoss das Gefühl der Vertrautheit zunehmend. Es war rundherum angenehm, sich von einem Adonis wie ihn verwöhnen zu lassen, also warum sollte sie ausgerechnet jetzt darauf verzichten und trüben Gedanken hinterher hängen? Wann hatte sie das letzte Mal einen Mann so genau angeschaut, oder umgekehrt? Himmel, jede seiner Bewegungen ließ ihren Puls in schwindelerregende Höhen schießen und ihr Blut Achterbahn fahren!
Sicher platzierte Daniel das Tablett auf den kleinen Couchtisch und ging zum Sideboard, welches links von der Couch stand.
„Gemütlich hast du es“, stellte er anerkennend fest und sah sich in der kleinen Wohnung um, nahm die Streichhölzer, die neben den Kerzen lagen, und zündete alle Lichter an. Er ging zu ihr zurück, hob die flauschige Decke von der Couch und breitete sie über Sarah aus. „Es wird zwar allmählich wärmer hier drinnen, aber die solltest du lieber zusätzlich nutzen. Du siehst ziemlich durchgefroren aus und zitterst an den Händen.“
Sarah wollte ihm nicht erklären, warum ihre Hände zitterten. Ganz bestimmt lag es nicht an der Kälte, sondern einzig und allein an ihm.
Er setzte sich zu ihr und überreichte ihr eine Tasse mit dampfendem Tee. Dabei streifte er sanft ihre Finger. „Hier, bitte. Aber vorsichtig, der ist heiß.“
‚Und nicht nur der Tee‘. Sarahs Unterbewusstsein verpasste ihr einen beschwingten Stups und zwinkerte ihr verzückt zu.
Bevor Daniel nach seiner Tasse langte, warf er noch einmal einen schuldbewussten Blick auf ihren verletzten Knöchel.
„Es war meine Schuld, dass dir das heute passiert ist. Ich hätte umsichtiger fahren müssen.“
Er strich mit seiner Hand vorsichtig über die Stelle am Knöchel, die geschwollen war. Sarah erschauerte bei seiner Berührung und zog ihren Fuß unter die Decke.
„Andererseits hatte die Sache auch etwas Positives…“ Verheißungsvoll richteten sich seine blaugrauen Augen auf ihre.
„Ist schon gut. Wäre ich nur nicht so unaufmerksam gewesen. Egal, es ist ohnehin zu spät. Mach dir keine Vorwürfe. Zum Glück ist nichts gebrochen“, unterbrach Sarah ihn, damit er seinen Satz nicht vollenden konnte. Mit gesenkten Lidern pustete sie in den Becher und nippte vorsichtig an ihrem Tee. Sie genoss das wohlige Gefühl, welches ihren Körper beschlich. Verträumt sah sie zum Fenster und beobachtete den herrlichen Flockenwirbel. Kerzenlicht und Kaminfeuer tauchten den Raum in eine behagliche Atmosphäre und dieser Mann an ihrer Seite heizte ihre Fantasien noch zusätzlich an. Seine Gegenwart erregte sie. Plötzlich war es wieder da, dieses Kribbeln auf ihrer Haut. Obwohl er ihr fremd war, empfand sie bereits eine gewisse Intimität zwischen ihnen. Gleichzeitig ließ das Schweigen die Anspannung steigen. Die Stimmung im Raum verwandelte sich blitzartig.
Daniel bemerkte, dass Sarah tief in ihren Gedanken versunken war.
„Skifahren ist nicht so dein Ding, stimmt’s?“
Sarah lächelte. „Nein, nicht wirklich. Ich habe gestern Abend die Wette verloren, also musste ich mit.“
„Du hättest nein sagen können.“
„Ja, vielleicht. Anfangs lief es ja auch prima.“
„Bis ich dir in die Quere kam.“ Daniel schüttelte schuldbewusst den Kopf. Er trank seinen Tee und stellte die halbvolle Tasse auf das Tablett zurück.
„Das hätte jedem anderen auch passieren können.“
Sarah trank ihren Tee und genoss das Wohlgefühl, das sich in ihrem Körper verteilte.
Daniel lehnte sich zurück und wirkte nachdenklich.
„Wirst du mit deinem verletzten Fuß im Laden zurechtkommen?“
„Sicher. Bitte mach dir darüber keine Gedanken.“
„Okay. Aber du lässt mich wissen, wenn du Hilfe benötigst. Versprochen?“
„Versprochen.“
„Gehört dir nur die Buchhandlung im Erdgeschoss oder das ganze Haus?“
Verdutzt schaute Sarah auf. Der Themenwechsel kam unerwartet. Worauf wollte er hinaus? Augenblicklich fiel ihr das Gespräch von gestern Abend ein.
„Wieso? Willst du mir einen Kredit aufschwatzen, damit ich das Haus kaufen kann?“ Sie fühlte sich provoziert, sicher hatte er nur wieder Berufliches im Sinn und wollte sie als Kundin werben. Und dafür war ihm jedes Mittel und jede sich bietende Gelegenheit recht. Sarah stöhnte, während Daniel sich ein Lachen nicht verkneifen konnte.
„Nein Sarah, ganz bestimmt nicht. Ich bin einfach nur neugierig und möchte dich näher kennenlernen.“
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