Seine Fürsorge sprach für ihn, aber alles andere schien aussichtslos. Sie fühlte sich in Marks Gesellschaft wohl, aber für mehr war sie bisher nie bereit gewesen. Sie würde es wohl auch in Zukunft nicht sein, jetzt, nachdem sie Daniel begegnet war. Ganz gleich, wie die Dinge sich entwickelten. Eines stand aber fest, ihr Körper würde nie so auf Mark reagieren wie er es bei Daniel tat. Das, was zwischen ihr und Daniel passiert war und was sie selbst noch gar nicht richtig einordnen konnte, war einzigartig, wie eine Supernova am Firmament. War das vielleicht die ‚Liebe auf den ersten Blick‘?
Sie sollte klare Verhältnisse schaffen und Mark schonend beibringen, dass sie ihn mochte, ihm aber nur freundschaftliche Gefühle entgegenbrachte. Doch der heutige Tag war einfach nicht der richtige. Sie fühlte sich ausgelaugt und deprimiert.
Der Funken war einfach nicht zu Mark übergesprungen. Ein Seufzer entrann ihrer Kehle. Niedergeschmettert richtete sie sich auf und sah in den Spiegel. Vor ihren Augen erschien wieder Daniels Anblick und sie schüttelte den Kopf. Sie musste sich diesen Mann ein für alle Mal aus dem Kopf schlagen, auf Abstand gehen. Er war vergeben und somit tabu! Aber das war leichter gesagt als getan. Was sollte sie nur gegen diesen Gefühlssturm tun?
Blitzartig schoss eine, wenn auch irrsinnige Idee durch ihren Kopf und nahm allmählich Gestalt an. Würde sie ihre chaotischen Gefühle im Zaum halten können, wenn sie versuchte, sich auf Mark einzulassen und ein bisschen mehr für ihn zu empfinden und somit Abstand zu Daniel bekäme?
Daniel Hochkamp klarzumachen, dass sie nicht bereit war für eine heimliche Affäre, schien viel einfacher, wenn er begriff, dass sie Mark den Vorzug gab. Nichtsdestoweniger würde Mark nur Mittel zum Zweck sein und sie müsste ihn anlügen, würde mit seinen Gefühlen spielen. Das wäre ihm gegenüber mehr als unfair. Er würde sich weiterhin Hoffnungen machen, die sie nicht erfüllen könnte. Aber im Moment sah sie darin eine Chance, um Daniel auf Distanz zu halten und ihren Standpunkt ihm gegenüber offenzulegen.
Überrascht von ihren skurrilen Gedanken schrak sie auf, als sie ein Klopfen an der Badezimmertür vernahm.
„Sarah?“ Mark holte sie augenblicklich in die Realität zurück.
„Bin gleich fertig und sofort bei dir.“ Sie betätigte die Toilettenspülung und ließ kurz den Wasserhahn laufen. Ohne Eile verließ sie das Bad und ging zu Mark hinüber. „Wie ich sehe, hast du es dir schon gemütlich gemacht.“
Mark aalte sich in dem Sessel vor dem Fernseher und verfolgte das Sportprogramm. Für sie war es bereits zur Gewohnheit geworden, dass ihre Freunde sich selbst einluden und wie zu Hause fühlten. Es störte Sarah nicht im Geringsten. Im Gegenteil, es war schön, dass sie sich bei ihr wohlfühlten. Umgekehrt war es schließlich genauso. Egal, bei wem sie aufkreuzte, sie hatte immer das Gefühl, willkommen zu sein. Vielleicht war es gut so, dass Mark bei ihr aufgekreuzt war, sie wollte an der gewohnten Normalität nichts ändern.
„Möchtest du etwas trinken?“
„Ich dachte schon, du fragst nie. Wir könnten uns etwas zum Essen bestellen. Wie geht es eigentlich deinem Fuß?“ Neugierig schaute er in ihre Richtung.
„Erstens geht es meinem Fuß soweit gut. Ich darf ihn nur nicht zu sehr belasten. Und zweitens gar keine so schlechte Idee mit dem Essen. Also, was schlägst du vor?“
„Da heute Sonntag ist, lass uns was vom Italiener nehmen, wie immer.“ Mark schmunzelte, erfreut zu wissen, dass sie ihn nicht fortschickte. „Wie wär’s mit Pizza und Pasta?“
Da Sarah nicht wirklich Appetit hatte, stimmte sie einfach zu und überließ Mark die Bestellung. Schließlich kannte er ihre Lieblingsspeisen. Es war keine einmalige Sache, dass sie zusammen aßen. In der Zwischenzeit holte sie Getränke, für ihn Ginger Ale und für sich selbst kochte sie Tee.
Sie setzte sich auf das Sofa, legte die Füße hoch und zog die weiße Kuscheldecke, die Daniel ihr gestern Abend behutsam über ihren Körper gelegt hatte, bis zu ihrem Bauch hoch. Inzwischen hielt Mark sein Handy am Ohr und bestellte für sie beim Italiener.
Wieder schlichen sich die Bilder vom Vorabend in ihren Kopf und eine leichte Gänsehaut überzog ihren Körper. Daniel. Immer noch konnte sie die Berührung seiner verlangenden Lippen auf ihren spüren. Allein bei dieser Vorstellung durchfuhr sie ein heißer Schauer. Konnte sie denn nicht aufhören, an ihn zu denken?
„Konntest du gut schlafen? Ich meine wegen deiner Verletzung.“
Mark räusperte sich und deutete mit der Fernbedienung, die er in der Hand hielt, auf ihren Fuß.
Sarah wich seinem Blick aus. „Ja, war okay. Ich habe vorher noch eine Schmerztablette genommen. Der Knöchel ist zwar noch etwas geschwollen, aber wenn ich ihn schone, müsste es bald wieder werden.“ Dann wandte sie sich Interesse vortäuschend dem Fernseher zu, um weiteren Fragen auszuweichen. „Was läuft denn da?“
Mit Begeisterung berichtete Mark vom Weltcup Abfahrtslauf, wer die Favoriten waren, welche Austragungsorte es gab und so weiter und so weiter. Sarah folgte seinen Ausführungen nur halbherzig, war aber dankbar für die Ablenkung.
Als es abermals an der Haustür klingelte, gab Mark ihr zu verstehen, dass er sich um den Pizzaservice kümmerte, einschließlich der Bezahlung. Nachdem das Essen geliefert wurde, machten sie sich gemeinsam darüber her und folgten den Übertragungen im Fernseher.
Irgendwann im Laufe des Nachmittages gesellten sich Jessica und Tom zu ihnen und die vier verbrachten einen lustigen, entspannten Nachmittag. Bei einem Glas Chianti spielten sie zwei Runden Monopoly, bei dem Sarah stets verlor. Den Freunden entging nicht, dass mit ihrer Heizung etwas nicht in Ordnung war.
„Sag mal, musst du sparen oder warum ist es hier so kalt?“, wollte Jessica zwischendurch von ihr wissen. Da es vor den Freunden keine Geheimnisse gab, verschwieg sie ihnen nicht, was das Problem war, nämlich, dass die Anlage steinalt war und eine Generalüberholung vermutlich nicht ausreichen würde.
Beim Abschied machte Tom ihr den Vorschlag, dass, falls eine neue Heizungsanlage fällig wäre, sie gern in der Bank vorbeischauen sollte, um nach finanzieller Unterstützung zu fragen. Augenblicklich dachte Sarah mit einem verschmitzten Lächeln an Daniel, den sie unter Generalverdacht gestellt hatte, weil sie annahm, dass er sie als potentielle Kundin sah. Und nun fing Tom genauso an. Aber die Idee war gar nicht so übel, Sarah hatte diese Möglichkeit bereits in Erwägung gezogen. Jedoch bezweifelte sie gleichzeitig, dass ihre Bonität dafür ausreichte. Denn die paar Ersparnisse, die auf ihrem mickrigen Konto lagen, reichten nicht einmal für den nächsten Urlaub. Vielmehr brauchte sie diese Reserve, wenn im Buchladen eine Flaute war.
Sarah, der die Zerstreuung am Nachmittag sichtlich gut tat, fühlte sich entspannter, da vorübergehend der gewohnte Alltag eingezogen war. Inzwischen war es dunkel geworden und ihre Freunde gegangen. Sie räumte die Küche auf, stellte das schmutzige Geschirr in den Geschirrspüler und zog sich anschließend wieder auf die Couch zurück. Mit der Hand rieb sie ihren schmerzenden Knöchel. Später würde sie nochmal ein feuchtes Tuch darauflegen, ihn kühlen und wenn nötig noch ein Schmerzmittel nehmen. Als sie die Fernbedienung vom Tisch nahm, warf sie einen willkürlichen Blick auf ihr lautloses Handy.
Mehrere Anrufe in Abwesenheit und mindestens drei SMS! Wer war denn da so hartnäckig am Sonntag? Neugierig nahm sie das Handy zur Hand, streckte die Beine auf der Couch aus und blickte auf die Telefonnummer, unbekannter Teilnehmer, jedoch immer dieselbe Nummer.
Verwundert und neugierig zugleich über die Beharrlichkeit des Anrufers öffnete sie die erste Nachricht.
Hallo, Sarah. Ich bin’s, Daniel. Ruf mich bitte zurück.
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