»Atlantis, Erdgeschoss bitte«, sagte ich und grinste Cas breit an, der noch immer unglücklich und gehetzt aussah.
Der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung.
»Will ich eigentlich wissen, was genau du da versucht hast?«, fragte er.
»Vermutlich besser nicht.«
»Komm schon, im Fahrstuhl gibt es keine Überwachung.« Cas hob eine Augenbraue. »Du warst in Elizabeth Krankenakte.«
»Japp.« Ich schmunzelte.
»Und hast darin rumgespielt.«
»Nope.«
»Sondern?«
»Ich habe es versucht.«
Nun schien Cas vollkommen verwirrt zu sein. »Du hast es versucht, es hat nicht geklappt und du grinst mich an, als hättest du sämtliche Nahrungsmittelsondereinheiten aus Atlantis gebunkert?«
»Japp.«
»Erdgeschoss. Ich wünsche einen angenehmen Tag.«
»Fahrstuhltüren offen.«
»Fahrstuhltüren geschlossen.«
Über die weiß geflieste Lobby gelangten wir nach draußen. Zwischen den Gebäuden gab es Wege, die mit weißen Bodenplatten belegt waren. Alles wirkte so sauber und perfekt wie beinahe überall in der Station. Jede Kuppel beherbergte eine kleine Stadt, die sich rein äußerlich wie ein Ei dem anderen ähnelten. Mehrstöckige Häuser ragten weit bis unter die Kuppeldecke und die künstliche Beleuchtung über uns spiegelte sich in den glänzenden Fassaden der Häuser. Ich hatte gelesen, dass sich die Priomerglasplatten, mit denen die Gebäude verkleidet worden waren, zur Zeit der Erschaffung von Atlantis besonders leicht an den Meeresgrund hatten transportieren lassen. Das Material war widerstandsfähig, ließ keinen Schall durch und man konnte es sehr leicht verarbeiten.
Wir steuerten den Bereich am Rand der Kuppel an, der zu den Häfen führte. Dort herrschte reges Treiben. Grün gekleidete Forscher und Med-Ops, so weit das Auge reichte. Vermutlich stand gerade ein Schichtwechsel kurz bevor. Kreuz und quer durch die Halle eilten zahlreiche Arbeiter, bepackt mit allerlei Kram, die sie in den Transportschiffen verstauen würden. Ein Wartungsteam tauschte eine beschädigte Bodenplatte aus und zahlreiche Sicherheitsleute liefen Patrouille, was bestimmt meinem kleinen Eingriff zu verdanken war.
Während wir an zwei Mädchen vorbeigingen, die vielleicht etwas jünger als wir waren, blieben ihre Blicke auf mir haften. Ich hasste dieses Gestarre. Als würden sie jemanden in mir sehen, der ich eigentlich gar nicht war. Dennoch setzte ich ein Lächeln auf, nickte ihnen zu und erntete ein nervöses Kichern.
»Mann, manchmal hätte ich echt gern deinen Status. Nur für einen Tag«, sagte Cas und verrenkte sich den Hals, während er die beiden musterte.
»Gern. Am liebsten auch mehrere Tage. Oder wie wärs für immer?«
Cas grinste. »Nicht übermütig werden.«
Ich verdrehte die Augen. »Ob die beiden mir noch so hinterherstarren würden, wenn sie wüssten, dass ich für den Stromausfall letzte Woche verantwortlich war?«
»Vermutlich nicht.« Cas lachte auf. »Oder erst recht. Der widerspenstige Anführer, der gezähmt werden will. Das ist doch mal Stoff für die Atlantis-Stories. Zumindest welcher, der auch der Wahrheit entspricht.«
Ich knirschte mit den Zähnen. Die Atlantis-Stories waren die Groschenromane und zeitgleich Klatschzeitungen unserer Zeit. Eine Gruppe Autoren saß irgendwo zusammen und vermengte die Realität von Atlantis mit einer ordentlichen Prise Fantasie. In ihrer Vorstellung war ich ein Musterbürger, der nach den Wünschen seines Vaters lebte, charmant und zuvorkommend war. Mir stieg schon Galle den Hals hinauf, wenn ich nur daran dachte. Doch die Stories fanden reißenden Absatz und wurden von beinahe achtzig Prozent der Bewohner konsumiert wie die Weihnachtsmenüs an Heilig Abend.
»Sorry, falsches Thema«, stieß Cas hervor. »Konzentrieren wir uns lieber darauf, dass wir zurück in Kuppel 1 kommen.«
Wir verließen den Vorplatz vom Haupthafen und gelangten in einen abgesperrten Bereich, der der Öffentlichkeit nicht zugänglich war. Nur die wenigsten Bewohner von Atlantis besaßen ein eigenes U-Boot und somit war der Privathafen auch die meiste Zeit ziemlich ausgestorben. Auch wenn ich es verabscheute, einen Sonderstatus zu genießen, war es dennoch praktisch, dass dies keine Wartezeiten für mich bedeutete.
Die Sicherheitsleute, die den Durchgangsbereich bewachten, nickten uns nur knapp zu und ließen uns passieren, als Cas sein Tablet mit der Sondergenehmigung hochhielt. Genau das ersparte uns den Retinascan oder das Vorzeigen eines Sicherheitsarmbandes, bei dem man sicherlich festgestellt hätte, dass ich eigentlich gar nicht hier sein durfte. Dass meine Aufenthaltserlaubnis erneut eingeschränkt worden und das Ding längst abgelaufen war, schien bis hierhin noch nicht durchgedrungen zu sein. Auch nicht, dass ich derjenige war, nach dem gesucht wurde.
Wir verharrten einen kurzen Moment in der Druckluftkammer, ehe wir das Signal bekamen, den privaten Hafen betreten zu können.
»Und auch hier habe ich gesagt, dass das klappen wird«, erinnerte ich, nachdem wir den Hauptsteg erreichten und auf mein Schiff zusteuerten. Es war tiefschwarz und mit goldenen Verzierungen versehen. Etwas kitschig, aber darüber konnte ich bei der Leistung des Schiffs hinwegsehen.
Cas stieß einen grummelnden Laut aus. »Weil du einfach ein Scheiß-Glück hast. Nichts weiter.«
Ich kramte die Start-Card für mein Schiff aus der Tasche, während wir über den Steg aus hellem Kunststoff liefen, der auf dem Wasser zu schweben schien. Wie immer schallte aus versteckten Lautsprechern leise Musik und die matte Beleuchtung gab dem Hafen eben jenen edlen Eindruck, den er vermitteln sollte.
»Verrätst du mir jetzt, was du gemacht hast?«, fragte Cas, als wir in mein Schiff eingestiegen waren und ich mich auf den Fahrersitz fallen ließ.
»Ich habe nur Informationen gesammelt«, erwiderte ich.
»Welche Informationen?«
»Sie ist noch für keine Schwangerschaft vorgesehen«, erwiderte ich.
»Elizabeth?«
»Wer sonst?«
»Ihr seid ja auch noch nicht verheiratet«, gab Cas zu bedenken.
»Darum geht es nicht. Mein Vater hat gesagt, dass er bereits im nächsten Jahr die Nachwuchsplanung angehen möchte. Das ist so gar nicht möglich, dafür müssen ihre Eltern sie eintragen, schon bevor wir liiert sind.«
»Und das macht dir jetzt so gute Laune?«
Das tat es. Denn das wiederum bedeutete vor allem eins: Zeit. Ich bekäme Zeit, in der ich eine Lösung für das Problem suchen könnte. Denn darin war ich gut, wenn auch nicht immer unbedingt erfolgreich. Statt zu antworten, startete ich den Motor meines Schiffs, der ein erwartungsvolles Blubbern ausstieß.
»Bekomme ich eine Antwort?«
Ich tat konzentriert, während ich das U-Boot wendete und in die richtige Position brachte. Wir glitten auf die Plasmawand zu, die sich perfekt in die Plastikoberfläche der Kuppel fügte. Man erkannte das Energiefeld, das das Wasser draußen hielt, nicht als solches. Ich hatte von Theorien gehört, sämtliche Kuppeln aus dem Plasma bilden zu lassen. Bisher fehlte es an einer Möglichkeit, die Energie für die großflächigen Plasmafelder aufzuwenden, aber die wissenschaftliche Abteilung war dran und ein Großteil von ihnen sah die Zukunft in den Plasmaabschottungen.
»Erbitte Freigabe für Shuttle-Reise, Atlantis«, gab ich dem Computer durch, als wir kurz vor dem Durchgang verharrten.
»Welches Ziel?«
»Kuppel 1.«
»Genehmigt. Bitte fahren sie durch das Plasmafeld, Corvin.«
Ich ließ den Motor erneut blubbernd aufheulen und steuerte auf die Kuppelwand zu. Das U-Boot schob sich durch die Plasmagrenze und tauchte in die Dunkelheit der Tiefsee ein. Trotz des Druckausgleichs gab es immer noch ein leichtes Ploppen in den Ohren und das druckschutzsichere Heroniumplastik der U-Boot-Außenhülle knirschte leicht. Vollkommen ungefährlich und dennoch jedes Mal ein Zeichen dafür, was für Druckverhältnisse hier unten herrschten. Das Licht des Shuttles schaltete sich rundum ein und erhellte den Bereich um das U-Boot. Rechts von uns erhob sich die Schluchtwand, in dessen dunkles Gestein die Kuppeln von Atlantis gesetzt worden waren. Im Inneren leuchteten die Teile der Station zu uns herüber. Die Strahler, die in den schwarzen Fels gesetzt worden waren, erhellten die Umgebung und schufen ein wenig Helligkeit an einem Ort, an dem es sonst nur absolute Finsternis gab. Hier und da war ein Shuttle unterwegs, das von einer Kuppel zur anderen glitt. Der Motor rauschte hier draußen nur noch kaum hörbar, saugte Meerwasser an und verarbeitete es zu Antriebsenergie.
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