Für einen Samstagabend war erstaunlich wenig los im Hafen, der als Dreh- und Angelpunkt zwischen den einzelnen Kuppeln diente. Vermutlich lag das daran, dass die Sicherheitsvorkehrungen aufgrund der Feierlichkeiten um ein Vielfaches erhöht worden waren. Normalerweise waren die Häfen in den Kuppeln frei zugänglich. Man identifizierte sich mithilfe des Retinascans und die kleine Gebühr, die für das Nutzen der U-Boote anfiel, wurde direkt von den Gehaltscredits abgezogen.
Auch wenn ich es nicht gern zugab, war da tief in meinem Inneren ein kleiner Funke Neugier auf das, was mich heute Abend erwarten würde. Thera und Aaron hatten mir - während Thera beim Flechten vollkommen mitleidslos ungefähr die Hälfte meiner Haare ausgerissen hatte - von diesen Veranstaltungen erzählt. Zwar war sicher das Meiste davon maßlos übertrieben, aber selbst wenn nur ein Bruchteil davon stimmte, stand mir eine rauschende Party mit viel Essen und Trinken bevor. Das war der Teil, der mir am wenigsten gefiel, denn das Essen auf D.U. Atlantis wurde schon seit Jahrhunderten rationiert. Das hatte größtenteils gesundheitliche Gründe, denn man beugte damit vielen Krankheiten vor, die oft genug aufgrund übermäßigen Nahrungsverzehrs entstanden, aber es war auch der Tatsache geschuldet, dass man stets darauf bedacht sein musste, die ganze Station ernähren zu können.
»Das soll die Besonderheit dieser Feste hervorheben«, hatte Thera mit glänzenden Augen gesagt, aber für mich war das keine Rechtfertigung. Für mich war es eine Ausrede zur legalen Dekadenz. Dennoch hatte ich meinen besten Freunden versprochen, dass ich wenigstens versuchen würde, das alles zu genießen.
»27867, verifiziert«, leierte Atlantis in diesem Moment herunter und die beiden Sicherheitsleute machten mir Platz. Mit klopfendem Herzen betrat ich das U-Boot, mit dem ich zu Kuppel 1 reisen würde.
Die schlichte, hauptsächlich aus kühlem Metall bestehende Innenausstattung und die unbequemen Sitzbänke verliehen dem großen Tauchfahrzeug keine besonders gemütliche Atmosphäre, aber das war gewollt. Die Bewohner der einzelnen Kuppeln sollten sich nicht länger als nötig in den Shuttles aufhalten. Je weniger Abnutzung sie aufwiesen, desto seltener mussten sie ausgetauscht werden. Jegliche Art von Rohstoffen waren auf D.U. Atlantis Mangelware.
Mein Blick glitt nach oben zu der abgerundeten Decke, die aus Festibulum bestand, einem transparenten Plastik, das dem Druck in dieser Tiefe standhalten konnte und einen Blick in die Weite des Meeres gewährte. Manchmal fragte ich mich, warum die U-Bootkuppeln aus diesem durchsichtigen Material bestanden, denn eigentlich gab es hier unten nichts Besonderes zu sehen. Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf das Innere und setzte mich auf eine der Bänke, nachdem ich mich vergewissert hatte, dass diese sauber war. Mit einem leisen Grollen setzte sich das U-Boot kurz darauf in Bewegung.
Etwa zehn Minuten später tauchte aus dem Dunkel der majestätische Umriss von Kuppel 1 auf. Sie war die größte von allen und beherbergte ausschließlich die Menschen, die zur ersten und zweiten Stufe gehörten. Gott sei Dank waren die Bewohner der Stufen 3 und 4 ebenfalls zusammen untergebracht, denn das ermöglichte es Thera, Aaron und mir, einander regelmäßig zu sehen.
Zugegeben, der Anblick der riesigen, hell erleuchteten Kuppel trug seinen Teil dazu bei, Vorfreude in mir zu wecken. Mit klopfendem Herzen wartete ich ab, bis wir angelegt hatten, und folgte nach dem Verlassen des Hafens den erklärenden Hinweisschildern.
Neugierig sah ich mir die Umgebung an, die sich gar nicht so sehr von der in meiner Heimatkuppel unterschied, wie ich insgeheim erwartet hatte. Die künstlich angelegten Wege zwischen den Gebäuden waren unfassbar sauber, nirgendwo konnte ich auch nur eine weggeworfene Verpackung oder sonstigen Müll entdecken, wie es bei uns ab und zu der Fall war. Man schien hier sehr bedacht auf Reinlichkeit, was übersetzt hieß, dass das Reinigungspersonal hier sicherlich Sonderschichten schieben musste. Auch jedes einzelne der mehrstöckigen Wohngebäude sah gepflegt aus, sodass das Silber der Fassade in der künstlichen Beleuchtung strahlte.
Schneller, als ich erwartet hatte, war ich an dem Gebäude angelangt, in dem die Feierlichkeiten stattfinden würden. Vor der Tür stand eine Vielzahl von Mitarbeitern der Security, die jeden, der auch nur in ihre Nähe kam, genau unter die Lupe nahmen. Erneut nannte ich meine Nummer und machte mich bereit, durch den Securityscanner zu treten, damit der Computer mich checken konnte. Dieser Scanner funktionierte ähnlich wie das In-Watch auf der Krankenstation, nur das hier nicht meine inneren Organe samt Blutdruck und Herzfrequenz überprüft wurden, sondern mein gesamter Körper auf irgendwelche unerlaubten Gegenstände.
Nachdem Atlantis mich erneut verifiziert hatte und auch der Check durch den Scanner erledigt war, erhielt ich ein orangefarbenes Armband. Dieses wies mich als Besucher von Kuppel 1 aus. Soweit ich wusste, würde das Band spätestens in sechs Stunden seine Leuchtkraft verlieren, und ich damit jegliche Berechtigung, mich in diesem Gebäude aufzuhalten. Würde man mich nach Ablauf der Zeit noch hier auffinden, stünde mir eine unangenehme Befragung bevor, wenn ich keine gute Erklärung hatte.
Auf genau diese Tatsache wies mich jetzt auch der Security, der das Band an meinem Handgelenk befestigte, mit leiernder Stimme hin und erklärte mir, welchen Aufzug im Inneren ich nehmen musste, um zur Festhalle zu gelangen. Wie oft er diese Sätze heute wohl schon gesagt hatte?
»Vielen Dank für Ihre Mühe«, sagte ich und lächelte dem Mann zu, der mich überrascht anblinzelte.
Dann lächelte er ebenfalls und wies Atlantis an, mir die letzte Tür zu öffnen, die mich von den Fahrstühlen trennte. »Viel Spaß!«, wünschte er mir und es klang, als meinte er es vielleicht sogar ehrlich.
Das Gefühl, etwas Nettes getan zu haben, glitt warm meinen Bauch herab und ich ertappte mich dabei, zusätzlich zu der Neugier auch ein wenig Vorfreude zu empfinden. Ich verknotete die Hände ineinander und betrat nach kurzem Warten den Fahrstuhl, der mich innerhalb von Sekunden in die Etage brachte, in der die Feierlichkeiten stattfinden sollten.
Im Gang vor dem großen Festsaal blieb ich stehen und ließ die Umgebung auf mich wirken. Thera hatte mir zwar erzählt, dass die Creme de la Creme solche Gelegenheiten gern nutzte, um sich zu zeigen, aber davon zu hören oder es zu sehen, waren zwei ganz unterschiedliche Dinge. Wohin ich auch blickte, überall standen Grüppchen in schicker Kleidung herum und unterhielten sich gedämpft, während sie einander mit Sektkelchen zuprosteten.
Ein letztes Mal holte ich tief Luft, bevor ich den Saal schließlich betrat. Augenblicklich schlug mir ein herrlicher Duft entgegen und ich wandte automatisch den Kopf in die Richtung, aus der er kam. Braun gekleidete Mitarbeiter der Stufe 4, die für die Nahrungsmittel zuständig waren, hatten mehrere Tische zu einer langen Fläche zusammengestellt und dort alles, was ihre Produktion so hergab, aufgebaut.
Ich ließ den Blick darüber gleiten und mir wurde anders. Auf dem ersten Tisch lag Obst, soweit das Auge reichte. Bananen, Mandarinen, Orangen, Ananas und noch viel, viel mehr. Teilweise war es zu prunkvollen Bauten aufgetürmt, bei denen ich schon vom Hinsehen Angst bekam, dass sie zusammenstürzten, wenn sich einer an ihnen bedienen würde. Früchte, die es schon seit Jahrhunderten nur zu ganz besonderen Anlässen gab, weil sie schwer zu züchten waren und sogar solche, die ich bislang nur aus den Videos der Lernabschnitte kannte. Alles war fantasievoll dekoriert und dampfendes Trockeneis sorgte dafür, dass das Obst gekühlt wurde.
»Faszinierend, nicht wahr?«, vernahm ich eine helle Stimme neben mir und zuckte zusammen. Eine junge Frau, ganz in weiß gekleidet sah mich amüsiert an. Sie trug ein Schild am Revers, dass sie als Nadeesha auswies. »Sie müssen Valea sein, eine unserer Preisträgerinnen. Das System hat mir ihre Ankunft bereits gemeldet.«
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