Ich nickte. Zu beidem. Vor mir stand tatsächlich die persönliche Assistentin von Michael, dem Leiter der gesamten Station und ... sie sprach mit mir! Für jemanden, für den dieser Prunk nicht alltäglich war, wirkte all das hier tatsächlich zunächst einmal faszinierend. Auch, wenn es nichts an meiner Grundeinstellung änderte. »Wofür werde ich eigentlich ausgezeichnet?«, stellte ich die Frage, die mich schon beschäftigte, seit Thera mich mit der Einladung zu dieser Feier überrumpelt hatte.
Für den Bruchteil einer Sekunde geriet das Lächeln von Nadeesha ins Wanken, aber sie war viel zu sehr Profi, als dass es jemand bemerkt hätte, der sie nicht so genau beobachtete, wie ich es gerade tat. »Nun, soweit ich weiß, sind sie der jüngste, ausgebildete Med-Op, den es jemals auf D.U. Atlantis gab«, fing sie sich schnell und auch ihre Mundwinkel hoben sich wieder. »Dank eines IQ von 157 haben sie in den schulischen Lernabschnitten mehrere Jahre übersprungen und auch während der Studienzeit war ihr Lernfortschritt so enorm, dass sie schneller promovierten als jeder andere Student zuvor.«
Verblüfft sah ich die schlanke Frau neben mir an, die sich mit einer Handbewegung das dunkelbraune Haar hinter das Ohr strich. »Ich bekomme eine Auszeichnung, weil ich schneller lerne als andere?« Gut, es war tatsächlich noch nie vorgekommen, dass ein Bewohner schon mit achtzehn Jahren fertig ausgebildeter Medical Operator war – das hatte ich irgendwann aus Neugier mal in der Datenbank des Bordcomputers recherchiert – aber das darum so ein Wirbel gemacht wurde, verstand ich nicht.
»Genau.« Nadeesha nickte. »Und nun bitte ich sie, mich zu entschuldigen, es ist ein weiterer Preisträger eingetroffen. Ich wünsche ihnen viel Spaß.«
Ehe ich mich versah, stand ich wieder allein da und sah dabei zu, wie die Assistentin vom obersten Boss den nächsten Preisträger begrüßte, einen Mann in den Vierzigern, der immer wieder nervös die Augen zusammenkniff und dessen Ausgehkleidung so schlecht saß, dass ich einen stillen Dank an meine besten Freunde sandte, denn ich sah – sogar in meinen Augen – wirklich passabel aus! Es hatte mich zwar extrem genervt, dass sie so ein Theater um diesen Abend gemacht hatten, aber jetzt war ich doch erleichtert darüber, dass sie sich bezüglich meiner Garderobe durchgesetzt hatten.
Thera hatte meine widerspenstigen roten Locken vom linken Ohr ausgehend so über meinen Kopf zur anderen Seite geflochten, dass mir keine störenden Strähnen ins Gesicht fallen konnten, die Haare aber hinten dennoch in weichen Wellen über die beigefarbene Bluse fielen. Der geschwungene blaue Rock wippte bei jedem Schritt fröhlich um meine Beine und ich musste zugeben, dass die Ballerinas wirklich bequem waren. Ja, ich war angenehm überrascht von meinem Spiegelbild gewesen.
Über mich selbst grinsend löste ich mich vom Obsttisch und schlenderte weiter. Ein Kellner blieb vor mir stehen und hielt mir ein Tablett entgegen, auf dem sich verschiedenfarbige, vom Inhalt nicht zu definierende Flüssigkeiten in Sektkelchen befanden. Ich lächelte und griff nach einem, von dem ich hoffte, dass sich Orangensaft darin befand. Der nächste Aufbau beinhaltete kleine Snacks, die aber Kanapee genannt wurden, wie Aaron mich aufgeklärt hatte, und metallene Tabletts mit Tomaten- oder Champignonsuppe darauf, die von unten mit einem brennenden Gel auf Temperatur gehalten wurden.
Auf dem nächsten Tisch starrte mich ein Schwein mit knusprig braungebratener Haut und einem Apfel in der Schnauze an. Mein Mund klappte auf und ich war versucht, das Tier anzufassen, um zu überprüfen, ob es echt war. Aber vermutlich würde man mich dann für vollkommen durchgeknallt halten. Ob dieses Tier auch nur annähernd so schmeckte wie die Fleischpaste auf unserem täglichen Speiseplan, von der behauptet wurde, sie beinhalte mindestens zwei Prozent echtes Schwein? Ich wusste, dass es auch Tierweiden in der Produktionskuppel gab und dass dort neben Hühnern auch Schweine gehalten wurden, aber ich hatte noch nie eines so nah vor mir gesehen. Gut, dieses hier war tot, aber immerhin bestand es nicht aus künstlich hergestelltem Pressfleisch.
Gerade, als ich mich dem letzten Tisch, auf dem die Nachtische standen, widmen wollte, veränderte sich das Licht und ein Raunen ging durch die Anwesenden. Ich wandte meinen Kopf in die Richtung, in die auch alle anderen blickten. Scheinbar wusste mal wieder jeder außer mir, was jetzt passieren würde. Die dem Buffet gegenüberliegende Wand glitt fast lautlos auseinander und vergrößerte den Raum noch einmal um die gleiche Größe. Dahinter kamen nun festlich dekorierte Tische zum Vorschein und vor diesen standen Stationsleiter Michael, Corvin und Elizabeth.
Alle drei waren komplett in weiß gekleidet und ich konnte nicht anders, als Elizabeth anzustarren. Sie trug ein bodenlanges Kleid, das im Nacken zusammengehalten wurde und ihren Körper wie eine zweite Haut umschmeichelte. Ein goldglitzerndes Band war um ihre Hüfte gebunden und passte perfekt zu den golden abgesteppten Nähten des weißen Sakkos und der Anzugshose, die der Mann an ihrer Seite trug.
Zugegeben – diese Frau hatte einfach eine umwerfende Wirkung, solange sie den Mund hielt. Aber auch Corvin, der den Arm besitzergreifend in ihren Rücken gelegt hatte, sah in Natura so aus, wie Thera ihn beschrieben hatte.
Hotter als Hot.
Wie hätte ich leugnen können, was so offensichtlich war? Sogar seine Haare, die eigentlich einen Tick zu lang waren und ihm in verwegenen Strähnen ins Gesicht hingen, schmälerten seine Ausstrahlung nicht.
Mühsam riss ich mich von ihm los und lenkte meine Aufmerksamkeit auf Michael. Auch Corvins Vater war eine durchaus beeindruckende Erscheinung, wenn auch auf andere Weise. Fast zwei Meter groß überragte er so ziemlich jeden in diesem Saal, obwohl schon sein durchdringender Blick allein eine einschüchternde Wirkung hatte.
»Guten Abend«, erklang seine ruhige und leise Stimme. Ich hatte noch nie jemanden erlebt, der so dezent seine Überlegenheit demonstrieren konnte wie er. »Ich freue mich, dass alle Preisträger meiner Einladung gefolgt sind und gemeinsam mit mir und meinem Sohn diesen Abend verbringen wollen.«
Wollen? Ja klar, so was von. Wüsste ich nicht um die Lebensmüdigkeit, die das beinhaltete, hätte ich gelacht. So aber blickte ich nur weiter stumpf nach vorn und legte jenes nichtssagende Lächeln auf meine Lippen, das ich gestern auch Elizabeth geschenkt hatte.
»Meine Assistentin Nadeesha wird die einzelnen Preisträger und die weiteren Gäste jetzt nach vorn bitten, damit wir einander kurz vorstellen können, bevor wir dann zum angenehmen Teil übergehen können, dem Essen.« Er lachte pflichtschuldig, aber sogar von hier aus konnte ich sehen, dass seine Augen teilnahmslos blieben.
Leiser Applaus erklang und dann sah ich auch schon Michaels Assistentin durch den Raum auf mich zu kommen. Mit klopfendem Herzen folgte ich ihr und wartete, bis der Stationsleiter die restlichen Gäste und den zweiten Preisträger begrüßt hatte. Endlich war auch ich an der Reihe und die Stimme des Stationsleiters erklang vor und über mir.
»Sie sind also die junge Dame, die trotz ihres zarten Alters schon so viel erreicht hat und als Jahrgangsbeste bei den Medical Operators promoviert hat?«
Ein Schauer rann mir über den Rücken und ich wagte nicht, meinen Kopf anzuheben, während ich nickte. »Ja, Sir«, antwortete ich leise.
»Corvin, darf ich dir Valea vorstellen? Ich setze große Hoffnungen in ihre Fähigkeiten. Ich glaube, sie wird noch großartige Dinge für unsere Station tun.« Auch wenn die Worte wieder leise gesprochen waren, war mir der verborgene Befehl, der eindeutig an seinen Sohn gerichtet war, nicht entgangen und das ließ mich nun doch neugierig den Blick heben.
»Guten Tag, Valea.« Corvin streckte mir die Hand entgegen und sein leicht verkrampftes Lächeln machte mir klar, dass er mindestens genauso viel Bock auf diese ganze Aktion hatte wie ich. Nämlich gar keinen. »Ich gratuliere dir herzlich zu deiner Auszeichnung!«
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