Katharina
Hacker
Darf ich dir
das Sie anbieten?
Minutenessays
Sentiment und Gefühl Sentiment und Gefühl Sentimente haben viele Leute, einige haben dabei wenig Gefühl. Gefühle hat man für andere oder für sich selbst, ein Sentiment ist selbstgenügsam, mehrere sind es auch. Sie können heftig sein, für sich bleiben sie trotzdem, deswegen ist das so anstrengend. Die Anteilnahme der anderen wollen sie, ansonsten sind die anderen nicht wirklich vorgesehen. Manchmal habe ich auch Sentimente, man könnte das alles anders definieren, meine Sentimente gehen mir auf die Nerven, ich habe oft wenig Gutes an ihnen entdecken können.
Begleiten Begleiten Bücher können die Leere in einem ausfüllen. Manchmal tun sie das auf hochherzige Weise, manchmal durch Schrecken, zuweilen ersetzen sie, was dem eigenen Leben fehlt. Die Leere nehmen sie ein, die wir mit unserem Leben einnehmen könnten, mit einer Liebesgeschichte, einer Lebensveränderung. Darin sind sie auf unserer Seite. Ich bin trotzdem parteiisch für die anderen Bücher, die keine Leere füllen, statt dessen uns Gesellschaft leisten, am Rande begleiten und hin und wieder einen Boten zu uns schicken.
Schicksal Schicksal Das ist aber schade, daß man nicht mehr von Schicksal redet. Da gibt es nichts, worein man sich mit etwas Groß- und Hochmut und anderem Pomp schicken könnte, und tun muß man es doch, oft ins Unwesentliche, mit Geduld, in Langmut. Es geht nicht aus wie geplant. Es geht, streng genommen, gar nicht. Ein chassidischer Rabbi sagt: Kann man nicht obendrüber, muß man eben untendurch. Ein anderer sagt: Kann man nicht drüber weg, muß man eben doch drüber weg.
Wetter Wetter Man redet über das Wetter, es geht den Bach runter, sagt man, der Winter kein Winter mehr, die Sommer zu heiß und zu trocken, die Nächte zu kalt, der Globus dreht sich, das ist auch alles, und der Philosoph Bertrand Russell bemerkte schon zum Huhn, das jeden Morgen sein Futter erwartet, jedoch eines Tages geköpft wird, es hätte sich besser einen genaueren Begriff von Induktion gemacht. Das Wetter ist zum Fürchten, oder anders herum, wenn man sich eh fürchtet, warum nicht auch vor dem Wetter. Harmlos ist das Thema nicht, seit wir denken, das Wetter sei weder launisch noch gottgegeben. Wir haben es gemacht, und was wir angerichtet haben, ist schlimmer als ein Gottesgericht. Wir sind uns selbst ausgeliefert, in uns sind wir das schon immer, jetzt sind wir es auch in der Welt. Das Werk unserer Phantasie quält unsere Phantasie.
Wolke Wolke Manchmal fehlen die Vögel: ihre Stimmen. Manchmal fehlt der einzig sanfte Moment am Tag, eine bekömmliche Wolke, ein kurzes Innehalten des Windes.
Später Später Wie oft versteht man’s nicht zu dem Zeitpunkt, da man es verstehen wollte und sollte: Was es heißt, zu lieben, was es heißt, ein Elternhaus zu verkaufen, was es bedeutet, eine Freundschaft zu beenden, was es bedeutet, jemanden vor seinem Tod nicht mehr gesehen zu haben oder gerade umgekehrt sich doch zu verabschieden. Was man nicht verstanden hat in dem Moment, in dem es vielleicht darauf ankam, ist darum nicht verloren. Es wartet. Es ruht, wie es in einer der von Martin Buber gesammelten Geschichten heißt, auf dem Herzen. Denn meist, wer könnte das leugnen, ist das Herz verschlossen. Dann aber öffnet es sich, öffnet sich doch einmal, für einen Augenblick, und was darauf lag, fällt hinein in seine Tiefen. Und wir verstehen es, glücklich oder mit Wehmut, da es zu spät ist, oder mit dem unwägbaren Gefühl, daß sich etwas ereignet hat.
Versuchen Versuchen Es gibt Zeiten, in denen die Sprache zu nichts da zu sein scheint, als die Position zu bestimmen, dies und jenes genau abzugrenzen und sich von anderen. Andererseits aber ist Sprache dazu da, Platz zu schaffen, Gerümpel beiseite zu schaffen, damit man endlich wieder atmen kann. So sind Essays gemeint, und wenn man dann von Versuchen spricht, hat das eine zweite Absicht: eine Verlockung aus dem enger werdenden Geflecht hinaus.
Meinung Meinung Daß es als selbstverständlich und geradezu natürlich gilt, eine Meinung zu diesem und jenem zu haben, darüber kann man sich gar nicht genug wundern. Wie lustig, möchte man sagen. Eine Meinung, schon wieder eine!
Wie lange denn? Wie lange denn? Gegen das Sterben von alten Leuten ist nichts einzuwenden, nur dagegen, daß sie auch anderntags noch tot sind und auch wochenlang danach, gar nicht mehr aufhören damit. Warst lange genug tot, nun komm! – möchte man sagen, es hilft aber nicht, und das ist der Kummer. Andererseits hat es bei Alten auch etwas Großzügiges, wenn man noch einmal (als wäre Neujahr mit Vorsätzen und Guten Wünschen und Mahnungen auch) sich fragt, wer man nun sein wird, wo diese oder jener tot – und will ich nicht vielleicht, da sie nun davon und die Geltung ihres Blicks disponibel, doch einen roten Mantel kaufen, nach Brindisi fahren oder einfach früh schlafen gehen, ohne einen gestrengen Anruf fürchten zu müssen und gescholten zu werden? Gute Tote geben mit ihrem Tod Wege frei. So stünde alles zum Besten. Blieben sie nur nicht so ewig tot.
Beschreibung der Dinge Beschreibung der Dinge Verabschiedet man sich von der Idee, daß der sichere Umgang mit der Welt die richtige Beschreibung wie nebenher produziert, öffnet sich eine andere Perspektive. Was uns umgibt, möchte man sagen, ist in Jahrhunderten beschrieben worden. Die Sätze wurden den Dingen nicht abgezogen, im Gegenteil fügten sie etwas hinzu, und umgekehrt dem Wort die Dinge. Es ist nicht Zauberei, daß fast jeder Satz eine Überraschung für uns parat hat. Und manchmal birgt eine unverblümte Darstellung eine Erkenntnis. Das rechte Wort fällt nicht, weil einer energisch spricht, sondern weil man die Beschreibung ernst nimmt. Und darauf achtet, daß Holz und Nägel für einen Schreiner und einen Christen verschieden klingen, wie Ziegelstein für einen Feind von dicken Büchern und einen Maurer.
Blühendes Alter Blühendes Alter Es gibt einen guten Grund, warum man gebrechlich und schäbig wird: Nichts nämlich macht dies Debakel wett, außer Witz, Charme, Großzügigkeit. Das Alter ist die Zeit, aufzublühen – vorher blüht’s sich von selber.
Ansprüche Ansprüche Ebenso oft wie ich versuche, mir das Leben gut einzurichten, wundere ich mich darüber; über meine Ansprüche mehr als über allerlei Phantasien. Die Phantasien sind bescheiden: man könnte einen großen Garten in einer hügeligen Landschaft haben, durch den ein kleiner Bach flösse. Sie müssen sich auch nicht verwirklichen. Wünsche und Phantasien verbinden mich mit den anderen Menschen, meine Ansprüche trennen mich von ihnen: denn ich will zu den wenigen gehören, die schöne Orte, Gesundheit, Wohlstand und andere Arten von Glück okkupieren.
Authentisch Authentisch Inszeniert sollte im Leben viel mehr sein, das Authentische neigt zu Socke und Trainingshose. Aus der Entfernung sieht man andere besser und sich selbst auch, was nicht schaden kann – immerhin die Perspektive, die man mit anderen teilt. Ist es ein erfreulicher Anblick, der sich bietet? Aus der Ferne sieht man, wie segensreich Lippenstift ist oder delirierender Charme über einem Abgrund.
Читать дальше