Talent zu Lebensaltern Talent zu Lebensaltern Meine jüngere Tochter war, wenn ich das so unverblümt sagen darf, ein untalentiertes Baby. Sie war in rasender Schnelligkeit geboren, wie sie auch danach schnell war, und ich bildete mir ein, in ihrem ersten Blick gelesen zu haben: Das hatte ich mir anders vorgestellt. Sie war kein Baby, das sich leicht tat, zufrieden zu sein, und ich erinnere mich deutlich an den Moment, da ich wußte, jetzt wird es besser, nämlich als sie zu sprechen anfing. Daraus habe ich gelernt, daß man nicht für alle Lebensalter begabt ist. Und rückblickend begriff ich, daß ich eine lausige Pubertierende war. Ich kenne Leute, die wenig Talent zum Älterwerden haben, und solche, denen die sogenannte Blüte, irgendwo zwischen dreißig und fünfundvierzig, eine Mühsal ist. Es lohnt, sich die eigenen Kinder und überhaupt Menschen, mit denen man zu tun hat, daraufhin anzugucken, ob sie in einer unauffälligen oder gelingenden Phase sind oder sich plagen müssen, weil das Alter gerade so wenig paßt wie ein schlecht sitzendes Kleid.
Bei Trost! Bei Trost! Als ich meine Patentante, die mit Anfang achtzig ihren Mann verlassen hatte, mit gewisser Strenge fragte, ob das habe sein müssen, antwortete sie: Du hast ja keine Ahnung. Sechzig Jahre, und jeden Tag verheiratet. Ein Wunder, daß man noch bei Trost ist! Sie pausierte und sagte mir, die mit Anfang dreißig allein lebte: Du, du bist frei wie ein Vogel . Pausierte und ergänzte: Wie ein Vogel auf der Stange!
Denken
Sie!
Unberechenbare Freundlichkeit
Muß es sein?
Präzise
Immer das gleiche
Älter
Hand in Hand
Umgang mit Tieren
Respekt
Natürlich!
Kuscheltiere
Sie II
Zuhören
Geschenke
Unbegabt
Hund
Streiten!
Blind
Nett
Beizeiten
Touristen
Die Wahl lassen
Feste
Typisch
Noch nie gestorben
Leicht haben
Seicht
Freiheit I
Überraschen
Hab dich lieb!
Wie sieht es aus?
Zähne
Zärtlich
Bescheiden oder nicht
Bauklötzchen
Wieviel Platz
Vorteil
Spielzeug
Guckt her!
Da guckt die Katz’ den Kaiser an
Überlegen
Alte Sachen
Groll
Last und Beweis
Krank mit Hund
Allzu nahe ist kaum etwas schön
Entgangenes
Kluge Tiere
Evidenz
Alte Gegenstände
Alternde Ehen
Phantasie
Tja
Besserwissen
Engel und Geräte
Neuer Mensch
Kindertotenspiele
Widergänger
Atmender Hund
Freiheit II
In den Schoß
Drastisch und dramatisch
Eine Form der Wachheit
Nicht unterwürfig
Gelenke
Meine Quellen
Rückblickend
Gern neidisch
Oberfläche
Spazieren mit Hund
Grob
Ziehen Sie sich zum Abendessen um?
An wen denken
Mein Bild
Hier!
Hauptsache lebendig!
Das ist ein Notizbuch. Es ist etwas darin gedruckt, sehr kurze Essays, die man zwischen zwei Haltestellen lesen kann oder im Stau. Genauso ist Platz für Ihre Notizen.
Das Buch passt in eine Jackentasche.
Man kann es biegen.
Sie können es weiter verschenken, mit Ihren Notizen zu Freundschaft, Nähe, Hunden, Kindern. Für Liebe ist Platz und für den Tod. Katzen kommen erst im nächsten Band vor.
Vieles ist ausgelassen.
Es sind Essays, das heißt: der Anfang von etwas. So ist das gedacht.
Sentimente haben viele Leute, einige haben dabei wenig Gefühl. Gefühle hat man für andere oder für sich selbst, ein Sentiment ist selbstgenügsam, mehrere sind es auch. Sie können heftig sein, für sich bleiben sie trotzdem, deswegen ist das so anstrengend. Die Anteilnahme der anderen wollen sie, ansonsten sind die anderen nicht wirklich vorgesehen. Manchmal habe ich auch Sentimente, man könnte das alles anders definieren, meine Sentimente gehen mir auf die Nerven, ich habe oft wenig Gutes an ihnen entdecken können.
Bücher können die Leere in einem ausfüllen.
Manchmal tun sie das auf hochherzige Weise, manchmal durch Schrecken, zuweilen ersetzen sie, was dem eigenen Leben fehlt.
Die Leere nehmen sie ein, die wir mit unserem Leben einnehmen könnten, mit einer Liebesgeschichte, einer Lebensveränderung.
Darin sind sie auf unserer Seite.
Ich bin trotzdem parteiisch für die anderen Bücher, die keine Leere füllen, statt dessen uns Gesellschaft leisten, am Rande begleiten und hin und wieder einen Boten zu uns schicken.
Das ist aber schade, daß man nicht mehr von Schicksal redet.
Da gibt es nichts, worein man sich mit etwas Groß- und Hochmut und anderem Pomp schicken könnte, und tun muß man es doch, oft ins Unwesentliche, mit Geduld, in Langmut. Es geht nicht aus wie geplant. Es geht, streng genommen, gar nicht.
Ein chassidischer Rabbi sagt: Kann man nicht obendrüber, muß man eben untendurch.
Ein anderer sagt: Kann man nicht drüber weg, muß man eben doch drüber weg.
Man redet über das Wetter, es geht den Bach runter, sagt man, der Winter kein Winter mehr, die Sommer zu heiß und zu trocken, die Nächte zu kalt, der Globus dreht sich, das ist auch alles, und der Philosoph Bertrand Russell bemerkte schon zum Huhn, das jeden Morgen sein Futter erwartet, jedoch eines Tages geköpft wird, es hätte sich besser einen genaueren Begriff von Induktion gemacht.
Das Wetter ist zum Fürchten, oder anders herum, wenn man sich eh fürchtet, warum nicht auch vor dem Wetter. Harmlos ist das Thema nicht, seit wir denken, das Wetter sei weder launisch noch gottgegeben. Wir haben es gemacht, und was wir angerichtet haben, ist schlimmer als ein Gottesgericht. Wir sind uns selbst ausgeliefert, in uns sind wir das schon immer, jetzt sind wir es auch in der Welt. Das Werk unserer Phantasie quält unsere Phantasie.
Manchmal fehlen die Vögel: ihre Stimmen. Manchmal fehlt der einzig sanfte Moment am Tag, eine bekömmliche Wolke, ein kurzes Innehalten des Windes.
Wie oft versteht man’s nicht zu dem Zeitpunkt, da man es verstehen wollte und sollte: Was es heißt, zu lieben, was es heißt, ein Elternhaus zu verkaufen, was es bedeutet, eine Freundschaft zu beenden, was es bedeutet, jemanden vor seinem Tod nicht mehr gesehen zu haben oder gerade umgekehrt sich doch zu verabschieden.
Was man nicht verstanden hat in dem Moment, in dem es vielleicht darauf ankam, ist darum nicht verloren. Es wartet. Es ruht, wie es in einer der von Martin Buber gesammelten Geschichten heißt, auf dem Herzen. Denn meist, wer könnte das leugnen, ist das Herz verschlossen. Dann aber öffnet es sich, öffnet sich doch einmal, für einen Augenblick, und was darauf lag, fällt hinein in seine Tiefen. Und wir verstehen es, glücklich oder mit Wehmut, da es zu spät ist, oder mit dem unwägbaren Gefühl, daß sich etwas ereignet hat.
Es gibt Zeiten, in denen die Sprache zu nichts da zu sein scheint, als die Position zu bestimmen, dies und jenes genau abzugrenzen und sich von anderen.
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