»Schätzchen, du glaubst nicht, was ich darum geben würde, an deiner Stelle zu sein!«, kam es seufzend von Aaron, während er sich zu mir umdrehte und mich aus grünen Augen ausgiebig musterte.
»Vergiss es.« Wider Willen musste ich grinsen, obwohl auch ich einiges dafür geben würde, dass er an meiner Stelle wäre. »Corvin spielt nicht an deinem Ufer. Ich hatte gerade eben erst eine Begegnung der dritten Art mit seiner Verlobten.«
»Bei ihm würde ich es auf einen Versuch ankommen lassen.« Aaron setzte sich in den Schwingsessel neben meinem Bett, zog die Schuhe aus und die Beine an, um sie in einem Schneidersitz zu verknoten. »Also, sag an ... was wirst du mit deinen Haaren machen?«, fragte er.
»Mit den Haaren?«, echote ich. Manchmal fragte ich mich, wie ausgerechnet ich an Freunde wie Thera und Aaron hatte geraten können. Die aufgedrehte, unangepasste Thera, Aaron, der Homosexuelle und ich, die Musterschülerin – vermutlich hatten wir schon in den Lerneinheiten der Schule ein seltsames Bild abgegeben. Vielleicht zogen sich Gegensätze ja wirklich an?
Meine kupferroten Haare fielen mir in leichten Wellen bis weit in den Rücken und ich trug sie zumeist in einem schlichten Zopf, damit sie mir nicht im Weg waren. Was war daran nicht in Ordnung?
»Vergiss es, Val.« Aaron schnaubte energisch, als hätte er meine Gedanken gelesen, ließ die Füße zu Boden gleiten und gab dem Sessel einen Schubs, sodass er vor und zurück wippte. »Du wirst nicht mit einem Pferdeschwanz auf diese Party gehen!«
»Aber in welchem Rhythmus ich atme, darf ich selbst entscheiden?«, gab ich patzig zurück. »Wer sagt, dass ich das vorhatte?«
Mein bester Freund schwieg, aber die Art, wie er beide Augenbrauen nach oben zog und mich ansah, sprach Bände.
»Ja ja, schon gut.« Ich seufzte und rutschte von meinem Bett herunter. Je weniger ich mich sträubte, desto wahrscheinlicher war es, dass ich einigermaßen glimpflich aus dieser Aktion herauskam. »Also, was schlägt Großmeisterin Thera vor?« Mit Sicherheit hatte sie Aaron genaueste Anweisungen gegeben, bevor sie zu ihrem Date mit Mero aufgebrochen war.
Er grinste. »Flechtfrisur, blauer Rock, cremefarbenes Oberteil«, leierte er herunter. »Blau strahlt sympathische Jugendlichkeit aus, beige wirkt dezent überzeugend. Ihre Auswahl kannst du dir auf dem Screen anschauen.«
Blau und Beige? Ich runzelte skeptisch die Stirn und trat an den Monitor, auf dem drei verschiedene Kleiderkombinationen zu sehen waren. Einladungen wie die morgige waren eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen es offiziell erlaubt war, andere Farben als die der Stufenzugehörigkeit zu tragen. Jedoch war ich nicht davon überzeugt, dass ausgerechnet Thera darüber entschied, welche Farben ich miteinander vermischen sollte.
»Na, dann wollen wir mal«, murmelte ich und tippte die erste Kombi an, um die Kleidersimulation zu starten, bevor ich mich zur gegenüberliegenden Wand und dem Spiegel umdrehte. Es würde einen Moment dauern, bis der Computer das virtuelle Modell des ersten von Thera ausgesuchten Sets auf diesen übertragen hatte, daher nutzte ich die Gelegenheit, um mich meiner Arbeitskleidung zu entledigen. Nur noch mit Unterwäsche bekleidet warf ich den grünen Stoff in die in der Wand eingelassene Öffnung für Schmutzwäsche und schob die Schiebetür zur Seite, hinter der sich mein Regal mit Freizeitwäsche befand.
»Set 1 fertig zur virtuellen Anprobe«, meldete der Computer.
Ich zog ein Shirt und eine bequeme Hose aus dem mittleren Fach, warf beides schwungvoll auf mein Bett und tapste dann vor den Spiegel. Ich positionierte mich so mittig davor und begutachtete mit gekräuselter Nase, was ich sah. Zu meiner Überraschung sah ich nicht so fürchterlich aus, wie ich erwartet hatte. Thera hatte einen etwa knielangen, geschwungenen Rock und eine schlichte, beigefarbene Bluse mit rundem Ausschnitt als erste Kombination gewählt. Dazu gab es flache, ebenfalls beige Ballerinas.
Aaron erhob sich und trat an meine Seite. Im Spiegel konnte ich ihn anerkennend nicken sehen. »Du solltest viel häufiger ...«
Noch bevor er erläutern konnte, was ich viel häufiger sollte, ging draußen eine Sirene los und die Computerstimme von Atlantis erklang. »Achtung, Achtung, es folgt eine wichtige Durchsage. Es wurde ein Computerfehler in Kuppel 5 festgestellt. Aus Sicherheitsgründen werden die Systeme aller Kuppeln für eine Dauer von dreißig Minuten ausgeschaltet und neu gestartet. Die Lebenserhaltung ist hiervon nicht betroffen. Ich wiederhole, die Lebenserhaltung ...«
»Oh nein, nicht schon wieder ...«, seufzte ich.
»Du möchtest mich umbringen!«
»Da rein!« Cas stieß mich so heftig an, dass ich grob gegen die Wand prallte und dann in den schmalen Durchgang zu einem der Versorgungsdecks taumelte. Keine Sekunde zu früh. Im nächsten Moment sprintete eines der Sicherheitsteams in der roten Sicherheitsbeleuchtung an unserem Versteck vorbei, das im Halbdunkeln lag. Schwer atmend stützte ich mich auf den Oberschenkeln ab, wobei meinem Mund ein Auflachen entkam. Mein Körper kribbelte.
»Findest du das lustig, Mann?«, fragte Cas und spähte gehetzt um die Ecke auf den Gang. Auch wenn er versuchte, ernst zu schauen, erkannte ich dennoch das begeisterte Funkeln in seinen Augen, als er mich wieder ansah. Er stand genauso darauf wie ich, das konnte er, so oft er wollte abstreiten.
»Ist doch alles gut gegangen«, sagte ich und lehnte mich rücklings gegen die Wand.
»Gut gegangen«, wiederholte Cas genervt. »Sicher. Alles bestens. Du hast nur wieder einmal dafür gesorgt, dass der Computer sich neu bootet, sämtliche Sicherheitseinheiten alarmiert und ... ach scheiße.«
Ich grinste und spürte, wie Adrenalin durch meinen Körper pumpte. Als wäre ich nach der Offenbarung meines Vaters zum ersten Mal wieder lebendig und nicht bloß eine agierende Hülle. »Es hat uns keiner erwischt.«
»Ja, aber das ist nicht deiner ...« Er verstummte, als abermals die Geräusche von schweren Stiefeln erklangen und eine weitere Gruppe Sicherheitsleute an uns vorbeieilte. Cas fuhr sich durch das Haar und atmete angestrengt aus. »Ich wollte sagen, dass das nicht dir zu verdanken ist. Sie haben uns getaggt.«
»Ab diesem Zeitpunkt vergehen meistens noch fünf Minuten. Fünf Minuten, die ich nutzen musste, wenn ich denn schon mal im System bin.«
Cas stieß einen fiepsenden Laut aus, der ein wenig so klang wie Elizabeth, wenn man ihr sagte, dass eine wichtige Veranstaltung anstand. »Ich werd zu alt für den Dreck.«
»Du bist zwanzig«, gab ich kopfschüttelnd zurück.
Im gleichen Moment teilte Atlantis monoton mit: »Normalzustand wiederhergestellt.«
»Na also.« Ich grinste. »Alles halb so schlimm.«
»Du möchtest mich umbringen. Ich bin der festen Überzeugung, dass das dein Wunsch ist.« Cas verzog das Gesicht. »Auf meiner Entsorgungskapsel wird stehen: gestorben aufgrund der Leichtsinnigkeit seines besten Freundes.«
Ich klopfte ihm feixend auf die Schulter. »Besser als: gestorben an Langeweile.«
Ich trat hinaus auf den Gang und fühlte mich beschwingt wie schon lange nicht mehr. Wir hatten uns auf Etage 4 geflüchtet, in der sich ausschließlich kleine Forschungslabore befanden. Eine graue Tür reihte sich an die nächste, waren lediglich durch die Nummer, die digital darauf angezeigt wurde, voneinander zu unterscheiden. Am Ende des Ganges gelangte man zu einem Fahrstuhl, der einen in die oberen Stockwerke führte. Ich legte meine Hand auf das glatte Material, bis die Tür sich öffnete. »Fahrstuhltür offen«, teilte Atlantis mir mit, nur um kurz darauf verlauten zu lassen: »Fahrstuhltür geschlossen.«
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