»Kann ich dich wenigstens fragen, wie du das Sicherheitssystem umgangen hast? Das Dach ist code- und irisgesichert«, fragte er leicht genervt, als ich es weiterhin vorzog, nichts zu sagen. »Ich musste einen riesigen Aufstand zaubern und letzten Endes sogar einen der Wartungstypen bitten, mir die Luke aufzumachen. Jetzt darf ich nachher in meinem Protokoll erklären, warum ich mir hier die Zeit vertrieben habe, statt mich um den zukünftigen Leiter der Station zu kümmern. Denn wenn dein Vater erfährt, dass du ausgerechnet hier bist ...« Er klopfte gegen das massive Rohr neben sich, dass leise vor sich hin blubberte. »Ich schätze, ich muss dir nicht sagen, dass Tresibonol dir ein hübsches Loch in deinen Menschenpelz brennt, falls es hier irgendwelche Undichtigkeiten gibt?«
»Ich habe die Wartungsprotokolle gecheckt. Alles in Ordnung«, erwiderte ich. Natürlich hatte ich das im System geprüft, bevor ich hergekommen war. Zwar war ich bei Weitem nicht so ängstlich wie mein Vater seit dem Hüllenbruch damals, aber eben einfach vorsichtiger geworden.
»Dein Glück. Ich werde sagen, dass du deine Sporteinheit vorgezogen und Sit-ups gemacht hast.« Obwohl mir nicht danach war, zerrte ein Grinsen an meinen Mundwinkeln. Einmal mehr stand es für ihn außer Frage, mich zu decken. Cas war nicht einfach nur mein persönlicher Wachmann. Ich konnte kaum zählen, wie oft er schon den Kopf für mich hingehalten hatte.
»Also? Details? Wie hast du den Schließmechanismus umgangen?« Natürlich wusste ich von seinem technischen Interesse, vielleicht war es letzten Endes sogar das gewesen, was uns beide zusammengeschweißt hatte. Doch heute war mir nicht danach zu fachsimpeln, also hob ich nur meinen Arm, an dessen Handgelenk ein Sicherheitsarmband baumelte, das gelb leuchtete.
»Ach. Du. Scheiße«, stieß Cas hervor, klang aber eher begeistert als wirklich schockiert. »Wo hast du das denn her?«
»Im Bürotrakt meines Vaters gibt es ein Lager, in dem die Dinger herumliegen«, gab ich wortkarg zurück.
»Heute lässt du dir alles aus der Nase ziehen, oder?« Cas stieß mich an. »Du hast dir eins genommen und auf die höchsten Freigaben programmiert?«
Er fragte, obwohl er natürlich längst wusste, was ich getan hatte. Als ich den Kopf in seine Richtung drehte, hielt er sich sein eigenes Armband unmittelbar vor das Gesicht. Seines leuchtete orange, keine besonders hohe Freigabe, was wohl auch daran lag, dass mein Vater sich auf diese Weise erhoffte, auch meinen Lebensraum einzuschränken. Ein sinnloses Unterfangen, da ich in den letzten Jahren meinen eigenen Weg gefunden hatte, mich frei auf der Station zu bewegen. Und diese Armbänder sorgten mit der richtigen Freigabe immerhin dafür, dass weder ein Irisscan noch eine Codeeingabe nötig wurde.
»Kannst du meins nicht auch umschreiben?«, fragte Cas.
»Damit es eine Warnung im System gibt und du deinen Job loswirst? Sicher nicht.«
»Du hängst halt an mir. Ich bin gerührt«, sagte er feixend.
Jeder Sicherheitsbeamte trug eines dieser Armbänder. Es war durchsichtig, fingerdick und umlief das Handgelenk. Anhand der Farbe, in der es leuchtete, konnten die Bewohner der D.U. Atlantis ausmachen, welche Freigabeberechtigung die Sicherheitsleute besaßen. Außerdem erkannte das System, welchen Zugang man hatte. Gelb war die höchste Freigabestufe. Man durfte überall hin und niemand zeichnete auf, wo man sich herumtrieb. Keine Rechenschaft. Freiheit.
»Aber trotzdem. Das ist ... es ist einfach genial«, stieß Cas aus und lachte auf. »Warum sind wir da nicht eher drauf gekommen?«
»Es wird nicht lange funktionieren«, erwiderte ich. »Das System wird bald erkennen, dass ich einen Account doppelt angelegt habe und den hier löschen.« Als hätte das Armband meine Worte vernommen, begann es mehrfach zu blinken - ein Warnzeichen - ehe es schließlich erlosch.
Cas seufzte. »Hach, wäre auch zu schön gewesen, um wahr zu sein.«
»Hm.«
Stille. Der Quallenschwarm hatte sich von der Kuppel beinahe entfernt, sodass nur noch ein wenig Helligkeit zu uns hereinfiel. In den Wartungsbereichen gab es keinen schönen Schein, sondern nur kaltes Metall, Rohre und Leitungen. Ich mochte das. Orte wie dieser versteckten sich nicht hinter einer hübschen Fassade, sondern zeigten unmittelbar, was in ihnen steckte. Als würde man einen Blick in das Innere der D.U. Atlantis werfen dürfen.
»Alter. Dein Schweigen geht mir auf die Nerven. Was ist los?«
»Er hat einen Hochzeitstermin festgelegt«, sagte ich kühl.
Cas sog scharf Luft ein. »Scheiße.«
»Ja«, erwiderte ich nur, denn das traf es ziemlich genau.
»Wann?«
»Er gibt mir zwei Monate.«
Cas lachte nervös auf. Ich musste ihm nicht erklären, dass ich mit er meinen Vater meinte. Derjenige, der sich von einem entspannten Stationsleiter in einen peniblen Kontrollfreak verwandelt hatte. Er bestimmte, was ich aß, wann und wie viel ich trainierte, wo ich mich aufhielt, legte meinen Lehrplan fest und nun entschied er auch noch, mit wem ich den Rest meines Lebens verbringen sollte. Eine Weile lagen wir so da, während die fluoreszierende Helligkeit wieder der Dunkelheit der Meerestiefe Platz machte.
»Vielleicht wird es besser?«, fragte Cas.
»Was?«
»Na, mit Elizabeth.«
Ich lachte freudlos auf. »Sicher.«
Elizabeth war nicht nur übernervös, sondern auch laut und schrill. Allein, wenn ich ihre Stimme hörte, bekam ich Kopfschmerzen. Um das ein Leben lang ertragen zu können, müsste man sie schon auf stumm schalten können. Doch das allein war es nicht. Ihre letzte Intelligenz- und Lernbereitsschaftsstudie wies sie entweder als faul oder als nicht besonders heller Strahler unter dem Meer aus. Und genau das deckte sich auch mit dem Eindruck, den ich in den letzten Jahren von ihr gewonnen hatte. Selbst dem gräulichen Nahrungsmittelbrei für die niedrigeren Stufen traute ich mehr Feingefühl und Weitsicht zu.
»Aber sie ist scharf«, sagte Cas und ich konnte, ohne hinzuschauen, sein Grinsen hören.
»Klasse.«
»Alter«, sagte Cas erneut und zog die Vokale bei dem Wort nervend in die Länge. »Geiler Arsch. Hübsche Brüste. Lange blonde Haare. Schon mal was davon gehört, die Dinge etwas positiver zu sehen?« Wieder musste ich grinsen, obwohl ich eigentlich nicht in der Stimmung war. Cas war schon häufig wegen seiner altertümlich ordinären Ausdrucksweise abgemahnt worden, aber das interessierte ihn genauso wenig wie mich die auferlegten Regeln meines Vaters.
»Weißt du, was sie mich gestern gefragt hat?«, presste ich hervor.
»Nein?«
»Sie hat mir gesagt, dass sie darüber nachdenkt, warum die Kuppeln rund sind und nicht eckig. Und wollte wissen, ob mich das auch manchmal beschäftigt.«
Eine Weile herrschte Stille, doch schließlich drang ein leises Glucksen zu mir herüber.
»Kurz danach hat sie gesagt, dass sie sich oft darüber den Kopf zerbricht, ob unsere Kinder wohl einmal hübsch werden und was wir unternehmen sollen, wenn sie es nicht sind.«
»Was ihr ... unternehmen sollt? Was meint sie denn, was man da tun könnte?« Die Frage war von leisem Lachen erfüllt, während sein Körper neben mir zuckte. Geschichten von Elizabeth und ihren verbalen Ergüssen hatte uns manchen wirklich nervigen Tag gerettet. Doch heute, mit der Aussicht auf die Zukunft war mir nicht nach lachen zumute.
»Ja. Das habe ich auch gefragt.«
»Und was hat sie gesagt?«
»Dass in diesem Fall sicherlich eine der kinderlosen Familien bereit wäre, unseren Nachwuchs zu adoptieren.«
Cas schnappte nach Luft. »Das hat sie nicht gesagt?«
»Doch hat sie. Und sie hat es auch noch begründet. Da es weniger hübsche Kinder ja schlecht im Leben haben, wäre es für sie leichter, wenn sie bei ebenso hässlichen Eltern auswachsen, weil die sie besser auf die Zukunft vorbereiten könnten als wir.« Der Tank unter uns begann wieder zu blubbern und einen Moment war das das einzige Geräusch, das unsere Umgebung füllte. Anscheinend war auch Cas das Lachen vergangen.
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