»Guten Morgen, Denissa«, begrüßte ich die in blau gekleidete junge Frau, die mit baumelnden Füssen auf der Liege saß und mich abwartend ansah. Ich legte Wert darauf, meine Patienten mit dem Namen anzusprechen, gleich welcher Stufe sie angehörten. »Wie geht es dir?«
»Guten Morgen, Med-Op.« Denissa lächelte, und nur ihre leicht kratzige Stimme deutete noch darauf hin, dass sie vor kurzem noch ziemlich erkältet gewesen war. »Mir geht es gut.«
»Einen Finger bitte«, wies ich sie an und zückte das mobile Labor-Blutwerte-Messgerät, das ich einfach nur Laboretti nannte, weil mir sein eigentlicher Name viel zu lang war. »Jetzt pikst es einmal kurz«, erklärte ich, obwohl ich mir sicher war, dass die junge Frau wusste, was auf sie zukam. Sie hielt mir den Finger ihrer rechten Hand hin. Ich positionierte Laboretti und löste die Nadel aus.
Ein kurzer Signalton verriet die erfolgreiche Blutentnahme und ich blickte auf das kleine Display. Dort erschien ein Wert nach dem anderen, und nach einigen Sekunden wusste ich, dass ich wirklich gute Nachrichten weitergeben konnte.
»Atlantis, die Werte der Q1-Patientin sind wieder im Normbereich. Bitte mach einen Vermerk in der Akte, dass ich sie mit dem heutigen Tag als gesund entlasse. Des Weiteren erteile ich der Patientin die einmalige, nur heute gültige Erlaubnis, die Schleuse selbstständig zu öffnen, um die Quarantänestation nach erfolgter Desinfizierung zu verlassen.«
Neben mir erklang ein freudiges Jauchzen.
»Verifiziert. Ich vermerke, dass du die Q1-Patientin als gesund entlässt und eine einmalige, nur für heute geltende Erlaubnis erteilt hast, die Schleuse durch die Patientin zu öffnen.«
Warum musste dieser Computer eigentlich immer alles wiederholen? Kopfschüttelnd wandte ich mich Denissa zu. »Wenn du gleich wieder im Zimmer angekommen bist, ziehst du dich bitte vollständig aus und wirfst alles, was du anhast, in den dafür vorgesehenen Behälter. Ich werde veranlassen, dass man dir im Schleusenzimmer frische Kleidung bereitlegen wird. Weiterhin stelle ich dir einige Vitamine zusammen, welche du bitte für die Dauer von weiteren sieben Tagen einnimmst, um dein Immunsystem wieder zu stärken«, erklärte ich ihr.
Ein glückliches Lächeln zierte das Gesicht der jungen Frau. »Danke«, flüsterte sie.
Die letzten Tage mussten ziemlich langweilig für sie gewesen sein, da sie vermutlich außer einem Arzt niemanden zu Gesicht bekommen hatte. Q-Patienten erhielten alles über eine automatisierte Schleuse, um das Infektionsrisiko so gering wie möglich zu halten. Die Ausbreitung eines solchen Virus konnte fatale Folgen für die gesamte Station haben. »Nicht dafür.« Ich nickte ihr ein letztes Mal zu, bevor ich mich wieder der Schleuse und dem Scanner zuwandte. »Atlantis, öffne den Durchgang zu meinem Büro.«
»Verifiziert. Schleusentor zu deinem Arbeitsbereich wird geöffnet.«
Nachdem auch ich die Desinfektionsdusche hinter mich gebracht hatte und frische Kleidung trug, warf ich die alte in den dafür vorgesehenen Entsorgungsbehälter und betrat mein Büro. »Atlantis, wie viel Zeit habe ich noch, bis mein nächster Patient kommt?«
»Fünfzehn Minuten. Soll ich dir einen Pausensnack bereitstellen?«
»Bestätigt.« Manchmal war der Computer ja doch ganz brauchbar. Der Snack, den der Bordcomputer mir bereitstellte, bestand aus kleinen runden Oblaten, die zwar nach nichts schmeckten, aber äußerst nahrhaft und sättigend waren. Dazu gab es ein Glas Wasser.
Ich stellte die Plastikschüssel und den Becher auf dem Schreibtisch ab und warf einen Blick auf meinen Screen. Der blinkende Briefumschlag markierte den Eingang einer neuen Nachricht, die ich mit einem Fingertippen aufrief. Sie war von Aaron.
Val, habe gehört, du brauchst heute Abend Stilberatung? Treffen uns um 19 Uhr in deinem Zimmer.
Thera, dieser Judas! Wer sonst konnte Aaron davon erzählt haben? Wie ich meine Freundin kannte, war sie, anstatt ihren Arbeitsplatz aufzusuchen, gleich zu ihm gerannt und hatte brühwarm erzählt, dass ich eine Einladung erhalten hatte, damit ich mich nicht doch noch drücken konnte. Wer brauchte noch Feinde, wenn er solche Freunde hatte?
Geht klar, werde da sein. Gleich, nachdem ich Thera ermordet habe.
antwortete ich, ehe ich grinsend in meine Oblate biss.
»Er hat einen Hochzeitstermin festgelegt.«
Ich lag flach auf dem Rücken und atmete aus. Undurchdringliche Schwärze. Es war kaum zu glauben, dass irgendwo da oben eine Welt existierte, die noch viel größer war als die der D.U. Atlantis. So voller Licht, während es hier unten nur die künstliche Helligkeit gab, die die Stadt in die Weiten des Meeres strahlte. Beinahe zumindest.
Angespannt starrte ich durch die durchsichtige Kuppeldecke nach draußen und wartete. Ich befand mich am höchsten Punkt innerhalb dieses Abschnittes, auf dem Dach von Wohngebäude 2. Von hier aus musste ich nur die Hand ausstrecken, um die Hülle berühren zu können. Das Haus war so hoch, dass zwischen Außenwand und Gebäudedach nicht einmal ausreichend Platz war, um aufrecht sitzen zu können. Unruhig suchte ich die Schwärze über mir ab. Normalerweise dauerte es nicht lange, daher sollte mein Freizeitabschnitt ausreichen.
Musste ausreichen. Gerade heute wäre es bitter, wenn ich es verpasst haben sollte.
Als das erste Leuchten am rechten Rand meines Blickfeldes auftauchte, fühlte es sich an, als würde sich das imaginäre Korsett um meinen Brustkorb weiten und ich atmete aus. Grellblau hob sich der fluoreszierende Schwarm Quallen von der Dunkelheit des Meeres ab. Sie schienen von innen heraus zu strahlen, als wäre jede ihrer Zellen mit einer Leuchtdiode ausgestattet. Umgeben von ihrem gespenstischen Schein bewegten sich die feinen Ärmchen wie in Zeitlupe und schwebten schwerelos über Kuppel 1 hinweg.
Ein Knattern kündigte an, dass der Generator in dem Raum unter mir wieder ansprang und kurz darauf begannen die Rohre, die über das Flachdach verliefen, zu rattern. Ich streckte die Hand aus, um sie auf die Festibulum-Plastik zu legen. Das Material, das die einzige Barriere zwischen Tonnen von Meerwasser und uns bildete. Überflüssiger Raum, der mit Versorgungsleitungen gefüllt war und eigentlich nur dem Wartungspersonal zugänglich war. Der scharfe Geruch von Tresibonol stieg mir in die Nase, als er sich durch die Abluftgitter einen Weg außerhalb des Gebäudes bahnte. Das störte mich jedoch nicht, denn irgendwie gehörten das Röhren der Maschinen und auch der Gestank zu diesen kurzen Auszeiten. Und in den Räumen unter mir befanden sich nun einmal jene Chemietanks, die dafür sorgten, dass Salz- zu Trinkwasser wurde.
»Ich wusste, dass ich dich hier finde.«
Ich hatte das Knarren der Bodenluke über das Rauschen hinweg nicht gehört. Cas grinste mich breit an und sah seltsam aus unter der bläulichen Beleuchtung der Quallen. Seine sonst roten Haare wirkten dunkel. Einzig sein Overall, so schwarz wie das Meer um die Station, hatte immer dieselbe Farbe.
»Ich habe noch zehn Minuten«, grollte ich genervt.
»Mag sein.« Cas zog sich auf das Dach und legte sich mit einem Keuchen neben mich. »Es ist ja nicht so, dass man die leuchtenden Biester von überall sehen könnte.« Cas schnaubte und deutete diffus auf den Schwarm Quallen. »Es muss ja unbedingt dieser schmale stinkende Spalt zwischen Kuppeldecke und Hochhaus sein. Du bist wohl der einzige Mensch in Atlantis, der das hier nicht als absolute Fehlkonstruktion bezeichnen würde.«
»Zwingt dich ja keiner, hier zu sein.«
»Blendende Laune anscheinend. Wie wäre es stattdessen mit einem: Entschuldige, Cas, dass ich mich schon wieder einfach verpisst habe, ohne dir Bescheid zu sagen. Ich weiß, dass dir das echt Probleme einbringen kann und du eigentlich nicht von meiner Seite weichen darfst.« Er äffte mich mit seltsam tiefer Stimme nach und ich hob schweigend eine Augenbraue.
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