»Und jetzt sag du mir noch mal, dass sie scharf ist«, fügte ich hinzu.
»Gut. Sie ist echt ... speziell.«
»Speziell. Ja, das trifft es.«
»Vielleicht solltest du deinem Vater sagen, dass Elizabeth ... dass es nicht ... also ...«
»Dass sie dumm ist wie einer dieser Beilfische, die stundenlang mit der Nase voran gegen die Kuppeln schwimmen?«
Cas lachte laut. »Ja. Genau so.«
»Er sagt, dass eine Frau nicht intelligent sein muss, um eine gute Ehefrau zu sein. Als Leiter der Station hätte ich Verantwortung und könnte nicht nach persönlichem Geschmack entscheiden.«
»Scheiße«, fluchte Cas einmal mehr.
Ich schnaubte. Seit Jahren fand ich mich damit ab, nahm hin und akzeptierte. Meine lächerlichen Versuche, es meinem Vater heimzuzahlen, indem ich mich regelmäßig seinen auferlegten Regeln entzog, waren dennoch ein Tropfen auf dem heißen Stein. Ich würde Elizabeth heiraten. Mein Vater hatte gesagt, dass es um die Zukunft der D.U. Atlantis ging und darum, dass unsere Genetik zusammenpasste. Doch ich wusste es besser. Ihm ging es vor allem um Sicherheit. Und Elizabeth war eine sichere Partie. Sie passte nicht nur hundert Prozent genetisch zu mir, sondern war zudem eine folgsame Bürgerin, die, genau wie ihre Eltern, alles für die Station tun würde. Keine Erkrankungen, keine Abmahnungen, keine sittenverfänglichen Einträge. Ich sollte eine verdammte Musterbürgerin heiraten.
Ein schriller Signalton riss mich aus meinen Überlegungen. Cas hob den Arm und das Blinken seines Armbandes erfüllte den kleinen Raum. »Damit sind deine zehn Minuten wohl rum«, sagte er dumpf.
»Scheint so«, entgegnete ich, machte aber keine Anstalten, ihm durch die Luke zu folgen.
Als Cas es bemerkte, steckte er den Kopf wieder hindurch und stöhnte. »Heute bitte nicht. Wenn du deinen Arsch nicht hier rein bewegst, streichen sie mir zwei Essensrationen. Das wäre bereits das dritte Mal diese Woche, dass du auf deinen Tagesplan scheißt.«
Ich spielte tatsächlich mit dem Gedanken, es darauf ankommen zu lassen, aber ich hatte keine Lust, dass Cas darunter leiden musste. Denn es stimmte, gestern hatte ich die Unterrichtseinheit über die Geschichte der Station ausfallen lassen und hatte mich stattdessen lieber in die Gesundheitsakten der D.U. Atlantis gehackt. Nur um festzustellen, dass Elizabeth tatsächlich so war, wie sie eben war. Die beiden Tage davor war ich durch die Station gestreift, einmal war Cas sogar dabei gewesen. Wann immer sich eine Möglichkeit bot, aus dem goldenen Käfig, in den mein Vater mich seit dem Tod meiner Mutter sperrte, auszubrechen, tat ich es. Cas bekam das Echo meiner eigenwilligen Aktionen häufig genug zu spüren, auch wenn er immer sagte, dass ihm das nichts ausmachte.
Ich schob mich an die Luke heran und fragte: »Was steht jetzt an?«
»Anscheinend sollst du die Unterrichtseinheit über die Geschichte der Station nachholen.«
»Großartig«, knurrte ich.
Cas warf mir einen gespielt strengen Blick zu, nachdem ich die Leiter nach unten gestiegen war. »Wehe du verpisst dich noch mal, ohne mir Bescheid zu sagen.«
»Ein Pickel ist kein Notfall!«
Nachdem ich die beiden Operationen und die Terminpatienten hinter mich gebracht hatte, kehrte ich in mein Büro zurück und nutzte den Pausenabschnitt dazu, etwas zu essen und mich auf den Termin vorzubereiten, auf den ich mich schon während des gesamten Tages gefreut hatte. Das erste Gespräch zur Schwangerschaftsbegleitung. Laut den Unterlagen, die Atlantis mir auf den Screen gelegt hatte, handelte es sich bei dem Pärchen um Narima und ihren Mann Thias. Während ich mir vom Computer Teile der Akte vorlesen ließ, packte ich ein Laboretti und weitere Dinge, die ich vielleicht benötigen würde, in die Tasche meines Kittels.
Nebenbei betrachtete ich Fotos der beiden, die der Akte angehängt waren. Beide entsprachen genau dem, was ich schon zuvor irgendwie erwartet hatte. Narima war eine große, dunkelhaarige Schönheit mit grünen Augen und auch ihr schwarzhaariger Ehemann mit den braunen Augen hätte durchaus einem dieser Hochglanzmagazine entsprungen sein können.
Die beiden hatten schon vor vier Jahren die Genehmigung für ein Baby beantragt, aber erst jetzt die Erlaubnis erhalten, denn Schwangerschaften waren auf D.U. Atlantis streng reglementiert, um einer Überbevölkerung auf der Station entgegenzuwirken. Unwillkürlich rieb ich mir mit dem Daumen über jene Stelle am linken Oberarm, wo der Chip implantiert war, der durch die Abgabe von Hormonen eine Schwangerschaft verhinderte. Auch Narima trug ein solches Implantat, aber ihres durfte ich heute entfernen, damit die beiden in die Zeugungsphase übergehen konnten.
Um überhaupt eine Chance zu bekommen, in die Warteliste aufgenommen zu werden, galt es viele Auflagen zu erfüllen. Zumindest aus dem theoretischen Unterricht der Lerneinheiten wusste ich, was bis zu diesem Punkt bereits hinter den beiden lag. Die wichtigste Voraussetzung, um überhaupt ins Auswahlverfahren zu gelangen, waren eine positive Analyse des Erbguts und die Tatsache, dass seit mindestens fünf Generationen keinerlei Verwandtschaftsverhältnis untereinander bestand. Die Regierung wollte mit diesen Einschränkungen das Risiko für Fehlbildungen und Erbkrankheiten so gering wie möglich halten. Hatte man es in die Warteschlange geschafft, galten noch strengere Regeln. Keine Drogen, kein Alkohol und die regelmäßige Überwachung des allgemeinen Gesundheitszustands waren nur ein Teil der Auflagen, die es einzuhalten gab. So sollte dafür gesorgt werden, dass sich jedes Paar sehr genau überlegte, ob es sich dem Gründen einer Familie gewachsen sah.
Mit einem Lächeln und laut klopfendem Herzen verließ ich mein Büro und trat auf den Gang, dessen weiße Wände lediglich durch mehrere Bilder der Erdoberfläche vor der Klimakatastrophe etwas aufgelockert wurden. Schnellen Schrittes machte ich mich zum Wartebereich auf, wo das junge Ehepaar saß, das zu betreuen in den kommenden Monaten meine Aufgabe war.
»Guten Morgen«, begrüßte ich die beiden, die einander an den Händen hielten und mir mit großen Augen entgegenblickten. Sehr gut, meine Stimme ließ nichts von der Aufregung, die in meinem Inneren herrschte, nach außen dringen. Ganz im Gegenteil zur sichtlich nervösen Narima, deren übereinandergeschlagene Beine im Sekundentakt auf und ab wippten. »Bitte folgen sie mir!« Mit einer schwungvollen Handbewegung wies ich in Richtung von Behandlungszimmer 2. »Atlantis, Tür öffnen!«
»Tür wird geöffnet.«
Wie auch im Quarantänebereich waren die Wände in diesem Raum gelb gestrichen, aber der Rest der Einrichtung unterschied sich deutlich. Um eine möglichst gemütliche Atmosphäre zu schaffen, hingen Bilder an den Wänden, die verschiedene Freizeitbereiche und einige der Gewächshäuser von D.U. Atlantis zeigten. Offene Regale, gefüllt mit Attrappen von Büchern in allen möglichen Größen und Farben, nahmen dem Raum etwas von der Sterilität. Leise Klaviermusik klang aus verborgenen Lautsprechern und auf beiden Seiten des Schreibtischs standen äußerst bequeme Sessel, die zum Verweilen einluden.
Dort ließen sich die beiden nieder und Thias räusperte sich. »Danke«, sagte er leise, fuhr sich mit der Hand durch das schwarze Haar und warf seiner Frau einen liebevollen Blick zu. »Wir sind sehr glücklich darüber, die Erlaubnis für ein Baby bekommen zu haben.«
»Vier Jahre des Wartens sind genug, um sich ausführlich auf die folgenden Monate vorzubereiten, weshalb ich gar nicht lange um den heißen Brei herumreden werde«, sagte ich lächelnd, während die Tür sich automatisch hinter mir schloss. »Ich freue mich, sie in dieser aufregenden Zeit begleiten zu dürfen. Wir werden noch einige letzte Tests machen«, mein Blick huschte zu Narima, »und dann entferne ich den Chip.« Ich umrundete den Schreibtisch und wollte mich gerade setzen, als im Nebenzimmer Stimmen laut wurden. Ich verharrte in der Bewegung und spitzte die Ohren.
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