Jan Bobe - Nur ein Schubs

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Die Reihen auf dem Berliner Platz lichten sich. Ausgerechnet die ärmsten Seelen der Gütersloher Trinkerszene streichen reihenweise die Segel. Mal geraten sie vor dem Amtsgericht unter einen Lkw, mal knallen sie hinter der Martin-Luther-Kirche an einen Laternenpfahl, mal purzeln sie an der Alten Weberei in die Dalke und ertrinken. Selbst die zerbrochene Schnapsflasche an der Diekstraße entwickelt noch genügend tödliches Potenzial. Bei Polizei und Rettungsdienst macht sich Erleichterung breit. Nur allzu gern deckt man den Mantel des Vergessens über die Verblichenen, denn sie waren nicht gerade beliebt. Nur Dierk-Helge Reuter-Ritterling, der junge hyperaktiver Ermittlungsterrier vom 4. K, vermeint in den alkoholschwangeren Todesfällen ein Muster und damit die Handschrift eines Serientäters zu erkennen.
Und welche Rolle spielt der illustre Bauunternehmer Sandmann, der plötzlich und unbegreiflich ein lukratives Projekt vor die Wand fährt, das Kapital abgreift und untertaucht? Waren die Verblichenen etwa Leichen aus seinem Keller?
Dierk-Helge beißt sich in der Sache fest, allem Spott zum Trotz. Eigenständig nimmt er Ermittlungen auf, droht aber im Akten-Tsunami seines Massenkommissariats zu versumpfen. Hilfe bekommt er nur von den Streifenpolizisten seiner alten Dienstgruppe, die einmal mehr unter Beweis stellen, dass Polizei eine Kunst ist, die auf der Straße gelernt und ausgeübt wird und nicht in einem Büro.
"Nur ein Schubs" spielt in Gütersloh. An authentischen Orten erzählen reale Personen wahre Geschichten und spinnen einen Handlungsstrang, der quer durch Ostwestfalen bis nach Spanien, Griechenland und auch in die Karibik führt, schließlich aber unweigerlich wieder in Gütersloh endet.

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Nur ein Schubs

ein Gütersloh-Krimi

Texte: © Copyright by Jan Bobe

Gestaltung: Eckard Klessmann

Coverfoto (Dalkebrücke an der Weberei): Detlef Güthenke

Lektorat. Elisabeth Jürgens

Beratung: Tina Gallach

Nur ein Schubs ist ebenfalls als Taschenbuch erhältlich im

Vox-Rindvieh-Verlag M. Borner

ISBN 978-3-98-201571-2

www.ostwestfaelisch.de

Bevor es losgeht

Fast wäre diese Geschichte tatsächlich passiert, im Zuge der Finanzkrise irgendwann vor ein paar Jahren. Denn einige der handelnden Personen sind nur allzu real. Keine Sorge, sie alle haben mir ihre Erlaubnis für ihren Auftritt in diesem Buch gegeben. Zudem haben nicht wenige der Szenarien und Begebenheiten tatsächlich genauso stattgefunden, wie sie hier beschrieben sind. Allerdings zu einer anderen Zeit, an anderen Orten und mit anderen Menschen, sodass auch hier ein Rückschluss auf die tatsächlich Beteiligten nicht möglich ist. Leider hat es eine Firma Sandmann und eine Landsparkasse Bockhorst aber nie gegeben, also musste ich die gesamte Handlung dann doch erfinden.

Sollte Sie daher nun beim Lesen plötzlich das Gefühl beschleichen, sich selbst wiederzuerkennen, dann habe ich Sie entweder vorher angesprochen, oder aber diese Ähnlichkeit wäre rein zufällig und völlig unbeabsichtigt.

Was ist wahr, was geflunkert? Mit der Lösung dieser zentralen Frage wünsche ich Ihnen, liebe Leser, viele frohe Stunden.

Eine Bemerkung zur Polizei Gütersloh ist noch erforderlich. Sie ist eine reale Behörde, der ich zu allem Überfluss selbst seit etwa vierzig Jahren sehr gerne angehöre. Ihre Darstellung bereitete mir deshalb Kopfzerbrechen, sie musste besonders fiktiv ausfallen. So braucht es niemand wundern, wenn in diesem Buch die Polizei immer noch in ihrem alten, maroden Standort an der Berliner Straße festhängt, obwohl sie in Wirklichkeit bekanntlich schon 1998 in einen topmodernen Neubau an der Herzebrocker Straße umgezogen ist.

Sollte trotzdem jemand hoffen oder befürchten, dass hier aus dem Nähkästchen geplaudert oder gar schmutzige Wäsche aus all der Zeit hervorgekramt und gewaschen werden soll, so muss ich diejenigen enttäuschen. Auch nach intensiver Suche habe ich nichts gefunden, was auch nur ein kleines, hinterhältiges Nachtreten wirklich gelohnt hätte. Eigentlich jammerschade, denn die Gelegenheit wäre erstklassig gewesen.

Nein, ganz im Gegenteil: Ich habe kein einziges der vielen Jahre bereut. Es war immer sehr nett und unglaublich spannend in der echten, der wirklichen Polizei Gütersloh, die mit dieser Geschichte nicht mehr zu tun hat als mit der alten Seidenweberei der Gebr. Bartels, in der sich nun schicke Loftwohnungen befinden. Die heutigen Bewohner der alten Wache haben hier allerdings die einmalige Chance auf einen Blick in die skurrilen Geschichten, die in den dicken Mauern um sie herum zu Hunderten schlummern.

Jan Bobe

Prolog

Sommer

Grelle, blaue LED-Blitze durchschnitten die Nacht und warfen bizarre Muster an Bäume und Hauswände. Ein kerniger Turbodiesel drehte scheinbar mühelos auf, dann kam der Rettungswagen durch die Unterführung geschossen und jagte die Dalkestraße entlang zur Blessenstätte hin, die übliche Flugschneise vom Klinikum in den Gütersloher Norden. Wohl mit Rücksicht auf die ruhebedürftigen Bewohner des Seniorenzentrums 'Am Bachschemm' hatte der Fahrer auf das Martinshorn verzichtet. Unten an der Kreuzung Kirchstraße war aber bevorrechtigter Querverkehr zu befürchten. Ein einzelnes Intervall der starken Kompressorhörner zerfetzte die nächtliche Stille, doch nach vier Sekunden senkte sich wieder Ruhe über den Webereipark, der in tiefer Dunkelheit lag. Nur eine einsame Laterne versuchte, etwas Licht und damit auch einen Hauch gefühlter Sicherheit in das finstere Gelände zu streuen, wurde aber von einem üppig wuchernden Haselstrauch erfolgreich daran gehindert.

Die einsame Gestalt, die auf der Bank am Spielplatz inmitten von Pizzaschachteln, Pommesschalen und einer beträchtlichen Menge Leergut saß, war daher kaum zu entdecken. Und wenn tatsächlich ein nächtlicher Passant den Weg zwischen Kesselhaus und Umspannwerk über die Holzbrücke genommen und den Mann bemerkt hätte, was nicht der Fall war, wäre ihm sicher entgangen, dass dessen völlige Unbeweglichkeit nur scheinbar war. Denn seine Schultern zitterten leicht, dicke Tränen quollen aus seinen rot umränderten Augen, und der Rotz tropfte ihm aus dem Gesicht, während er leise in sich hinein weinte. Der Mann stierte apathisch in die Dalke, die schwarz und träge an ihm vorbeifloss. Nichts passierte. Schließlich, nach einer halben Ewigkeit, zog er kräftig die Nase hoch, und seine rechte Hand griff unter die Bank. Sie brachte eine dunkelgrüne Flasche hervor, die Linke zog in mechanischer Bewegung den Korken ab. In einer einzigen bedächtigen Bewegung setzte der Trinker die Flasche an, steigerte kontinuierlich ihren Anstellwinkel bis in die Senkrechte und überstreckte dabei den Kopf nackenwärts. Ein großer Schluck, dann war der Inhalt bewältigt. Einen langen Moment verblieb die Flasche in ihrer Position, bis auch der letzte Tropfen sicher hinausgelaufen war, dann flog sie in hohem Bogen in die Büsche. Der Mann atmete scharf aus und horchte dann intensiv in sich hinein. Sein stark gedämpftes System registrierte einen anhaltenden, penetranten Impuls, den er schließlich als dringendes menschliches Bedürfnis identifizierte. Mühsam begann er, sich zu erheben, fiel aber prompt wieder auf die Bank zurück. Beim zweiten, schwungvolleren Versuch bekam er direkt Übergewicht nach vorn. Nur ein heftiger Ausfallschritt bewahrte ihn vor dem Sturz, sorgte aber dafür, dass er nun rückwärts kippte und ins Gras fiel. Eine Weile lag er dort wie ein Käfer auf dem Buckel, bis er es schaffte, sich umständlich auf den Bauch zu drehen und tatsächlich nach mehreren Versuchen zumindest mit dem Hinterteil wieder hochzukommen. Er krachte aber immer wieder zusammen. Schließlich erkannte er die Aussichtslosigkeit seines Tuns, robbte zur Bank hinüber und zog sich mühsam daran hoch in einen wackeligen Stand. Nach einer unsicheren Weile hatte er sich so weit stabilisiert, dass er frei stehen konnte. Vorsichtig stüskerte er zum nahen Dalkeufer, balancierte mühsam den schwankenden Horizont aus und öffnete umständlich seinen Hosenstall. Nach längerem Herumkramen fand er schließlich sein bestes Stück, brachte es in Position, und kurz darauf plätscherte ein kräftiger Strahl, während er die Erleichterung genoss und zugleich konzentriert die Außentreppe der Weberei auf der anderen Flussseite fixierte, um nicht doch noch ein jähes Opfer der Gravitation zu werden.

Es war kein Stoß, erst recht kein Schlag, nur ein kleiner Schubs mit dem Zeigefinger, der ihn genau zwischen die Schulterblätter traf. Er hätte nur einen kleinen Schritt nach vorn machen müssen. Er hätte die Hände zum Schutz vors Gesicht bringen und die Knie beugen sollen. Vielleicht hätte er auch all das getan, aber dafür hätte er zwanzig Sekunden mehr Zeit gebraucht in seinem Zustand. So kippte er wie ein fallender Baum. Er merkte nur noch den Aufschlag. Mehr nicht.

Kapitel 1

Frühling

„Dalke 25/11 für Dalke kommen!“

„25/11 hört!“

„Fahren Sie Friedrich-Ebert-Straße zum Amtsgericht, dort reglose Person auf der Fahrbahn! Anruf kam von der Feuerwehr nebenan.“

„25/11 verstanden, sind unterwegs.“

„24/11, wo steht ihr?“

„Verler Straße, beim Schotten. Wir fahren auch mal in die Richtung.“

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