„Läuft da jetzt eigentlich was zwischen dir und Nick?“, griff Paula ihr neues Lieblingsthema erneut auf.
Ich seufzte. Der Laut war mir automatisch herausgerutscht. Jetzt konnte ich mich leider nicht mehr schlafend stellen. „Natürlich nicht. Wie kommst du darauf?“
„Weil er dich vor dem Einlass mit reingenommen hat.“
„Nur weil ich ihn gefragt habe. Er hätte sicher jede mit reingenommen.“
„Und warum hat er ständig deine Hand gehalten?“
„Das war doch nur ein Spiel. Er hat mich früher reingelassen und ich habe dafür für einen Abend lang seine Freundin gespielt.“
„Habt ihr etwa nur so getan, als wärt ihr ein Paar?“
„Ja natürlich. Das war doch nur Spaß.“ Ich lachte Paula aus, weil sie darauf reingefallen war. Da es dunkel war, konnte ich die Reaktion darauf in Paulas Gesicht nicht sehen, doch ich kannte sie gut genug, um mir ihren Gesichtsausdruck vorstellen zu können. Zusammengekniffene Augenbrauen, eine gerunzelte Stirn.
„Sicher?“
„Ganz sicher.“ Was auch sonst? Wir hatten uns einfach einen Spaß daraus gemacht und ich hatte es genossen, wie eifersüchtig einige weibliche Fans darauf reagiert hatten. Wer träumte nicht davon einen Rockstar kennen zu lernen und einmal Backstage zu sein?
„Für mich sah das irgendwie nicht so aus.“
„Du hast eindeutig zu viel Fantasie.“ Paula las wirklich zu viele Liebesromane. Auf ihrer Kommode stapelte sich schon wieder ein Haufen neuer Bücher. Die meisten mit rosa Buchrücken, was eindeutig bewies, dass es sich dabei um Kitschbücher handelte. Warum sie so etwas las, obwohl sie nicht daran glaubte, dass es für sie die wahre Liebe gab, war mir allerdings ein ziemliches Rätsel. Es konnte eigentlich nur bedeuten, dass sie insgeheim doch darauf hoffte. Zugeben würde sie das aber nie.
„Ich habe nur Augen im Kopf“, widersprach Paula mir.
„Vielleicht brauchst du eine Brille“, konterte ich lachend und schlug ihr ein Kissen ins Gesicht.
„Ey, was soll das?“ Paula schleuderte das Kissen zurück und in Sekundenschnelle entbrannte eine wilde Kissenschlacht. An Schlafen war nicht zu denken. Wie nach jedem Konzert waren wir viel zu aufgedreht.
Piep. Piep. Es dauerte einen Moment, bis ich wusste, wo ich mich befand und was mich gerade so unsanft aus dem Schlaf gerissen hatte. Ich war bei Paula, die wohl ebenfalls durch das Geräusch aufgewacht war und verschlafen ihre Augen zusammenkniff. Schützend hielt sie sich eine Hand über die Augen. Mir war es auch viel zu hell. Die Sonne warf schon ihre Strahlen ins Zimmer. Wie spät war es eigentlich?
„War das dein Handy?“, murmelte Paula schlaftrunken.
Kann sein. Ich war viel zu irritiert, um das Piepen richtig zuordnen zu können. Verschlafen tastete ich nach meinem Smartphone, das sich irgendwo unter der Bettdecke versteckt haben musste. Eine Nachricht von Unbekannt.
„Mauerpark? Heute Morgen? Will mit den Boys hin, bist du dabei?“ Augenblicklich war ich hellwach.
„Wer schreibt denn schon so früh?“, wollte Paula wissen. Genervt legte sie sich das Kissen übers Gesicht, um der Helligkeit zu entkommen.
„Nick.“
Jetzt war auch Paula hellwach. Ruckartig setzte sie sich auf. Das Kissen flog dabei auf den Boden.
„Er hat deine Nummer?“
„Ich habe sie ihm gestern gegeben.“
„Und? Was schreibt er?“
„Ob wir zum Flohmarkt im Mauerpark gehen. Er war gestern völlig entsetzt, dass ich noch nie da war.“
„Und? Sagst du ja?“
„Klar!“ Was für eine Frage. Ich sagte es allerdings nicht so euphorisch, wie ich mich fühlte. Paulas Neugier war schon ausreichend geweckt.
„Willst du vorher noch etwas frühstücken?“
„Ein Kaffee wäre super.“
Paula lief schon in die Küche. Ich musste grinsen. So kannte ich meinen Morgenmuffel gar nicht. Mir fiel es ja schon schwer morgens in die Gänge zu kommen, aber Paula lief normalerweise vor dem ersten Kaffee im Schneckenmodus. Genau genommen war eine Schnecke sogar schnell im Vergleich zu ihr. Für gewöhnlich konnte man mit Paula erst nach der zweiten Tasse Kaffee etwas anfangen.
„Kann ich mir noch was zum Anziehen von dir leihen?“
„Na klar“, schrie sie mir aus der Küche zu, gefolgt von einem Knall. Oh Mist! Da war gerade wohl etwas kaputt gegangen. Hoffentlich nicht die Kaffeekanne. Ich rannte schnell in die Küche, aber zum Glück war nur ein Teller auf dem Boden gelandet.
„Du solltest das blumige Kleid anziehen. Das steht dir mega gut.“
„Gute Idee. Wo hast du es?“
„Ich suche es dir gleich raus.“
„Danke, du bist die Beste!“ Was würde ich nur ohne sie tun? „Ich springe noch schnell unter die Dusche, ja?“
Paula sah mich etwas seltsam an. Wahrscheinlich dachte sie sich, dass ich doch nachts nach dem Konzert noch geduscht hatte. Aber bei der Hitze fühlte ich mich schon wieder verschwitzt. Ohne ihre Antwort abzuwarten huschte ich ins Bad.
„Das Kleid ist in der Wäsche“, rief sie mir hinterher. „Ich such dir was anderes aus.“ Sollte mir Recht sein. Paula hatte schließlich einen richtig guten Geschmack.
Das kühle Wasser machte meine müden Glieder ein bisschen wacher. Ich cremte mich mit etwas Sonnencreme ein – die von Paula roch besonders gut, irgendwie nach Mango – und schlüpfte in ihre Klamotten. Schnell band ich mir meine Haare noch zu einem Zopf zusammen und betrachtete mich dann zufrieden im Spiegel. Ich musste Paula loben: Das grüne Top, das im Nacken zusammengeknotet wurde, stand mir wirklich gut. Außerdem war ich endlich ein bisschen braun geworden. Auch wenn das bei mir sehr lange dauerte, hatte die Sonne, die uns seit Wochen verwöhnte, einen schönen Cappuccino ähnelnden Farbton auf mein Gesicht gezaubert. In der Küche empfing mich ein köstlicher Duft: eine Mischung aus frisch aufgebrühtem Kaffee und aufgebackenen Croissants.
„Oh das ist ja wie im Luxushotel. Ich ziehe bei dir ein.“ Zufrieden setzte ich mich auf meinen Stammplatz. Ich liebte ihre Küchenbank. Das blau-weiße Kissen wollte ich ihr jedes Mal gerne klauen.
„Dann gibt es doch kein Frühstück.“ Paula grinste mich frech an. Dabei wusste ich genau, dass sie gerne mit mir zusammen wohnen würde. Aber die Wohnung war leider viel zu klein für drei Personen.
„Das sieht richtig gut aus.“ Neben den Croissants stand eine Schale mit frischen Blaubeeren. Frühstück war für mich die wichtigste Mahlzeit des Tages. Paula sah das zum Glück ähnlich und wir genossen es beide an den Wochenenden ausgiebig zu frühstücken. Jetzt knabberte ich allerdings ohne großen Appetit an meinem Croissant herum. Ich war irgendwie nervös. Warum wusste ich allerdings selbst nicht. Es war ja schließlich kein Date.
„Was sagt Elias eigentlich dazu?“, fragte Paula zwischen zwei Bissen.
„Wozu?“
Meine beste Freundin schaute mich vorwurfsvoll an. „Du weißt genau, was ich meine.“
Okay zugegeben: ich wusste genau worauf sie anspielte. „Es ist kein Date“, wiederholte ich den Gedanken, der gerade durch meinen Kopf gegangen war. „Die anderen Jungs kommen auch mit.“
„Als Tarnung.“
„Nenn es wie du willst. Nick möchte mir einfach nur den Flohmarkt zeigen. Du weißt doch, dass ich alte Sachen liebe.“
„Und Musiker.“ Trotz Augenzwinkern nervte mich dieser Kommentar.
Ich ließ die Hälfte des Croissants liegen und ging ins Bad, um noch ein bisschen Wimperntusche und Lidschatten aufzulegen. Alles andere würde bei diesen Temperaturen sowieso sofort wegfließen. Dann machte ich mich auf den Weg zur U-Bahn.
Die Jungs warteten schon auf mich. Allerdings fehlte ein Bandmitglied. Jacob und Tom begrüßten mich beide mit einer Umarmung, so als ob wir uns schon ewig kannten. Nick nahm mich als letztes in den Arm. Ich wusste nicht, ob ich es mir einbildete, aber ich hatte das Gefühl, dass seine Umarmung länger andauerte, als die der anderen beiden. Bei ihnen war es nur ein loses Begrüßungsumarmen, bei Nick fühlte es sich nach etwas mehr an.
Читать дальше