„Hoffentlich stimmt das“, sagte ich, als wir uns als erstes vor die dunkle, mit Aufklebern übersäte Metalltür stellten. Hinter uns reihten sich einige andere Konzertbesucher auf. Ohne, dass ich etwas hörte, strömten auf einmal die Hälfte aus unserer Reihe zu der andern Tür.
„Wehe die Tür hier ist falsch. Wir waren so früh da, jetzt will ich auch in die erste Reihe“, schimpfte Paula. In dem Moment sah ich, wie Jacob mit seinem Instrumentenkoffer in den Hinterhof kam, gefolgt von Nick mit zwei großen Taschen beladen. Sie steuerten auf unseren Eingang zu. Jacob lächelte mir zu, während er vorbeiging.
„Hi“, begrüßte Nick mich, als er mich entdeckte und nahm mich zur Begrüßung in den Arm. „Alles gut?“ Es fühlte sich so an, als würden wir uns schon ewig kennen.
„Auf jeden Fall.“ Ich spürte die neidischen Blicke der anderen Mädchen in meinem Rücken. „Und bei dir?“
„Auch! Wir freuen uns schon riesig auf den Abend. Das wird richtig geil!“
„Weißt du zufällig, wo der Eingang ist?“ Ich wollte unbedingt wissen, ob wir in der richtigen Schlange standen, schließlich wollte ich nicht umsonst so früh dagewesen sein. Die erste Reihe stand auf dem Spiel. Paula und ich waren ziemlich verwöhnt, was das betraf, da es uns fast immer gelang ganz vorne zu stehen. Wir waren zuerst da gewesen, hatten also ein Recht darauf!
„Nee, keine Ahnung. Ich darf ja einfach so rein“, antwortete Nick schulterzuckend.
„Kannst du mich nicht mitnehmen?“
„Wenn wir so tun, als wärst du meine Freundin bestimmt.“ Ich schaute ihn einen Moment verwirrt an. Meinte er das jetzt ernst? Meine Frage sollte eigentlich nur ein Scherz gewesen sein. Da ich zögerte, nahm Nick wie selbstverständlich meine Hand und zog mich an den anderen Mädchen vorbei zur Tür.
„Bis gleich. Ich halte euch einen Platz frei“, rief ich meinen Freundinnen noch schnell zu.
Eifersüchtige Blicke verfolgten mich, bis die schwere Metalltür mit einem Knall hinter uns ins Schloss fiel.
„Komm, ich stell dir die anderen vor.“ Er hielt noch immer meine Hand, obwohl es so dunkel war, dass es sowieso niemand sehen konnte. Die einzelne Glühbirne an der Decke konnte den langen Flur mit dem schwarzen Boden und den dunklen Wänden nicht nennenswert erhellen. Auch als Nick mich den anderen Jungs vorstellte, lag meine Hand noch immer in seiner. Seine Fingerkuppen fühlten sich rau auf meiner Haut an. Spielte er etwa auch Gitarre?
„Boys, das ist Mia. Mia das ist Tom.“ Er ließ meine Hand los und deutete auf den braunhaarigen Jungen mit Brille, der gerade seine Gitarre stimmte. Meine Hand fühlte sich immer noch warm an, auch wenn Nick sie nicht mehr festhielt.
„Das ist Jan und Jacob kennst du ja schon.“ Die beiden reichten mir die Hand und aßen dann ihre Pizza weiter.
„Wir machen gleich Soundcheck. Setz dich doch so lange noch“, forderte Nick mich auf und deutete auf das Sofa. Wo genau zwischen Pizzakartons, handgeschriebenen Setlisten und leeren Flaschen? Er deute meinen Blick richtig und schob alles in eine Ecke, so dass ich auf der anderen Seite Platz fand. Er quetschte sich daneben. Die von ihm freigeräumte Fläche war so schmal, dass sich unsere Oberschenkel und Arme berührten. Spürte Nick das genauso deutlich wie ich? Wenn ja, ließ er es sich auf jeden Fall nicht anmerken.
„Ist das deine neue Freundin?“, wollte Jan wissen.
„Heute Abend schon.“ Nick grinste mich an und nahm meine Hand, so als ob ich wirklich seine Freundin wäre. „Wenn schon, dann spielen wir es auch richtig“, flüsterte er mir zu. Mir stieg die Röte ins Gesicht, daran ließen meine glühenden Wangen keinen Zweifel. Ich hoffe die Jungs schoben es auf die unerträgliche Wärme in diesem muffigen Zimmerchen.
„Möchtest du etwas trinken?“ Nick stand auf.
„Gerne. Was gibt es denn?“
„Cola, Bier?“
„Eine Cola.“ Nick holte ein Flasche aus dem Kühlschrank und reichte sie mir. Ich hielt sie mir zur Abkühlung an mein glühendes Gesicht. Dabei saugte ich die Atmosphäre in mir auf. Ich hätte niemals gedacht, dass ich so einen Raum jemals betreten würde. Nach einer Weile verzogen Tom und Jan sich und schalteten den Fernseher ein, um Fußball zu schauen, während Jacob, Nick und ich in der Sofaecke blieben. Das Leder unter mir klebte an meinen Hosenbeinen, mit den Füßen schob ich irgendwelchen Müll zur Seite, es roch nach Bier und Zigarettenrauch.
„Sicher hast du dir das Backstageleben spannender vorgestellt, oder?“, erkundigte sich Jacob. Im Gegensatz zum letzten Mal, als ich ihn gesehen hatte, umspielte ein leichter Bartschatten seine Wangenknochen.
„Wer weiß, was noch kommt“, gab ich grinsend zurück. In der Tat passierte in meinen Vorstellungen hinter der Bühne immer etwas ungeheuer Aufregendes. Keine Ahnung was, aber ich war mir ziemlich sicher, dass hier immer ziemlich verrückte Aktionen stattfanden.
„Ich gehe mal eben eine rauchen und besorge mir dann noch einen Kaffee. Wollt ihr auch einen?“
Nick lehnte ab, aber ich nahm das Angebot dankend an.
„Ich würde gerne was richtig Verrücktes hören, was ihr Backstage mal erlebt hat?“, wandte ich mich neugierig an Nick.
„Normalerweise passiert hier wirklich immer einiges Kurioses. Wenn nicht gerade Fußball kommt. Dann kannst du Tom und Jan total vergessen. Aber da ich grundsätzlich kein Fan von diesem Backstage abhängen bin, hab ich da gar nicht so viel zu erzählen. An der Theke ist meistens viel mehr los.“
„Jetzt tu mal nicht so, als ob du keine Stories erzählen könntest.“ Jacob reichte mir eine Tasse. Den Kaffee als lauwarm zu bezeichnen, wäre eine ziemliche Beschönigung gewesen.
„Schon fertig?“, lenkte Nick ab.
„Mein Feuerzeug geht nicht. Also erstmal Kaffee. Wie wäre es zum Beispiel mit der Geschichte vom letzten Konzert? Ich sage nur: Pfeffer!“
Dieses Stichwort brachte beide genau im selben Moment zum Lachen.
„Sonst erzähle ich Mia die Story“, drohte Jacob seinem Sänger.
„Okay okay, ich erzähle es ja schon. Wir spielen uns untereinander immer sehr gerne Streiche. Die können auch manchmal ein bisschen böse sein. Vor dem letzten Gig hatte ich den grandiosen Einfall, dass es ja mal richtig lustig wäre, Jan weißen Pfeffer auf die Snaredrum zu streuen. Ich stellte mir vor, wie der ganze Pfeffer beim ersten Schlag in seinem Gesicht landen würde. Ich fand es einfach so witzig, dass ich gar nicht weiter nachgedacht habe. Also habe ich vor dem Konzert die ganze Zeit auf meine Chance gewartet. Zum Glück ging Jan kurz vor dem Auftritt noch einmal aufs Klo. Er muss nämlich ständig pinkeln. Ich bin also ganz schnell zum Schlagzeug gerannt und habe den Pfeffer überall verteilt und mir dabei schon so richtig schön ins Fäustchen gelacht. Und was passierte dann? Jan hat gemerkt, dass irgendwas seltsam ist, keine Ahnung wie. Deswegen nahm er sein doofes Handtuch und wischte den ganzen schönen Pfeffer mit einer einzigen Bewegung weg. Echt total unlustig.“
„Aber das, was dann passierte war schon ziemlich witzig“, unterbrach Jacob ihn.
„Ansichtssache.“ Doch Nick grinste dabei. Ihm Nachhinein schien er es auch lustig zu finden. „Beim Konzert hab ich ordentlich geschwitzt. Ich wollte mir das Gesicht abtrocknen und erwische genau das Handtuch. Ich habe den ganzen blöden Pfeffer richtig schön in meine Augen geschmiert. Ich war also der Einzige, der wegen dem dämlichen Pfeffer ein Problem bei diesem Gig hatte.“ Er schaute gequält.
Ich konnte nicht anders als laut loszuprusten. Ich lachte so lange, bis mir der Bauch weh tat und ich nach Luft schnappen musste.
„Geschah dir ganz recht“, kommentierte Jacob, wobei er ebenfalls lachte.
Schließlich wurden die Tore für die Konzertbesucher geöffnet. Paula und Coco gesellten sich zu mir, direkt vor das Mikro von Nick.
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