„Kommst du noch mit zu mir?“, fragte Elias mich.
„Gerne!“ In der Bahn schlief ich an seine Schulter gelehnt schon nach wenigen Stationen ein.
Was für ein Sommer! Schon seit mindestens zwei Wochen knallte die Sonne erbarmungslos vom nahezu dauerhaft wolkenlosen Himmel.
„Was machen wir heute?“, wollte Paula wissen. Ich lag auf dem Rücken in meinem Bett und schwitzte schon, ohne mich auch nur einen einzigen Millimeter zu bewegen. Zu großen Aktionen war ich also definitiv nicht mehr zu überreden. Schon den Hörer an mein Ohr zu halten war bei dieser Hitze fast zu viel Anstrengung.
„Nicht so viel. Es ist viel zu heiß. Vielleicht ein Eis essen?“, schlug ich vor.
„Wie die letzten drei Tage?“ Paula klang gelangweilt. „Ich werde bald selber aussehen wie eine Eiskugel.“
„Andere Vorschläge?“
„Ein Fotograf, den ich letztens auf einer Party kennengelernt habe, hat auf seiner Facebookseite gepostet, dass heute eine Wasserschlacht stattfindet. Am Fernsehturm. Also da an dem Brunnen. Das hört sich doch richtig cool an. Bist du dabei?“
Wasserschlacht? Das klang etwas zu verrückt. Andererseits eine Abkühlung konnte bei diesen Temperaturen wirklich nicht schaden.
„Warum nicht“, antwortete ich zwar nicht ganz überzeugt, aber Paula freute sich trotzdem riesig, dass ich dabei war. Ich nahm einen Schluck Cola aus meinem Glas, in dem sich mehr Eiswürfel als Cola befanden. Trotz der eisigen Flüssigkeit, die durch meinen Hals lief, fühlte ich mich wie kurz vor einem Hitzeschlag.
„Cool! Das wird super. Kannst du ein paar Flaschen mitbringen? Oder Eimer? Oder Becher? Was immer du zu Hause hast. Treffen wir uns in einer Stunde am Alex?“ Ich musste über ihre Euphorie lachen. Wasserschlacht klang eher nach einer Aktion nach Paulas Geschmack, aber ich wollte ihr den Spaß nicht verderben. Und eine gehörige Portion kaltes Wasser war wirklich mehr als verlockend. Wir verabschiedeten uns und legten auf. Schnell schlüpfte ich in ein dunkles Sommerkleid, das konnte wenigstens nicht durchsichtig werden, falls ich geduscht wurde.
Paula stand schon unter der großen Weltzeituhr, als ich die Rolltreppe hochfuhr. Auch wenn wir keine Touristen waren, trafen wir uns oft hier, wenn wir etwas in Mitte unternehmen wollten. Wir beide liebten unseren Alex. Außerdem lag er so zentral, dass wir von hier aus viele unserer Unternehmungen starteten. Touristenmassen tummelten sich bei diesem herrlichen Sonnenschein in unserer Stadt. Unzählige Kameras waren auf die Uhr und natürlich auf den Fernsehturm dahinter gerichtet. Verständlich. Ich würde es als Touri sicherlich genauso machen. Gemeinsam schlenderten wir zum Neptunbrunnen, wo sich schon viele Verrückte versammelt hatten. Ausgerüstet mit Wasserpistolen, Wasserbomben und allen möglichen Behältern bespritzten und überschütteten sie sich mit Wasser. Fasziniert schauten wir uns diese Szene einen Moment an, dann nahm Paula meine Hand und zog mich einfach mitten ins Geschehen. Von überall landete Wasser auf uns. Paula schüttelte ihre Mineralwasserflasche und als sie sie öffnete, spritzte das Wasser mir genau ins Gesicht. Ich schrie erschrocken auf, bevor ich einen Plastikbecher nahm, ihn in den Brunnen tauchte und dann aus Rache über Paulas Kopf entleerte.
„Na warte“, rief sie. Paula schüttete ihre Flasche direkt über mir aus. Das Wasser lief mir durchs Gesicht und durchnässte mein Kleid. Doch das machte mir nichts. Im Gegenteil: es war eine herrliche Abkühlung. Mit dem restlichen Wasser erfrischte Paula ein Mädchen neben uns, die daraufhin laut kreischte und Paula mit einer Wasserpistole bespritzte. Als mich eine große Ladung eiskaltes Wasser im Nacken traf, zuckte ich leicht zusammen. Es fühlte sich ziemlich ekelhaft an, wie es mir den Rücken herunterlief. Ich drehte mich um und schaute zu meiner Verwunderung in ein bekanntes Gesicht. Es dauerte allerdings ein paar Sekunden, bis ich es zuordnen konnte. Der Typ trug eine Capy und sah irgendwie anderes aus, als auf der Bühne, doch sein Lächeln enttarnte ihn: Nick! Er schien ebenfalls zu überlegen, woher er mich kannte. Seine Augenbrauen zogen sich für einen kurzen Moment zusammen, dann lächelte er. Dieses Lächeln war nicht so schadenfroh wie das, das er mir zugeworfen hatte, direkt nachdem ich mich umgedreht hatte.
„Du warst doch letztens auf einem Konzert von uns, oder?“
Bevor ich antworten konnte, leerte jemand einen Eimer Wasser über uns aus.
„Tja, nicht aufgepasst“, sagte der Übeltäter grinsend. Er war aus Nicks Band, aber ich war mir nicht sicher, ob es der Bassist oder der Gitarrist war.
„Das kriegst du zurück.“ Nick füllte einen Eimer mit Wasser und jagte hinter seinem Bandkollegen her, wobei er allerdings einen Großteil des Wassers verlor. Ich schaute ihnen lachend hinterher und beobachtete, wie Nick den anderen Musiker schließlich fast erreichte und ihn mit dem restlichen Wasser auf dem Rücken traf. Dann beteiligte ich mich weiter an der Wasserschlacht. Als sich die Gruppe von bestimmt mehr als fünfzig Leuten langsam auflöste, war ich so nass, als hätte ich unter der Dusche gestanden oder als wäre ich kopfüber in das Brunnenbecken eingetaucht.
„Das war der Hammer!“ Paula lachte laut, geladen von Adrenalin. Sie wrang den unteren Teil ihres Kleides aus, wodurch das Wasser über ihre gebräunten Beine lief. Ich löste mein Haargummi und schüttelte meine triefenden Haare aus. Paula kniff die Augen zusammen, da einige Tropfen sie im Gesicht trafen. Als ich den Kopf wieder hob, sah ich Nick und seinen Bandkollegen auf uns zukommen.
„Na, ihr seid ja auch gut nass geworden.“ Nick grinste uns an. Er war ebenfalls von oben bis unten durchnässt. Er hatte seine Capy abgenommen und seine Haare klebten platt am Kopf. Jetzt wo sie so nass waren, sahen sie mehr braun als blond aus. Sein weißes Shirt war ziemlich durchsichtig geworden und ließ seine Muskeln und eine Tätowierung auf der Brust durchschimmern. „Hat voll Bock gemacht, oder?“
„Auf jeden Fall.“ Mehr fiel mir nicht ein. Irgendwie schien mein Gehirn das Denken einzustellen, wenn Nick mir gegenüberstand.
„Ich bin übrigens Nick“, sagte er zu Paula gewandt und reichte ihr die Hand. „Und das ist Jacob.“ Der Bassist oder Gitarrist reichte uns ebenfalls die Hand.
„Habt ihr hier schon mal mitgemacht?“, wollte Jacob wissen.
„Gab es das schon öfter? Das wusste ich gar nicht“, antwortete Paula, die von der Aktion ja nur zufällig gelesen hatte.
„Ja. Vor vier Jahren bin ich hier aus Versehen rein geraten und habe dort meine Freundin kennengelernt. Lena. Sie steht da hinten bei ihren Freundinnen.“ Er deutete auf eine Gruppe Mädchen, die kichernd über ein Handy gebeugt standen. Sicher schauten sie sich Fotos von der Wasserschlacht an. „Seitdem organisieren wir es jedes Jahr am gleichen Tag.“
„Das ist ja süß“, quietschte Paula begeistert. „Wir sind nächstes Jahr auf jeden Fall wieder dabei, oder Mia?“
„Klar.“ Wenn Nick auch wieder mitmacht auf alle Fälle.
„Naja, wir werden uns jetzt mal trocken legen“, erklärte Nick und schaute an sich herab. „Danach haben wir noch Probe.“
„Tretet ihr bald mal wieder auf?“, gelang es mir endlich einen vollständigen Satz herauszubringen.
„Nächsten Freitag im Caro.“
„Gehen wir dahin?“, fragte ich an Paula gewandt.
„Klar, warum nicht.“ Gut, dass meine Freundin für spontane Aktionen immer zu haben war.
„Cool. Dann bis nächste Woche.“
Nick und Jacob verabschiedeten sich von uns. Grinsend schaute ich ihnen hinterher. Was für ein Zufall, dass wir den beiden hier begegnet waren.
„Stehst du auf ihn?“ Paula stupste mir mit dem Ellenbogen in die Seite.
„Was? Nein? Wie kommst du darauf?“
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