Bianca Savcenco
Sandsturm, Liebesstille
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Inhaltsverzeichnis
Titel Bianca Savcenco Sandsturm, Liebesstille Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog
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Epilog
Schlussbemerkung
Impressum neobooks
Die Tage zerfließen im Licht heißer Frühlingssonne, wenn man nicht weiß, wohin mit sich. Sie lief fremd durch die Straßen ihrer Heimatstadt – die Geschäftigkeit der Menschen, die Banalität ihrer Alltagssorgen stießen sie ab - und begann jedes Mal einen neuen Traum, wenn sie jemanden Rumänisch sprechen hörte, oder Arabisch, oder Amharisch… So viele Horte vergangener Geborgenheit, vergangenen Glücks. Je nachdem, welchen Sprachfetzen sie aufschnappte, wurde sie melancholisch oder es stiegen Bilder vor ihrem inneren Auge auf: wie Salem ihre Älteste auf den Rücken festgebunden hatte, Erbsen palte und dabei sang; wie die Mädchen in Sibiu zum ersten Mal in ihrem Leben staunend Schnee erblickt hatten…. Es waren warme Gefühle, oder eher des émotions doux-amères, denn am Ende dieser Bilder stand immer eine leichte Bitterkeit. Und die Einsicht, dass tief in ihr eine große Verwirrung herrschte, die noch nicht ganz aufgelöst war.
Sie kaufte beim Italiener einen Liter hausgemachter Eiscreme, und dann, verloren auf der sonnigen Straße laufend, konnte sie ihr Auto nicht finden. Sie hatte vergessen, dass sie kein Auto mehr besaß, sie musste mit der Straßenbahn lange fahren, das Eis würde schmelzen.
Wie ein Faustschlag traf es sie, wenn sie das Arabisch der Nordafrikaner hörte, durchsetzt mit französischen Redewendungen. In jeder einzelnen Silbe schien die raue Zärtlichkeit der Welt eingeschlossen zu sein, und das Geheimnis der Liebe. Sie zwang sich dann, nicht aufzublicken, nicht nachzuforschen, woher die Worte kamen . Sie hatte sich verschlossen gehabt, hatte alle Gefühle auf Sparflamme gedrosselt, die Luft angehalten. Sie hatte versucht, auf kleinem Fuß zu leben, nichts zu fordern, um nicht in Verzweiflung auszubrechen, wenn sie daran dachte, wie viel sie gehabt hatte, wie viel Schönes möglich war. Wie viel Gefühl, wie viel Leben, wie viel Glück.
Und dann, ohne dass sie sich weiter dagegen wehren konnte, kamen trotzdem die Momente starker Sehnsucht. Momente, in denen sie angefallen wurde von der Erinnerung. Weil ein Baum die gleichen Blüten trug wie jener, der den Duft in seine Wohnung geweht hatte. Momente, in denen eine vertraute Melodie, ein Männerlachen, das seinem ähnelte (oh Gott, sein dunkles Lachen!), eine Körperhaltung, die seiner glich, sie völlig aus ihrem ohnehin fragilen Alltag herausrissen. Dann fühlte sie sich zu schwach für die sie umgebende Welt, unfähig, die an sie gestellten Anforderungen zu erfüllen. Unpassend, aus einer fremden Zeit gefallen, in Gefühlen schwimmend, die keine Richtung hatten, keine Verankerung, keine Legitimierung. Wenn es besonders schlimm wurde, ging sie in den Wald. Die Natur bot keinen Trost, aber hier konnte sie ihr Leben zumindest aushalten, sich von einer Sekunde zur nächsten hangeln.
Es gab so viele abgenutzte Bilder für Leid. Sie fand das nicht fair, da es suggerierte, man könnte sich darin zuhause fühlen, in einer Sprache, die andere schon benutzt hatten und dadurch auch in Gefühlen, die andere schon erlebt hatten. Aber so war es nicht. Ihr Leid war einzigartig, sie fühlte sich sehr weit weg von den Menschen um sie herum, nichts konnte sie mit ihnen und der Alltagswelt versöhnen. Sie wollte sich die Besonderheit ihrer Situation bewahren, ihre Gefühle davor bewahren, durch Psychoanalyse oder Gespräche mit wohlmeinenden Freunden in die Banalität zu kippen. Es hätte sie vielleicht erleichtert, diese Gefühle zu verkleinern. Aber dann wäre sie mit leeren Händen dagestanden.
Sie wusste instinktiv, dass die unauslöschliche Sehnsucht das Feuer war, das sie am Leben hielt, das ihr den Weg weisen würde. Und von all ihren anderen merkwürdigen augenblicklichen Seinszuständen - Leere, Fremdheit, wütende Raserei - war ihr die Sehnsucht noch am liebsten: weil sie sich nicht zufrieden gab und sie früher oder später zwingen würde, wieder Entscheidungen zu treffen.
Tripolis, 19. Februar 2011, 14:30, Baumersche Villa
Als Laetizia in das Wohnzimmer von Silke und Ralf Baumer trat, begrüßten die dort anwesenden Gäste sie zwar höflich, aber teilweise mit starrem Gesichtsausdruck, und wandten sich rasch wieder ihren Gesprächen zu. Laetizia folgte Silke in die winzige Küche, wo diese Sektgläser auf einem Tablett arrangierte.
„Wenn wir schon auf dem Vulkan tanzen, dann richtig!“, sagte Silke mit dünnem Lächeln und ließ den Korken knallen. In der Küche standen zwei Bleche mit frisch gebackenem Kuchen; Baumers hatten vor einigen Stunden spontan Freunde und Arbeitskollegen zu sich eingeladen, um Alkoholvorräte zu vernichten, alle noch ein letztes Mal zu sehen und vielleicht auch, um mit ihrer Nervosität nicht allein zu sein.
Laetizia fand das übertrieben. Es hatte zwar Demonstrationen und in der Folge gewaltsame Auseinandersetzungen in Bengasi gegeben, aber alle Kenner der politischen Lage hatten ihr versichert, die Unruhen aus den Nachbarländern würden nicht auf Libyen übergreifen. Bengasi sei weit weg und die Menschen dort schon immer vom Regime vernachlässigt gewesen, woher sich eine (auch historisch bedingte) gewisse Aufsässigkeit erklären lasse. Die Tripolitaner seien aber schlauer, sie hätten viel mehr zu verlieren. Sie würden abwarten, bis Ghaddafi das Problem in Bengasi mit Gewalt oder mit Geld oder mit beidem lösen würde, und so sollten es auch die in Tripolis lebenden Expats halten. Laetizia konnte das nur Recht sein. Ihr würde im Traum nicht einfallen, das Land zu verlassen. Nicht jetzt, wo es so spannend zu werden versprach, politisch wie privat!
„Machst du dir wirklich Sorgen?“, fragte sie deshalb Silke.
„Ob ich mir Sorgen mache? Ha!“ Silke schenkte mit der Rechten Sekt ein und deutete mit dem Kopf auf ihre Linke, in der sie eine Zigarette hielt. „Ich hab wieder angefangen, zu rauchen! Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, Laetizia. Aber es beunruhigt mich enorm. – Kannst du mir bitte die Tür aufhalten?“
„Ah, na endlich! Der Schampus!“ Ralf Baumer stammte aus einer Gegend in Bayern, in der man die Worte sehr dehnte. Aber da er im Prinzip hochdeutsch sprach, hatte Laetizia ihn im Verdacht, die langsame, gedehnte Aussprache nur einem beeindruckenden Auftreten zuliebe bewahrt zu haben. Er war genauso groß und dick wie seine Frau, Silke machte er allerdings Vorwürfe wegen ihrer Figur.
„Freunde!“, rief er aus. „Danke, dass ihr unserer Einladung gefolgt seid und mit uns gemeinsam einen letzten ruhigen Tag in Tripolis verbringt! Keiner weiß, was is, keiner weiß, wie’s morgen ausschaut; also haltet euch nicht zurück. Wir wollen doch nichts dem Feind überlassen! Heute wird alles ausgetrunken! Hier ist Open House, bis die letzte Schampus-Flasche geleert ist, mein Ehrenwort!“ Laetizia entgegnete amüsiert:
„Ja, glaubst du denn, dass morgen schon die Horden kommen, die euren Alkohol plündern? Es ist nicht mal gesagt, ob die Schule geschlossen ist.“
„Also Laetizia, ehrlich, ich weiß nicht, was ihr euch dabei denkt.“ Carmen, die Frau des Wintershall-GM, blickte sie vorwurfsvoll an. „Die British School und die Gems sind schon seit Donnerstag geschlossen, nur ihr könnt euch nicht einigen. Ich schick meine Kinder morgen nicht in die Schule. Ich besorg mir direkt ein Ticket, und dann: Maasalamah!“ „Heuers sind schon gestern rausgeflogen, die ganze Familie“, sagte ein großgewachsener junger Mann, den Laetizia nicht kannte.
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