Sie schaltete den Fernseher ein und legte sich auf das noch ungemachte Bett. Einen Zimmerservice erwartete man in diesem Hotel kaum. Meist fragte der Wirt, ob alles in Ordnung sei oder ob sie besondere Wünsche habe. Maggie hatte diese Fragen stets verneint und inzwischen fragte auch niemand mehr.
Sie hatte noch zwei Stunden Zeit. Im Fernseher kam nichts Gescheites. Ihr fielen die Augen zu. Kurz darauf war sie eingeschlafen.
Maggie schreckte hoch, als das Telefon läutete.
„Hier unten ist ein Herr, der sagt, er sei mit Ihnen verabredet“, meldete sich Leonhard, der Wirt.
Satorius! Maggie sah auf die Uhr. Fast drei Uhr am Nachmittag. Drei Stunden hatte sie geschlafen.
„Sagen Sie ihm, er möge einen Moment warten. Ich komme runter.“
Maggie legte auf und ging ins Badezimmer um sich frisch zu machen. Das Bad war sauber, die Kacheln, die Toilette und die Dusche. Sie waren nur deshalb sauber, weil sie selbst sie gereinigt hatte. Anfangs kam noch eine Frau im gesetzten Alter. Doch als sie nach der Reinigung ging, war es ihr, als hätte sie auch fernbleiben können. Als sie das nächste Mal wiederkam, sagte ihr Maggie, dass sie sich selbst darum kümmern würde. Die Alte schlurfte davon, es schien ihr gleichgültig zu sein. Niemand sprach sie später darauf an, auch nicht Leonhard oder dessen Frau. Offensichtlich war man froh, dass man die Sache vom Hals hatte. Wo nicht gereinigt wurde, konnte sich auch niemand über eine schlechte Reinigung beschweren. So viel zur Aussage Leonhards: Agnes und die Sauberkeit.
Maggie stand lange unter der Dusche, die sie in Abständen immer kühler stellte schließlich das eiskalte Wasser an ihr herablief. Sie drehte den Hahn zu, trocknete sich ab und schlüpfte in ihre enge hüfthohe Jeans. Sie griff nach dem BH, der über dem Bett hing, legte ihn nach kurzem Zögern wieder weg und streifte eine weiße Bluse, deren Zipfel sie über dem Bauchnabel zusammenband, über ihren nackten Körper. Sie öffnete den Kleiderschrank und ließ ihren Blick über die Schuhpaare streifen, die sie am Boden abgestellt hatte. Schließlich entschied sie sich für ein Paar halbhohe sportliche Schuhe, die ihren schlanken Fuß unter den hautengen Jeans besonders zur Geltung brachten.
Das um den Kopf gewickelte Handtuch, das verhindert hatte, dass ihre Haare während des Duschens nass wurden, warf sie achtlos auf das Bett und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und schüttelte sie auf.
Nach einem letzten Blick in den Spiegel im Bad, dessen braune Ränder von einem hohen Alter zeugten, ergriff sie ihre Handtasche und sah hinein. Zufrieden nickte sie, sah sich noch einmal um und verließ den Raum, den sie sorgfältig verschloss. Eine unnütze Maßnahme, dachte sie. Leonhard hatte einen zweiten oder dritten Schlüssel. Sollte er doch nachsehen, wenn er das unbedingt brauchte.
Sie stieg mit leicht eingeknickten Beinen die Treppe hinab, die hohen Absätze vereitelten eine andere Haltung.
Satorius stand an der Theke, im Gespräch mit Leonhard, in der Hand ein halbleeres Glas Bier. Als er Maggie sah, stellte er das Glas auf der Theke ab und kam auf sie zu.
„Welch märchenhafte Erscheinung am frühen Nachmittag, Gretel“, scherzte er, indem er ihre Hand nahm und einen Handkuss andeutete. „Wer möchte da nicht gerne Ihr Hänsel sein?“
Voller Erwartung trafen Overbeck und Leni in Hermeskeil ein und eilten die Stufen zum Portal der Polizeiinspektion empor. Gehweiler öffnete auf ihr Läuten und es kam Leni vor, als habe er hinter der riesigen Doppeltür gestanden und nur auf ihre Ankunft gewartet.
„Gut, dass ihr kommt“, rief er und warf die Arme vielsagend in die Höhe. „Es ist nichts aus ihm herauszubringen. Er streitet alle Vorwürfe ab.“
„Ihr habt bereits mit der Vernehmung begonnen?“ Overbecks Stirn legte sich in Falten und Gehweiler schob schnell eine Bemerkung hinterher. „Befragt haben wir ihn, nicht vernommen, nur befragt.“
„Du sagtest doch, es sei nichts aus ihm herauszubringen?“, legte Overbeck nach und Gehweiler atmete tief ein, während er hilfesuchend auf Leni sah.
„Er brachte uns mit seinem Schweigen auf die Palme und da … da haben wir ihm die Morde vorgehalten“, stotterte er.
„Und nun sagt er nichts mehr und will einen Anwalt. Richtig?“
Gehweiler nickte. „Aber wir haben in dieser Richtung noch nichts unternommen. Wir wollten auf eure Ankunft warten.“
„Wenigstens etwas Gutes“, brummte Overbeck und Leni sah den Moment gekommen, die Diskussion zu beenden.
„Dann bring uns zu ihm. Wollen mal hören, ob er nicht doch etwas zu sagen hat.“
Sie gingen vorbei an der Wache, wo sich zwei junge Kollegen unterhielten und kurz die Hand zum Gruß hoben, als sie die Gruppe sahen. Dann folgten sie einem mit hässlichen grauen Fliesen verlegten Gang, an dessen Ende Gehweiler stehenblieb und auf eine der beiden Zellentüren zeigte.
„Unser Polizeigewahrsam, zwei Zellen“, sagte er fast entschuldigend, als hätten Leni und Overbeck mehrere davon erwartet. „Er ist in Nummer eins.“
Overbeck schob mit der Fingerspitze die kleine runde Sichtschutzplatte vor dem Spion beiseite und sah hindurch. Die kahle Pritsche auf der rechten Seite an der Wand war leer. Schon glaubte Overbeck, seine Augen spielten ihm einen Streich, da sah er ihn. Er saß auf der linken Seite des kleinen Raumes, unmittelbar neben der Tür, weshalb er ihn nicht sofort wahrgenommen hatte.
Es war ein junger Mann, den Overbeck an die achtzehn Jahre schätzte. Die dunklen vollen Haare reichten bis zur Schulter und hingen ungezügelt über beide Gesichtshälften, so dass gerade die Nasenspitze zu erkennen war. Seinen Anorak hatte er über beide Knie gelegt und seine Unterarme darauf abgestützt. Ob er schlief oder seinen Gedanken nachhing war nicht zu erkennen.
Overbeck nickte Gehweiler zu, der mit einem Rasseln sofort den Schlüssel ins Schloss steckte und mit zwei klackenden Geräuschen das Schloss öffnete.
Kaum hatte Overbeck die Zelle betreten, sprang der junge Mann auf und ließ eine Tirade vom Stapel, die den beiden Kriminalbeamten erst einmal die Luft nahm.
„Warum werde ich hier festgehalten?“, rief er schließlich und wandte dabei sein Gesicht den Beamten zu.
Overbeck sah einen jungen Mann vor sich, einen Mann mit langen, ungepflegten Haaren, mit stoppelbärtigem Gesicht und buschigen Augenbrauen. Er betrachtete das Gesicht des Gegenübers, um daraus zu lesen, auf seine Gedanken, seinen Charakter zu schließen. Es sprang ihm nur Hass und Wut über die Ohnmacht eines Festgenommen entgegen.
Overbeck verzichtete angesichts der momentanen Verfassung des Mannes auf eine weitere Unterhaltung in der Zelle.
„Bringt ihn in den Vernehmungsraum!“, gab er kurz Anweisung und zu Leni gewandt, sagte er kurz: „Komm!“
Gehweiler winkte einem jungen Kollegen, der just in diesem Moment den Gang betrat. Overbeck und Leni drehten sich nicht mehr um.
Der Vernehmungsraum lag im Obergeschoss, ein etwa 20 Quadratmeter großer, weiß angestrichener Raum, spartanisch eingerichtet, nur mit dem Notwendigsten ausgestattet. Auf einer Art Sideboard an der Wand gegenüber der Tür wartete ein Tonbandgerät auf seinen Einsatz und sogar eine kleine Videokamera hatte man auf einem Stativ in der Nähe des Fensters, weit genug weg vom Vernehmungstisch installiert. Eine Glasscheibe in der Größe einer Tischplatte gewährte einen Blick in das Innere des Vernehmungszimmers, nicht aber nach außen, wo meist ein Polizeibeamter das Vernehmungsgeschehen verfolgte, um in einer Ausnahmesituation eingreifen zu können.
Während Gehweiler und sein junger Kollege den Festgenommenen in den Vernehmungsraum führten, warteten Leni und Overbeck noch einen Moment draußen.
„Er hat keine Papiere dabei“, sagte Leni nachdenklich. „Und er macht keine Angaben über seine Person.“
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