„Ja, ich weiß: Sie haben es sich selbst zuzuschreiben. Ich werde mit Krauss sprechen“, erwiderte Leni kurz. „Er soll entscheiden. Wir haben dann zumindest alles getan und brauchen uns keine Vorwürfe zu machen.“
Peters kam auf Leni und Overbeck zu. Franzen richtete den Inhalt der Spurenkoffer und schloss die Behältnisse.
„Man hat ihm das rechte Bein zerschlagen“, sagte Peters. „Wie bei Dellmann.“
Der Arzt war immer noch nicht da.
Leni telefonierte mit dem Bestattungsinstitut. Man möge sich noch etwas Zeit lassen, die Leichenschau sei noch nicht abgeschlossen.
„Und?“ Leni sah Peters fragend an. „Wie lange ist er tot?“
„Ich hoffe, dass ich mich nicht irre. Aber der Tod dürfte vor etwa zwölf Stunden eingetreten sein.“
„Das würde bedeuten, er wurde am gestrigen Abend ermordet?“
„Ja, zu einer Zeit, als es noch hell war.“
„Dann muss sich der Täter sehr sicher gewesen sein. Kannst du bestätigen, dass die Tat hier geschah oder wurde er nachträglich nach hier gebracht?“
„Nein, es geschah hier, zweifellos. Entweder ist das Opfer freiwillig bis hierher mitgekommen oder …“
„Oder es war willenlos.“ Overbeck klappte sein Notizbuch zu und sah zu dem Toten hinüber. „KO-Tropfen, wie im Fall Dellmann. Warum sollte es dieses Mal anders sein? Selber Täter, gleiche Vorgehensweise. Da ist der Doc.“
Natürlich war es Dr. Julius Kämmerlein, der seine schlanke, ja fast dürre Gestalt zum Tatort schleppte. Sein Fahrzeug hatte er offensichtlich vor dem Haus abgestellt, der Arztkoffer in seiner Hand schien seinen sehnigen Arm unter dem kurzärmeligen Hemd in die Länge zu ziehen.
„Was ist denn hier schon wieder los?“, fragte er, doch Overbeck gab ihm mit dem Kopf ein Zeichen in Richtung des Toten und Kämmerlein schlurfte in dessen Richtung.
„Wir haben das Flatterband um den Tatort befestigt“, ertönte eine Stimme hinter Overbeck und Leni. Die beiden jungen Kollegen näherten sich und der kleinere von ihnen hielt einen Baseballschläger in der Hand.
„Ich habe ihn nicht angefasst“, beeilte er sich zu sagen und zeigte auf den Gummihandschuh, den er über die rechte Hand gestreift hatte.
„Das hätte mich auch gewundert.“ Overbeck atmete tief durch. Leni hatte ganze Arbeit geleistet.
Der junge Kollege stutzte. „Haben wir etwas falsch gemacht?“
„Nein, alles in Ordnung.“ Overbeck streifte sich ein neues Paar Gummihandschuhe über und nahm den Schläger an sich. „Wo habt ihr ihn gefunden? Lag er hinter dem Schuppen dort hinten?“
Die beiden nickten wie auf Kommando.
„Das gleiche Zeremoniell“, sagte Overbeck, als er sich den Schläger besah und auf die Blut- und Haaranhaftungen im gewölbten Teil deutete.
Leni hielt sich die Hand vor den Mund und nickte. „Die gleiche Art und Weise, wie der Mord vor 18 Jahren geschah. Wer auch immer das getan hat, er ruht nicht, bis er sein Vorhaben zu Ende geführt hat.“
„Er kann es sich nicht leisten, hier oben weiterzumachen. Du wirst sehen, wenn es noch einen Mord geben sollte, das Opfer werden wir nicht mehr hier vorfinden.“
„Was willst du tun?“, fragte Leni. „Sollen wir dieses Haus ab heute rund um die Uhr observieren?“
„Ich glaube, diese Gedanken hegt auch unser Täter. Ich halte ihn für so intelligent, dass er sich etwas Anderes einfallen lässt. Hallo, Kollegen!“
Er wandte sich zu den beiden jungen Polizisten der Hermeskeiler Inspektion, die sofort dienstbeflissen näherkamen.
„Ich möchte, dass dieses Haus ab sofort in unregelmäßigen Abständen in eure Streifen einbezogen wird. Sagt das auch den Kollegen der anderen Schichten. Die Anordnung wird auch noch schriftlich erfolgen. Seht dorthin!“
Overbeck deutete auf den Toten, an dem sich Kämmerlein zu schaffen machte. „Wenn ihr eure Arbeit schlechtmacht, treffen wir uns unter Umständen ein weiteres Mal hier. Das allerdings wollen wir tunlichst vermeiden. Wir haben uns verstanden?“
Die beiden nickten. „Verstanden. Wir werden es sofort weitergeben.“
Kämmerlein hatte seine Arbeit beendet und kam mit Peters und Franzen zu der Gruppe.
„Der Tod kann so vor 12 Stunden eingetreten sein, Vielleicht eine halbe Stunde früher oder später“, sagte Kämmerlein.
Peters lächelte zufrieden.
Erst als der Arzt und die Kollegen der Schutzpolizei den Tatort verlassen hatten, kam der Leichenwagen.
„Wir sehen uns morgen früh“, sagte Overbeck, als Leni am Hochwaldstübchen aus dem Fahrzeug stieg. „Und wenn du nicht weißt, was du morgen Abend machen sollst: Ich habe mir einen kleinen Raum in Trier-Biewer gemietet. Als Dojo. Ich lade dich zu einem Probetraining ein.“
„Probetraining? Denk daran, dass ich noch etwas gut habe bei dir!“
„Das sind die Männer, die Täter von damals, Meg“, sagte Satorius und legte einige vergilbte Zeitungsartikel vor Maggie auf den Tisch. Sie hatten sich für ihr Treffen die gleiche Gaststätte ausgesucht, in der sie das letzte Mal zusammen gegessen hatten, das Restaurant am Hunsrück-Steig. Ihr Tisch stand unmittelbar an der Fensterfront des Gastraumes und so hatten sie eine gute Sicht auf das Treiben der um diese Zeit belebten Geschäftsstraße.
„Und ihre Anschriften?“ Maggie sah Satorius erwartungsvoll an.
„Die Anschriften haben sich geändert. Ich weiß nicht, wo sie sich derzeit aufhalten. Zwei von ihnen leben nicht mehr.“
Es klang beiläufig, als Satorius es sagte, doch Maggies Körper straffte sich plötzlich.
„Tot? Wie sind sie … wann …?“, stotterte sie und Satorius sah sie erstaunt an.
„Sind Sie sich sicher, dass Sie mit mir an dieser Sache arbeiten wollen“, fragte er und sah sie lange an, ehe er weiterfuhr. „Es scheint Sie irgendwie mitzunehmen. Kannten Sie die Männer etwa?“
„Mörder? Trauen Sie mir zu, dass ich Mörder zu Bekannten habe?“
Satorius überging die Frage. „Zwei dieser vier Männer wurden ermordet.“ Satorius wartete auf eine Reaktion Maggies, doch sie zeigte keine Regung.
„Wie sind sie zu Tode gekommen?“, fragte sie und neigte sich etwas über den Tisch auf Satorius zu.
„Ich habe den Eindruck, die Polizei vermutet einen Zusammenhang mit den Taten von vor 18 Jahren. Es heißt, man habe sie brutal erschlagen. Mehr weiß ich nicht. Noch nicht.“
„Erschlagen?“ Satorius glaubte für einen Moment, ein flüchtiges Lächeln in Maggies Gesicht festgestellt zu haben. Auf den zweiten Blick war jedoch alles wie vorher. Maggie schob ihre leere Kaffeetasse mit einer langsamen Bewegung zur Seite und beugte sich noch etwas weiter auf Satorius zu.
„Dann haben Sie ja nun eine aktuelle Story und brauchen nicht mehr in der Vergangenheit zu stöbern“, sagte Maggie, doch Satorius lächelte.
„Nur gemeinsam mit der Geschichte der Vergangenheit wird die aktuelle Situation zu dem Reißer, wie sich ihn unsere Leser wünschen. Wir müssen die Geschichte der Täter von damals bis ins Kleinste recherchieren. Wir müssen alles noch einmal aufwärmen. Was geschah damals? Wie haben sie ihre Zeit im Knast verbracht? Haben sie Familie? Was tun sie heute?“
„Und warum mussten bereits zwei der Täter sterben? Diese Frage wird doch wohl am meisten interessieren?“
„Das glaube ich kaum, dass es diese Frage sein wird. Vielmehr wird für unsere Leser interessanter sein, zu erfahren, was mit den anderen beiden passiert. In dieser Erwartungshaltung werden sie die Angelegenheit verfolgen. Die Sensationsgier, verstehen Sie? Außerdem wird es den Lesern wie uns gehen. Sie werden schnell herausfinden, dass es sich um Racheakte handelt.“
„Racheakte? Wie kommen Sie darauf, dass es sich um Racheakte handelt?“, fragte Maggie erstaunt. „Wer sollte das tun? Die Taten liegen 18 Jahre zurück. Zum Rächen war doch Zeit genug in den vergangenen Jahren.“
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