„In Ordnung!“, sagte sie huldvoll nickend und gab mir auch meine linke Hand gnädig zurück, „aber die Fingernägel könntest du ruhig mal bürsten“. Dann spitzte sie leicht die Lippen, vergaß anscheinend völlig meine Anwesenheit und ließ demonstrativ ihren Blick schweifen:
„Das ist ein großes Haus.“
„Wie gesagt: geerbt.“
„Zeigst du es mir?“
Sie konnte erfrischend direkt sein. Freilich konnte sich eine Führung durchs Haus ohne Frage auch als gute Gelegenheit erweisen, ihr hie und da unverfänglich näherzukommen. Hauptsache, die Führung endete in einem Raum mit Bett. Doch wo anfangen?
„Willst du den Keller auch sehen?“
Sie lächelte spöttisch:
„Da kommst du doch eben her. Wird schon alles in Ordnung sein in dem finsteren Loch. Oder hast du da unten vielleicht gerade ein paar deiner nackten Sklavinnen angekettet?“
Donnerwetter! Dieses Herzchen konnte wirklich das Tempo ändern, dass einem die Luft wegblieb. Schon wieder war ich um eine schlagfertige Antwort verlegen und presste nur ein erbärmliches:
„I wo, für wen hältst du mich denn?“
hervor.
Kaum hatte ich das gesagt, ärgerte ich mich schon darüber. Wieso musste ich Idiot ausgerechnet beim Thema Sex abwiegeln, wenn sie mir mit ihrem unbekümmerten Drauflosplappern schon eine solche Vorlage gab?
Nun, jedenfalls hatte ich mich mit meiner bekloppten Antwort selbst aus der Bahn geworfen und unterließ es nun tunlichst, meinerseits irgendwelche delikaten Anspielungen zu wagen. Die hätte ich aber gebraucht, um mit meinen Verführungsplänen zügig voranzukommen. Es war höchste Zeit.
Immerhin zeigte sie bemerkenswertes Interesse an dem Haus. Sie ließ sich alles ausgiebig erklären, drängte sich auch selbst mal in diesen oder jenen Winkel und stellte viele Fragen zu praktischen Details.
„Hast du gar keine Angst, mal überfallen zu werden, in einem so abgelegenen Haus?“, fragte sie mit ängstlichem Unterton.
„Angst? Was ist das?“, prahlte ich. „Außerdem habe ich eine erstklassige Alarmanlage.“
„Ist bestimmt waaaaahnsinnig kompliziert.“
„Überhaupt nicht. Geht alles automatisch.“
„Dann ist sie immer … äh, wie sagt man …?“
„… aktiv? Nein. Sieh mal, hier im Flur gibt es diese Steuereinheit, da kann ich sie jederzeit scharf- oder abschalten.“
„Scharf?“
Frauen und Technik!
Mir war klar, dass sie von derlei Dingen besser die Finger lassen sollte, und ihr vermutlich auch. Aber da sie es nun mal wissen wollte, konnte ich es ihr ebenso gut erklären. Verstehen würde sie es sowieso nicht. Aber vielleicht würde sie dafür meine Körpersprache verstehen:
„Du drückst diesen Knopf – Aus! – oder diesen Knopf – Scharf!“
Um die Knöpfe zu drücken, hatte ich bedauerlicherweise eng um sie herumfassen müssen, weil sie mir in typisch weiblicher Gedankenlosigkeit genau im Weg gestanden war. Meine Nähe schien ihr aber diesmal nicht viel auszumachen, denn sie drehte nur den Kopf nach mir und zeigte mir lächelnd ihre blitzsauberen Zähne.
„Und was ist nun scharf?“
Möglicherweise hatte ich mich in meinem begreiflichen Überschwang doch etwas zu eng an sie gedrückt, und sie hatte schon einmal die ganze Härte der Zukunft zu spüren bekommen. Das, worauf ihr Schoß sich noch dreieinhalb bis vier Minuten lang freuen durfte.
Doch erstmal piano, piano!
„Ich, ähm, na ja … also … die Anlage eben. Wenn sie eingeschaltet ist.“
„Aber müsste da nicht irgendwas blinken oder leuchten oder so?“, fragte sie in einem jähen Anfall von Erkenntnis.
„Schon. Du musst natürlich den Code eingeben, damit die Anlage anspricht. Ich komme jetzt gerade schlecht ran. Drück du doch mal …“
Ich drückte unterdessen einstweilen ihre Taille, die ich ersatzweise gefasst hatte, weil sie wirklich genau vor den Knöpfen stand. Ob ich vielleicht auch schon mal zwei Knöpfe drücken sollte?
„Hier diese?“, fragte sie, und sah mich wieder so schelmisch über die halbentblößte Schulter hinweg an.
„Ja“, erwiderte ich und rückte ihr vorsichtshalber noch etwas enger auf die Pelle, damit ich ihr in etwaigen Notfällen ohne Verzögerung beistehen konnte. „Drück 5 – 7 – 4 – 3 – 6! Ja, genau so! Siehst du, ist ganz einfach.“
„Und jetzt sind wir sicher?“
„Ganz sicher. Möchtest du gleich ein wenig …“
Sie entwand sich mir geschickt, und ihr verführerisches Lächeln ließ erst gar keinen Zweifel daran aufkommen, welches Spiel wir gerade spielten. Ich hatte nichts dagegen, denn je mehr ich mich auf ihre Art einließ, in Fahrt zu kommen, desto eher konnten wir uns endlich der Hauptattraktion dieses denkwürdigen Abends zuwenden.
Außerdem amüsierte mich diese typisch weibliche Neugier. Frauen müssen immer ganz genau wissen, was sich hinter fremden Fenstern abspielt, ob die Fenster nun zu einem Königshaus gehören oder wie bei mir zu einem idyllisch gelegenen Häuschen im Wald.
Als letztes besichtigten wir das Schlafzimmer. Mein Schlafzimmer. Sie lobte das große Bett und äußerte sich sehr wohlwollend über meine erkennbare Vorliebe fürs Puristische.
Gleich auf eine kleine Nummer bleiben wollte sie trotzdem nicht.
*
Minuten später saßen wir dann doch noch im Wohnzimmer. Den Wein, den ich mit großem Tamtam entkorkt und zum Atmen in eine teure Kristallkaraffe gegeben hatte, ließ sie mich einschenken, doch sie nippte kaum davon. Stattdessen bat sie mich, ihr doch ein schönes Glas Mineralwasser zu bringen. Das tat ich beflissen, jedoch schickte sie mich umgehend zurück, weil sie nur Wasser ohne Kohlensäure haben wollte. Als ich ihr das brachte, zeigte sie sich pikiert wegen eines unschönen Flecks an ihrem Glas, den sie mittlerweile entdeckt hatte. Also musste ich ein weiteres Mal in die Küche und zurück. Dann endlich hatte ich sie fürs erste zufriedengestellt.
Bei ihr zurück hätte ich mich am liebsten gleich neben sie gesetzt und mit der Handarbeit begonnen, doch noch schien mir das zu plump. Also nahm ich stattdessen wieder ihr gegenüber Platz und war auf einmal so verlegen, dass ich kaum wusste, wohin mit meinen Händen. Verdammt nochmal, wie schafften das eigentlich andere Männer? Andere hatten offenbar nie Probleme, wenigstens schon mal die Hand in die Bluse zu kriegen.
Glücklicherweise hatte ich fürs erste wenigstens das Glas mit dem ungeliebten Rotwein zum Festhalten. Das hatte ich auch nötig.
Manche Frauen waren deutlich unkomplizierter, wenn die Situation erst einmal so erfreulich weit fortgeschritten war. Ausgerechnet dieser blonde Engel aber schien keineswegs die Absicht zu haben, auch nur einen Quadratzentimeter Haut kampflos preiszugeben.
Fast zwangsläufig war sie es daher, die schließlich wieder so etwas wie ein Gespräch in Gang brachte. Sie ließ mich noch mehr über das Haus erzählen, das Wichtigste aus meinem Lebenslauf, auch allerhand über meine Arbeit. Als wir auf meine Unabhängigkeit zu sprechen kamen, witterte ich die Gelegenheit, endlich mal so richtig aufzutrumpfen. Dazu musste ich gar nicht sonderlich übertreiben, weil ich erstens erkleckliche Rücklagen angehäuft hatte und weil zweitens die anwenderbezogene Software, die ich teils für finanzkräftige Kunden nach Maß schneiderte, teils über verschiedene Internetplattformen direkt vertreiben ließ, einen angenehm gleichmäßigen Geldstrom auf meine Konten fließen ließ.
„Normalerweise kann ich an jedem Ort der Welt arbeiten. Und zu jeder Zeit, die ich will.“
„Beneidenswert!“, stieß sie hervor, und ich meinte zum ersten Mal so etwas wie Bewunderung in ihren Augen zu lesen.
So setzte ich sie denn mit zügig zunehmender Bereitwilligkeit über die imponierendsten Details meines für sie offenbar aufregenden Lebenslaufs in Kenntnis, erfuhr aber über sie so gut wie nichts. Sie erwähnte, dass sie BWL und Psychologie studierte und momentan an einer Zulassungsarbeit bastelte. Aber das war ja ziemlich genau das, was ich schon über sie wusste. Nicht einmal ihr Alter wollte sie mir verraten, doch als ich sie vorsichtshalber auf achtzehn schätzte, lächelte sie.
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