Was sollte sie in diesem Moment auch antworten. Deshalb schwieg sie zunächst, und genoss den Rotwein.
»Nie hätte ich es für möglich gehalten. Aber dein Harald war vermögend, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Nach meinen Informationen hatte er sogar eine Beteiligung an einem großen chinesischen Konzern gehabt.«
»Stimmt. Das habe ich mit eingefädelt.«
»Duuu?!«
Chantal lachte dunkel.
»Ja. Vor zwei Wochen war Tao Lin-Lin, der Inhaber, bei mir. In meiner Villa im Odenwald. Wir haben nicht nur Kaffee getrunken.«
»Sag‘ dass das nicht wahr ist!«
Miranda stellte ihr Weinglas krachend auf den Tisch. Bedeutet das, dass du …?«
»Ja. Harald hat mir alles vermacht. Die letzten Wochen waren irrsinnig spannend und arbeitsreich. Das war der Grund, warum ich unser Rendezvous so lange hinausschieben musste. Leider.«
»Ach du meine Güte. Dann … dann.«
Miranda blickte ihre Freundin mit versteinerte Mine und offenem Mund an.
Und dann erzählte Chantal die ganze Geschichte. Ihre Freundin und Geliebte sollte es wissen. Damit sie das, was gleich folgen würde, richtig einordnen konnte.
»Tao hat mir die Position des Aufsichtsrates angeboten. Natürlich nicht für den chinesischen Konzern, sondern für das deutsche und das französische Unternehmen … und für die fünfundzwanzigprozentige Beteiligung in China«, schloss Chantal ab.
»Ach du meine Güte. Das ist ein Traumjob«, jubelte Miranda. »Ich beneide dich.«
Während Chantal die beiden Gläser wieder mit dem dunklen Rotwein nachfüllte, sagte sie fast beiläufig:
»Falsch meine Liebe. Du hast allen Grund, dich zu beneiden.«
»Wie … wie soll ich das verstehen?«, stammelte die plötzlich Hellwache.
Chantal übergab Miranda ein volles Glas, um danach ihr Glas hochzuheben.
»Lass‘ uns anstoßen auf deinen neuen Traum.«
Als sie sah, dass ihre Freundin das Glas abstellen wollte, blaffte sie diese schroff an:
»Anstoßen hab‘ ich gesagt! Das bringt sonst kein Glück. Verstanden?!«
Mit Tränen in den Augen streckte Miranda ihrer reichen Geliebten zitternd das Glas entgegen. Es klirrte dunkel. Beim Trinken rann fast die Hälfte des roten Inhalts über ihr Kinn, ihren Hals und tropfte auf die Decke. Doch danach warf sie das Glas in den Kamin, um auf Chantal zuzustürzen. Diese konnte gerade noch rechtzeitig ihr Glas ebenfalls in den Kamin schleudern.
Jauchzend und schreiend setzte sich Miranda breitbeinig auf Chantals Schoß. Sie umschlang hastig und weinend ihren Hals. Nach unzähligen wilden Küsschen gab sie ihr einen langen und innigen Kuss.
Anschließend liebten sie sich - bis die Vögel draußen im Garten wieder zu lärmen begannen.
Die Zeit war nicht stehen geblieben. Chantal hatte sogar das Gefühl, dass sie zu rasen begann.
Ihre Stammkunden waren inzwischen höchst unterschiedliche Wege gegangen.
Bruder Balduin, der Dekan, hatte sich zwar nicht unter eine Glocke gestellt, die ihn hätte zermalmen können. Stattdessen ließ er sich von einer attraktiven Witwe in seiner Heimatgemeinde trösten. Man munkelte, sie sei zu anstrengend gewesen. Er starb auf dem Weg in die Klinik. Es war ein schneller und schöner Tod.
Ronald Rehfeldt zog sich aus der Geschäftsführung der Sektfirma zurück. Er starb bei einem Abschlag auf seiner geliebten Golfanlage; ein Sekundentod.
Die Entscheidung, Miranda den Weg in eine neue Zukunft zu ebnen, stellte sich als eine gute und pragmatische Lösung heraus. Für diese Welt war Chantal nicht geschaffen. Zweifellos hätte sie sich zu sehr in diesen Sumpf hineinziehen lassen. Ihre Seele wäre darin erstickt.
Allerdings, und das war ebenfalls abzusehen, riss diese Welt Miranda mit sich. Sie sahen sich nur noch selten. Neuerdings verbrachte die Gestresste weit über die Hälfte der Zeit in China. Vor wenigen Tagen lüftete sie ihr Geheimnis. Taos Schwester Ailin war ein geteilter Pfirsich, wie man in China zu sagen pflegte. Während im alten China die gleichgeschlechtliche Liebe zur weitverbreiteten Kultur des Landes zählte, bestand die Partei auch noch heute darauf, dass es sich hierbei um einen dekadenten kapitalistischen Lebensstil handle. Repressionen waren deshalb noch immer an der Tagesordnung. Tao liebte seine jüngere Schwester über alles. Insofern betrachte er die Liebe zwischen ihr und der überaus attraktiven Deutschen als eine Fügung des Schicksals. Das war natürlich nur die halbe Wahrheit. Ailin gehörten beträchtliche Teile am Unternehmen. Mit ihr musste er sich gut stellen.
Chantal entwickelte sich zunehmend zur Pragmatikerin. Mit riesigen Schritten steuerte sie auf die einundfünfzig zu. Ihre männlichen Kunden, auch des gleichen Alters, ließen sich lieber von einer duftenden und erotischen Zwanzig- oder Dreißigjährigen verwöhnen. Das Zeitalter der Begleiterinnen mit Niveau schien sich schleichend zu verabschieden. Heißer Sex war angesagter. Lange Gespräche mit einer Konkubine waren nicht mehr so wichtig. Oder redete sie sich das nur ein?
Und noch etwas hatte sich verändert. Frauen drängten zunehmend in die höheren Ebenen; bis hinauf in die Chefetagen. Sie mussten taff und durchsetzungsstark sein. Keine Ahnung, was sich die Götter dabei gedacht hatten. Ein nicht unbeträchtlicher Teil gerade dieser starken Frauen schien nicht viel von Männern zu halten. Oder sie waren zwar mit Männern verheiratet; suchten jedoch Entspannung bei Frauen. Ein Großteil dieser Frauen war nicht mehr blutjung. Und diese Klientel war auf der Suche nach Frauen mit Niveau. Sex war zwar wichtig. Aber sie suchten Begleiterinnen mit Einfühlungsvermögen, mit Sanftheit und gleichzeitig mit Intelligenz oder gar Klugheit. Und solche Frauen waren nicht dichtgesät.
Nicht wenige Klientinnen sahen deshalb großzügig darüber hinweg, dass ihre Begleiterinnen nicht mehr taufrisch waren. Beim Kerzenschein fiel das ohnehin nicht auf.
Gespräche bei entspannenden Ausflügen, im dezenten Ambiente oder im Bett waren durchaus etwas Erstrebenswertes, um aufzutanken oder sich für einige Stunden oder gar Tage fallen zu lassen. Chantal liebte Miranda immer noch. Doch diese war weit weg; lag in den Armen einer Chinesin.
Eines Tages stand Chantal vor dem Spiegel und lachte halblaut.
»Was bist du für ein dummes Huhn. Eigentlich könntest du dir viele Begleiterinnen leisten. Sogar junge, knusprige Ladies. Du könntest sie aus der Portokasse bezahlen.«
Darüber sinnierte sie noch lange. Nein. Nein. Sie brauchte diesen Kick. Sie war ihr ganzes Leben lang lang Liebesdienerin gewesen. Warum sollte sich daran etwas ändern? Weil sie jetzt reich war? Okay. Was sie für ihre Liebesdienste bekam, war lächerlich im Verhältnis zu ihrem neuen Reichtum und zu ihrem Lebensstil. Ein paar Jahre wollte sie diese knisternde Welt noch genießen. Noch ein paar Jahre.
Die Zeit flog dahin. Vor allem die letzten Jahre waren wunderschön und herrlich gewesen. Selbstverständlich bis auf Haralds Tod.
Neuerdings dachte Chantal sehr oft über das Leben mit Harald nach. Es war der einzige Mann in ihrem Leben, dem sie Einblick in ihre Seele gegeben hatte. Zunehmend wurde ihr bewusst, dass sie ihn geliebt hatte; genau genommen immer noch liebte. Bei ihm fühlte sie sich geborgen; fühlte sie sich zuhause. Aber noch mehr liebte sie ihn dafür, dass er sie so genommen hatte, wie sie war. Vielleicht war es ein wenig kitschig, den großen lachenden Buddha, in dessen Bauch sich Haralds Urne befand, dezent zu beleuchten. An warmen Abendenden saß sie auf der Terrasse, blickte auf diesen Buddha und prostete Harald mit seinem Lieblingswein zu.
Eines Abends fiel ihr Professor Kubischek ein, der Harald bis zu seinem Ende begleitet hatte. Sie hatte noch seine Telefonnummer. Und sie hatte ihm versprochen, sich zu melden. Es war verrückt – aber irgendeine Stimme in ihr sagte, dass sie das Harald schuldig war.
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