Als Larousse mit hängenden Schultern seine Augen schloss, und glaubte, dass der Kelch an ihm vorübergegangen war, drehte sich Chantal noch einmal um und sagte lächelnd:
»Ach ja. Dieses Ferienhaus in der Camargue. Das brauche ich zum Ausspannen.«
An dieser Stelle bekam Larousse zuerst einen Schreikrampf, dem ein Weinkrampf folgte. Selbstverständlich hatte Kurt Hochländer auch hierfür einen Vertrag vorbereitet.
Zwei weitere Verträge wurden an diesem Abend unterzeichnet; mit den Nachfolgern von Klaus Kunzmann und Eduard Zischler. Sie kamen aus den eigenen Reihen. Ferdinand Papenburg hatte sie auf Herz und Nieren überprüft und vorgeschlagen.
Wenige Tage später flog Chantal mit ihren Beratern nach Tianjin.
Tao Lin-Lin starrte die Frau ungläubig an, deren Brüste er vor knapp einer Woche genüsslich gestreichelt hatte.
»Wie hast du denn das so schnell geschafft?«, stammelte er einige Male.
Vor allem Notar Kurt Hochländer, er hatte schon viele Konzernlenker nach China begleitet, verstand die Welt nicht mehr, wie schnell und geräuschlos die Verhandlungen und Vertragsunterzeichnungen abgewickelt werden konnten. Als er sah, wie der schmächtige Chinese im Flur zu den Toiletten fast andächtig Chantals Brüste streichelte, war für ihn die Welt wieder in Ordnung. Allerdings dachte er:
»Ach du lieber Himmel. Diese Frau möchte ich nicht zum Gegner haben.«
Später hörte er zufällig, wie Mister Lin-Lin Chantal leise fragte:
»Hast du dir die Sache mit der Aufsichtsratsposition überlegt?«
»Noch zwei Wochen du Schlitzohr. Ich habe vielleicht eine bessere Idee. Denke doch einmal nach. Was fängst du schon mit einer gestressten und abgekämpften Chantal an?«
Und er sah, wie der Chinese die Hände faltete, nach oben blickte und grinsend flüsterte:
»Oh ihr Götter. Ihr solltet einmal überprüfen, ob es sich bei dieser Frau tatsächlich um ein menschliches Wesen handelt.«
Darauf hatte sich Chantal schon einige Wochen gefreut.
Nach Taunusstein wollte sie dieses Mal nicht fahren. Miranda sollte zu ihr in die Villa kommen.
Chantal lächelte über ihre total verrückte Idee. Noch einmal ließ sie ihr neues Schlafzimmer entrümpeln. Bevor sie damals nach dem Frühstück das Haus in Taunusstein verließ, hatte sie mit ihrem Smartphone viele Aufnahmen von der Inneneinrichtung des Hauses gemacht; selbstverständlich auch vom Schlafzimmer von Frau Dr. Miranda Meinhard. Ihr neues Schlafzimmer und das Bad mussten denen von Miranda ähneln; quasi wie eine Kopie sein. Sie sollte sich wohl und heimisch fühlen. Auch die Toilette und den in die Jahre gekommenen Whirl-Pool hatte sie erneuern lassen. Im Grunde genommen war dies kostenneutral. Dieser ekelhafte Kunzmann und der Finanzvorstand Zischler waren für diese Kosten aufgekommen; indirekt natürlich.
»Das ist der verrückteste Auftrag meines Lebens«, hatte Ferdinand vor Wochen gesagt.
»Sind sie ganz sicher, dass es nicht an der Zeit wäre, sich in sorgende Hände zu begeben?«, hatte er lachend hinzugefügt.
»Es ist herrlich, sich ab und zu einen Spleen leisten zu können, vor dem man selbst ein bisschen erschrickt«, hatte Chantal geantwortet.
Warum sie wegen einer Frau einen solchen Aufwand betrieb, konnte sie sich nicht beantworten. Irgendwann wischt sie auch alle diese Fragen beiseite. Sie wischte auch die wichtigste Frage beiseite - wie es weitergehen sollte.
Moosbacher, der Rendezvous-Geschäftsführer, hatte sie bis auf Weiteres von seiner Liste gestrichen; unter lautem Protest. War es ein gutes Gefühl reich zu sein? Ja. Fraglos. Aber es machte auch irgendwie satt. Das herrliche Knistern fehlte ihr. Neue Männer, auf die sie sich einzustellen hatte. Stammkunden, die sich auf sie freuten. All das war in den letzten Jahren herrlich gewesen. Sie hatte guten Sex und viele neue Impressionen. Nur Harald fehlte ihr, jeden Tag. Wenn sie aufwachte, dachte sie an ihn. Und wenn sie allein in diesem großen Bett lag, hatte sie das Gefühl, als läge er noch neben ihr.
Seit zwei Wochen dachte sie zunehmend an eine Frau. Gestern hatte sie Miranda angerufen – und sie eingeladen; in ihre Villa nach Frankfurt.
Sie flatterte heran wie ein Schmetterling. Sie trug ein luftiges und buntes Chiffonkleid.
Sie wirkte im ersten Moment wie zwanzig; höchstens fünfundzwanzig – aus der Ferne. Doch als sie sich, mit kleinen Tränen in den Augen und ein wenig zitternd, von Chantal in die Arme nehmen ließ, war sie nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die selbstsichere Managerin war verschwunden; wie ausgelöscht.
Als sie in der riesigen Halle der Villa stand, und den gigantischen Salon sah, so drückte sie es zumindest aus, sackte sie erst recht in sich zusammen. Chantal führte Regie. An ihrem Drehbuch für diesen Nachmittag bis tief in die Nacht hinein hatte sie viele Nächte geschrieben.
Sie führte den traurigen Schmetterling durch alle Räume der Villa. Mit einem Seufzer zeigte sie ihrem Gast das Schlafzimmer, worin Haralds Geist noch wohnte. Und dann, ganz zum Schluss öffnete sie das danebenliegende Schlafzimmer.
»Du meine Güte. Ich glaube ich spinne«, schrie Miranda auf. »Das, das ist mein Schlafzimmer! Da stimmt jedes Fitzelchen. Wie konntest du dich so genau daran erinnern?«
Und dann … plötzlich … blickte sie auf dieses riesige Bild an der Wand. Sie blickte in ihr Spiegelbild.
»Oh Gott, oh Gott!« Sie hielt sich ihre Hände vor ihren geöffneten Mund; die Augen weit aufgerissen.
»Woher hast du diese Aufnahme?! Es ist eine verdammt gute Aufnahme.«
Doch dann stutzte sie.
»Ach du Scheiße! Diese Aufnahme wurde in meinem Schlafzimmer gemacht. Wie ist so etwas möglich?«
Chantal nahm die völlig Fassungslose in die Arme.
»Selbst, wenn ich in China war - du hattest die ganze Zeit einen Schutzengel. Das warst du mir wert. Okay. Er hatte auch die Aufgabe, eine Aufnahme von dir zu machen. Ich wollte dich in meiner Nähe haben. Ist das schlimm?«
Das war zu viel für die Ex-Managerin. Chantal konnte sie auffangen und auf das Bett gleiten lassen.
Nein. Chantal hatte in diesem Moment kein schlechtes Gewissen. Sie hatte sogar ein bisschen mit dieser Szene gerechnet. Miranda ging es ähnlich, wir ihr damals, als Harald ihr den Schlüssel der Wohnung im 22. Stock in die Hände drückte. Diese Szene gehörte zu ihrem Drehbuch; war mit einkalkuliert.
Wie in Trance legte sie sich neben die Ohnmächtige. Sie streichelte sanft über ihre Haare, über ihre Wangen, ihren Hals und noch sanfter über ihre Brüste.
Erst nach vielen Minuten, Chantal ließ sich Zeit, öffnete Miranda langsam die Augen. Sie fühlte die sanften Berührungen – und schien es mit offenem Mund zu genießen.
Doch plötzlich schnellte sie vom Bett hoch und schrie:
»Du bist ein Biest! Du bist blemm blemm! Du hast einen schweren Hau weg!«
Danach warf sie sich auf die noch Liegende, um sie zu küssen, und dazwischen fast atemlos zu jauchzen: »Ich liebe dich. Ich liebe dich. Verdammt! Ich liebe dich.«
Chantal löste sich von ihr, sprang aus dem Bett und zog die Weinende und gleichzeitig Lachende hoch und führte sie nach draußen.
»Komm. Ich muss dir noch etwas zeigen«, kicherte sie.
Sie klang plötzlich wie ein kleines Mädchen.
Mit einem Ruck öffnete sie die Tür des Badezimmers.
Miranda schrie erneut:
»Himmel hilf. Das ist mein Badezimmer. Da stimmt jede kleinste Kleinigkeit. Ich glaub‘, ich dreh‘ durch.«
Spätestens an dieser Stelle verlor die Besucherin ihre Contenance.
Begleitet von einem Weinkrampf sank sie auf die Knie und klammerte sich um Chantals Beine; wie an den Mast eines sinkenden Schiffes. Und spätestens an dieser Stelle machte sich Chantal Vorwürfe, es mit ihrem Drehbuch eine Spur übertrieben zu haben.
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