KURT LANTHALER
Der Nörgg, das Purzinigele und die Nichte der Nixe
SAGEN AUS SÜDTIROL
Mit Illustrationen von Gino Alberti und einem
Nachwort von Brunamaria Dal Lago Veneri
Alda mo l corf, quĕ chanta
Cras, cras, doman, doman
Hör den Raben, der singt
Kras, Kras, morgen, morgen
Aus der Altonschen Sammlung
La vecchiaia l’è na brutta bestia
ma ’n ghe nè anca altre, de bestie
E ogni tant ne sboccia ’n fior
Das Alter ist eine häßliche Bestie
aber es gibt auch andere, an Bestien
Und ab und an sprießt eine Blüte
Aus meiner Sammlung, aus dem Delta des Deltas des Po
Vom Nörgg auf Ötsch
Die Partschinsa Purzinigelen
Der Drache von Muntatschinig (und das seltsame Schicksal des Sagensammlers)
Der Schreier vom Schleierbach
Sterben und Leben auf Labiseben
Der Lorgg auf Wilder Fahrt
L mat e l porcel. Der Verrückte und das Schwein
Die Kellnerin, der Malider Goggl, und die Wette ums halbe Weinfaß
Die Nixe vom Karersee
Die Pest am Ritten
Mezzaselva, mitten im Wald. Und der Moarhund
Von den Salvans, und von der Aguana
Auf Castelfeder
Vom Schgumser Putz auf Tarnell
Das knocherne Eßmöbel von Völs
Der Felsnegger auf Gspell ober Rabenstein
Die Kegelpartie der Pitscheförter Riesen
Der Brennergeist
Von den Schnabelmenschen
Der Scheintote von Maderneid
Die Klaamandeln und das Wetter über Mauls und Trens
Die Wechselwiesen von Flaas
Vom ćiastel dles stries zu den ’Meriche, und retour
Die Nichte der Nixe
Die Pest in Tagusens und auf Untertschutsch
Der Hatzes auf Hinterthal
Von der Fai und der Jaufenburg
Allerhand Antrische
Der Ölprinz
Die Ritter auf Matsch
Das Almkoat
Der Todtenthomas und seine Fahrt durchs Martell
Die grüne Nixe vom Grünsee (zuhinterst)
Vom Lagrein für Laurein
Kegelspiele. Und Stratioten in Mareo
Was von Sagen zu sagen (An Stelle eines Essays)
Nachwort
Index, nach Gegenden
Index, nach Schlagworten
Zwischen dem Passeirer Wanns und dem Sarntaler Pens, unweit des Jochüberganges, lag am Fuße des Gipfels der Ötsch und vor langen Zeiten, wo heut nur Steinlammern, eine schöne Alm. Die Ötscher Alm. Eine der schönsten weitum. Die höchstgelegene allemal. Und es war ein fröhliches und unbeschwertes Leben, hier auf Ötsch , wie man die Gegend nannte, und der blaue Himmel lachte überm Kar.
(So sagt man. Aber es war harte Arbeit auch. Das sagt man nicht. Und es wetterte, am liebsten von der Jaufenspitz her. Und himmlatzte.)
Wer hier lebte, war trittsicher, und redete nicht viel. Auf jeden Fall nicht den ganzen Tag. Zumal in den Zeiten, von denen hier die Red ist, der Talmensch im Tal blieb, in seinen Sümpfen mit ihrem verpesteten Hauch. Und den Almmenschen allein ließ. Und also glücklich. Allerdings lebte der nicht allein, auf Ötsch.
Denn es lebte auf Ötsch auch der Nörgg, und zwar anders als der Almmensch jahrein, jahraus, auch des Winters. Das konnte der Nörgg sich locker leisten, weil mit dem Nörgg auch die Harmelen auf Ötsch wohnten. Worunter man heutzutage Hermeline verstehen würde. Und so, ans weichwarme Bauchfell dieser Harmelen geschmiegt, in seinen Klaftern und Spalten und Höhlen auf Ötsch, überwinterte der Nörgg die strengsten Winterstürme, und Eis und Frost. Bei sonnigem Wetter aber gingen der Nörgg und die Harmelen über die endlosen Schneefelder spazieren, und rutschten lachend die Wächten ab. Man hätte, hätt man sich in diese Winterlandschaft vorgetraut, als Mensch, die Nörgge, denn es waren ihrer mehrere, weitum sehen und lachen hören können im Sonnenschnee. Die Nörgge waren nämlich stockrabenschwarz. Schwärzer noch als die Nörgg von Rabenstein. Die Harmelen aber hätt man nicht gesehen. Die verschwanden im Schnee, sie waren hermelinweiß allüberall, bis auf ihre leicht roten Lippen und die eisblauen, lachenden Augen.
Dann ging der Winter vorbei, und der Almmensch kam auf Ötsch zurück, und man lebte wieder zusammen, der Almmensch, der Nörgg und die Harmelen, wie die Sommer zuvor seit jeher. Der Almmensch almte, der Nörgg trieb Unsinn und Spaßletten, und die Harmelen sahen dem Treiben zu, mit etwas Abstand, nebeneinander aufgereiht, ziemlich possierlich.
Es brachte der Nörgg nämlich Wachstum und Gedeihen auf Ötsch, aber auch seinen Eigensinn, und eine gewisse, gern auch polternde Unernsthaftigkeit. Der Almmensch aber hatte, über die Zeit, gelernt, damit zu leben. Immerhin fand er auch sein Auskommen damit. Und die Harmelen sahen dem Treiben zu, und erwarteten sich Abend für Abend eine Schale Milch, hinterm Geißenstall.
Wär nicht, eines Tages, eine der Almfrauen türschlagend aus Ötsch ausgezogen, hinunter ins Tal, weils genug ist, wie sie dem Wendl sagte, weil der Wendl übern Winter mirnixdirnix sowie wollten , was Psairisch ist und ziemlich heißt, und also: ziemlich bequem geworden war, der Wendl, und seither ein jedes zweite Mal das Melken verschlief. Und wie die Filomena nun weg gewesen, wurde der Wendl ziemlich wirsch. Auch mit dem Nörgg. Der wieder einmal auf dem Rücken der Berta saß, einer zweijährigen Grauen, während der Wendl grad daneben die Bruna am Melken war. Und weil der Wendl am Einnicken, auf jeden Fall ganz schön weit an die Kuh sich vornübergelehnt hatte mit seinem Kopf, hustete der Nörgg ein paarmal scharf.
Da sprang der Wendl, erschrocken vom Wachwerden, vom Melkschemel auf, und sagte, in breitem Psairisch: »Nörggele, gea miar lai ou, du Nörggele, sou.«
Da aber wurde der Nörgg vom ein aufs andre fuchsteufelswild, wie man ihn noch nie gesehen, und sprang von Kuh zu Kuh, brachte alles in Aufruhr, schmiß die Mistgabel durch die Gegend und den Mistwagen um, gab der Milchkanne einen Tritt und rief wildteufelsfuchs:
Wendl, grupftsgrausigs Hendl
Du mi Nörggele heißen
ich di Zeh hinein beißen
Ich bin der Nörgg
du bist ein Zwörg
Nehm die Harmelen mit
tu die Alm dir verschütt
Und drehte sich um, der Nörgg, und ging, und stieß im Gehen noch einen kurzen Pfiff aus. Daraufhin tauchten aus Klaftern und Spalten weitere Nörgge auf, im Gelände, und neben jedem Nörgg ein Harmele, und ganz in Weiß. Und daraufhin sah man, wie sie paarweise, neben jedem Nörgg ein Harmele, die Alm auf Ötsch verließen. Ein stummer Auszug.
Der Wannser Bauer aber, ein großer und stolzer Bauer, draußen, wo das Wannsertal breit und flach wird, war sich sicher, es gäbe gar keine Harmelen. Dann hätt ich, sagte er, in seinem Wirtshaus, das er zur Bauernschaft und neben der Kapelle auch noch hatte, dann hätt ich längst einen Hermelinmantel, meinerwegen auch ganz in Weiß. Aber dann mit blutrotem Kragen.
Woraufhin die Harmelen, zusammen mit den Nörggen, bei ihrem Auszug um den Wannserbauer einen ordentlichen Bogen machten. Und der Wannserbauer in der Folge ins Nichts verarmte. Und der Wannserbach, zuvor ein klares Gewässer, nur mehr trübes Geschiebe führte vom nunmehr vermurten Ötsch herunter.
Читать дальше