»Eine schöne Stadt«, sagte er nun vorsichtig, aber schon sah er erneut Tränen in ihren warmen und verletzlichen Augen, und so lenkte er das Thema auf das Abendessen.
»Was würdest du gerne essen? Du bist eingeladen, such dir ein Restaurant aus, okay?«
»Danke, wir können sogar draußen sitzen, es wird immer wärmer«, sagte sie leise, und nahm sogleich am erstbesten Tisch Platz.
Sie bestellten einen Vorspeisenteller, Riesengarnelen für Peter und Muscheln für Josephine, Salat und eine Flasche Weißwein. Josephine aß neben den Muscheln auch die Salatblätter und den Schafskäse nur mit ihren dunklen Fingern, und als sie den Wein probierte, atmete sie genüsslich aus.
»Guter Wein, oh, was für ein Wein! Ich habe so lange keinen richtig guten Wein mehr getrunken, kannst du noch eine Flasche bestellen?«
Peter lächelte, bestellte eine zweite Flasche des teuren Weins und auch eine weitere Flasche Wasser. Josephine wechselte einige Sätze mit dem Kellner auf Kroatisch, dann aber wandte sie sich wieder Peter zu.
»Wenn du mich nicht fortschickst, könnte ich mich um die Katze kümmern. Sie ist ein weibliches Jungtier. Ich könnte sie erziehen, wenn wir ein Katzenklo besorgen. Ich kenne mich wirklich gut mit Katzen aus. Anders kann ich mich nicht nützlich machen oder bedanken, ich habe kein Geld. Ich kann aber auch putzen und so …«
»Ich brauche keine Putzfrau, Josephine. Das mit Kleine Katze ist eine gute Idee. Das ist dann deine Aufgabe, deine Schiffsrolle sozusagen. Ich werde dich nicht fortschicken. Bist du im Besitz von Papieren? Ich meine: Kannst du dich ausweisen?«
»Ja, ich habe einen Ausweis, er ist noch ein paar Monate gültig.«
Peter trank sein stilles Wasser und dachte nach. Er war Gesellschaft an Bord nicht gewöhnt, und er konnte nicht einmal genau sagen, ob er die Frau nun mochte oder nicht. Er wusste nichts über sie, sein Gefühl aber sagte ihm, dass es keinen Ärger geben würde. Er vertraute darauf.
»Du bist Arzt, stimmt’s?«, fragte Josephine aus heiterem Himmel.
»Arzt? Nein, wie kommst du denn darauf?«
»Das Susac-Syndrom und all die vielen Bücher an Bord. Darunter befinden sich etliche Medizinbücher.«
»Ich bin kein Arzt. Ich lese viel, alle erdenklichen Bereiche interessieren mich. An Bord ist es ganz gut, nachschlagen zu können, wenn es einem nicht gut geht. Ich bin ja immer auf mich allein gestellt.«
»Jetzt nicht mehr«, sagte Josephine, und schenkte ihm sogar ein Lächeln. Danach stand sie auf, sagte, sie gehe zum Jachthafen und wolle nachdenken, und verabschiedete sich.
Auch Peter dachte nach. Er nahm Stift und einen Block zur Hand und notierte: Katzenklo, Katzenfutter, Bier, Wein, Unterwäsche, Klamotten, Lesebrille, Kaugummi, Toilettenartikel etc. für J.
Sie würde in einer der Kabinen schlafen können, anstatt unter der Bank. Es gab genug Platz auf der für eine Segeljacht geräumigen Secret , sodass man sich aus dem Weg gehen konnte, wenn es mal Streit gab. So etwas wie Streit kannte er überhaupt nicht mehr, sein letzter war schon viele Jahre her. Er kannte nur noch Small Talk. Gemeinsam nur zu zweit Essen zu gehen, das war ihm auch vollkommen fremd vorgekommen, aber es hatte ihm gefallen.
Zufrieden fragte er nach der Rechnung, die er mit einer seiner drei Platinkarten beglich. Als er wenig später am Hafenbecken landete, sah er Josephine bereits von Weitem. Sie saß auf einem Felsbrocken, ließ ihre Beine baumeln und weinte schon wieder. Peter ließ sie in Ruhe und zog es vor, sich ein kühles Glas Wasser auf dem Deck zu gönnen, aber auch von hier aus konnte er hören, was Josephine von sich gab. Da sie betrunken war, ließ sie sich gehen. Vassilis, Vassi , konnte er verstehen, sie schien mit einem Griechen zu reden, und schon merkte er, dass es sich tatsächlich um die griechische Sprache handelte, in der sie sprach.
Nach ungefähr einer Stunde kam sie zu ihm an Bord, kümmerte sich liebevoll um Kleine Katze , und lümmelte sich vor die Bank, unter der sie geschlafen hatte.
»Möchtest du auch ein Wasser, Josephine?«, fragte Peter freundlich und ein wenig besorgt.
Josephine gefiel seine tiefe Stimme, und sie war fast ein wenig gerührt über seine Fürsorge. »Gerne, Wasser ist immer gut. Ich trinke viel zu viel Alkohol.«
»Ich konnte dich hören«, traute sich Peter zu sagen, »du vermisst einen Mann, der Vassilis heißt, stimmt’s?«
Josephine lachte und weinte zugleich.
»Er ist tot. Vassi ist tot. Ich habe ihn so sehr geliebt. Scheiße!«
»Er ist tot? Was ist geschehen?«, fragte Peter und zündete einige Kerzen an, damit Josephine sich wohlfühlen konnte, und weinen ohne helles Licht, in dem man ihre Tränen sah.
»Vassi und ich sind uns vor ein paar Jahren auf Korfu begegnet, wir haben uns sofort ineinander verknallt. Er war auch Porträtzeichner, so wie ich …«
»Du bist Porträtzeichnerin?«, unterbrach Peter, dem nun ein Licht bezüglich ihrer schwarzen Finger aufging.
»Ja, ach, ja, das weißt du ja noch gar nicht«, lallte sie und redete plötzlich wie ein Wasserfall, während Peter sich zurücklehnte und lauschte.
»Wir waren beide nicht nur Alkis, sondern auch Kettenraucher, und Vassi hat mich dazu gebracht, mit dem Rauchen aufzuhören, weil ich ständig hustete. Ich glaube, ich wäre sonst selbst schon tot, oder zumindest total krank. Er hat mir die Zigaretten einfach immer weggenommen, und mir anstelle einer Zigarette einen langen Kuss gegeben. Das hat gewirkt«, sagte sie lächelnd und fuhr fort:
»Vassi hatte irgendeinen Ärger auf Korfu, aber darüber hat er nie gesprochen. Er hatte seine Wohnung verloren, und wir sind in ein verfallenes, leeres Haus gezogen. Abends am Hafen haben wir die Touristen gezeichnet, aber immer zu viel getrunken. Er wollte dann fort von Korfu, und da sind wir über Bari in Italien mit der Fähre nach Dubrovnik gereist. Vassi hatte plötzlich viel Geld, und er hat immer gesagt, dass er ein Meister des Sparens sei. Jedenfalls hatten wir einen guten Start hier. Wir waren glücklich, vor allem ich, denn ich hatte zum ersten Mal seit langer Zeit einen Freund, dem ich blind vertraute. Ich weiß bis heute nicht, aus welcher Richtung der Ärger kam, den er immer hatte, aber auch hier fühlte er sich bald verfolgt, und eines Tages war er tot!«
»Was? Wie …?«
»Ich weiß es nicht. Es wurde nicht geklärt. Er wurde leblos im Hafenbecken aufgefunden, und angeblich ist er vorher erstickt, also umgebracht worden. Jemand soll ihm Nase und Mund zugehalten und ihn danach ins Wasser geworfen haben. Ich musste ständig zur Polizei, sie haben mich sogar andauernd dort behalten, weil sie mich verdächtigten. Ich weiß nicht, warum ich dann plötzlich in Ruhe gelassen wurde. Danach wollte ich nur noch fort von hier und habe den Bus nach Split genommen«, lallte sie, schluchzte laut und hörte gar nicht mehr auf.
Als sie erwachte, weinte sie sofort wieder. Nicht über ihren verlorenen Freund und auch nicht, weil sie sich schlecht und verkatert fühlte, sondern vielmehr aus Rührung, als sie den Zettel las, der neben ihrem Bett lag:
Liebe Josephine, ich hoffe, du hast gut geschlafen. Ich war in der Stadt und habe eingekauft. Die Sachen für das Katzenklo findest du im Bad, vielleicht machst du es ihr zurecht und versuchst ihr alles beizubringen?
Ich habe dir einen meiner Schapps freigeräumt. Ein paar neue Anziehsachen habe ich auch besorgt, und auch Toilettenartikel.
Jetzt bin ich Mittagessen am Hafen, wenn du magst, kannst du dich zu uns gesellen. Bis später, Peter
Peter musste sie am Vorabend zugedeckt und ihren Kopf auf ein Kissen gebettet haben. Kleine Katze wollte gleich mit ihr spielen und riss an der Decke herum. Josephine lief gähnend und über die eigenen Füße stolpernd in die Küche, setzte Wasser für einen Kaffee auf, und sah zum Fester hinaus. Die Sonne lachte, das Meer schimmerte, und als sie den Kaffee auf dem Deck trank und die salzige Meeresluft in sich aufsog, verspürte sie ein verloren geglaubtes Glücksgefühl.
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