Nachdem sie den Spanier endlich losgeworden war, steckte sie sich einen Kaugummi in den Mund, der ihr gegen das Sodbrennen half, das zwangsläufig nach so viel Rotwein auftrat. Elend fühlte sie sich, schon wieder betrunken! Sie torkelte hinüber zu den Jachten. Ihre Beine waren schwer und spiegelten ihre Stimmung wider. Sie setzte sich eine Zeit lang auf die Hafenmauer, schaute zum Meer hinaus, um bald darauf wieder aufzustehen. Beide Kniegelenke knacksten.
Sie schaute zu den Jachten, lief zu ihnen hinüber, und las die Namen leise vor. Eine große Motorjacht hieß Joy . Unpassend. Daneben lag eine schöne, kleinere Jacht namens Valletta . Sie kannte Valletta nicht, nicht einmal Malta, und konnte damit nichts anfangen. Nun kam sie zu einer Segeljacht, die sie auf mindestens vierzehn Meter schätzte, ein Schmuckstück. Secret las sie. Secret in schöner, geschwungener Schrift. Darüber war ein bunter Schmetterling zu sehen. Das gefiel ihr.
»Hello?«, rief sie fragend. Niemand antwortete, obwohl die Tür zum Salon offen stand. Kein Licht brannte. Sie kletterte auf das Boot, torkelte über das Deck zur Reling und sah dort eine knallrote Fleecedecke liegen. Diese kam wie gerufen! Sie war aus dickem Stoff, weich und sauber. Sie kuschelte sich in die Decke, legte sich ihre Jacke als Kopfkissen unter, und schlief sofort ein, glücklich, einen schönen Schlafplatz unter dem Sternenhimmel gefunden zu haben.
Peter war ein Frühaufsteher. Kein überzeugter, sondern vielmehr einer, der abends zu früh ins Bett ging, um bis in den Tag hinein schlafen zu können. Als er zum Kajütenfenster hinausschaute, hatte der Tag sich gerade erst angekündigt. Er gähnte, reckte sich und wollte die Straßenkatze noch vor dem Duschen füttern. Die hatte es sich seit einigen Tagen am Bug seiner Jacht gemütlich gemacht und es sichtlich genossen, ein Deckchen und täglich die leckersten Essensreste aus einer Schüssel zu erhalten. Die zarte, grau getigerte Katze mit ihren großen Ohren hatte hier auch ein Versteck vor den anderen Katzen gefunden, die sich auf Schiffen normalerweise nicht so schnell wohlfühlten.
Peter lief barfuß in die Pantry, wo er seine Essensreste für die Katze sorgfältig in einer Tupperdose aufbewahrte. Nachdem ihm kein anderer, passender Name für das Kätzchen eingefallen war, taufte er sie nun in Gedanken einfach Kleine Katze , denn entweder war sie zarter als die anderen oder noch ein Jungtier, was wahrscheinlicher war.
» Kleine Katze «, rief er, als er mit der gefüllten Schüssel den Salon verließ, und traute seinen Augen nicht. Die Katze hatte sich erbrochen und lag beleidigt zwei Meter von ihrer Decke entfernt, in der sich ein Mensch eingewickelt hatte. Nun miaute sie, und als Peter ihr die Schüssel hinstellte, schien sie wieder versöhnt zu sein, denn es gab allerlei gemischtes Eiweiß vom Feinsten.
Peter ging auf die Fleecedecke zu, es regte sich nichts. Er vernahm den Geruch einer Alkoholfahne, der aus der Decke strömte, und als er sich dem Kopfende näherte, sah er Dreadlocks aus der Decke lugen.
Die Frau aus dem Meer , schoss es ihm durch den Kopf, das ist sie! Er weckte sie nicht, sondern spannte einen Sonnenschutz über ihren Körper. Laut der Wettervorhersage sollte heute der bisher wärmste Tag des Jahres werden, der Himmel war blau, und die Sonne schien bereits. Die Frau konnte im Schatten weiter schlafen. Die Katze legte sich an das Fußende der Decke, schmollte noch ein wenig, ließ sich aber schnurrend von Peter streicheln.
» Kleine Katze «, sagte er liebevoll zu ihr, »hier liegt jetzt auch eine große Katze, so ist das nun mal. Damit müssen wir leben.«
Er ging duschen, cremte sich mit reichlich Sonnencreme ein und verließ in Jeans und Poloshirt seine Jacht, um in einem der Cafés an der Marina zu frühstücken. Von hier aus würde er die seltsame Frau an Bord beobachten können. Anders, als es hier Sitte war, bestellte er ein ausgiebiges Frühstück mit Baguette, Käse, Schinken, Oliven und einem starken Mokka dazu.
Nach zwei Stunden hatte sich noch immer nichts getan, keine einzige Bewegung der vermeintlichen Deutschen hatte er zur Kenntnis genommen. Er sah Kleine Katze vorsichtig vom Schiff springen, sonst nichts. Bald verlor er die Geduld, zog sich im Salon seine Joggingsachen an, und lief wie jeden Tag die Promenade in Richtung Dubrovnik entlang.
Er hatte seine Jacht absichtlich offen gelassen. Peter hatte keine Angst vor Dieben. Seine Börse, Karten, Papiere und einen Schlüsselbund trug er immer bei sich, auch beim Sport, und um etwas anderes sorgte er sich nicht. Alles, was er besaß, konnte er sich wieder anschaffen, oder es waren Dinge, die Diebe nicht entfernen würden, Bücher, seine eigenen Aufzeichnungen, Anziehsachen. Soweit er wusste, war es noch nie zuvor vorgekommen, dass jemand seine Jacht heimlich betreten hatte, egal, wo sie lag. Schließlich gab es überall einen Hafenmeister, und die Marinas wurden meist videoüberwacht. Nur ab und zu schloss er ab, und zwar immer dann, wenn er ihr lange Zeit fernblieb, über Nacht etwa, oder wenn er neu in einem Jachthafen war, und er die Nachbarn noch nicht kannte. In der Marina Lav bei Podstrana aber kannte man ihn mittlerweile und er war sich sicher, dass so leicht nichts passieren würde.
Als er vom Joggen zurückkam, lag Kleine Katze auf ihrer Decke. Große Katze war verschwunden, hatte aber die Decke für die Katze ordentlich zusammengefaltet, genau so, wie sie vorher gelegen hatte. Peter roch an der Decke und war froh darüber, dass sie nicht stank, denn damit hatte er gerechnet. Er stieg nach unten in die Pantry und sah sofort, dass die Große Katze sich ein wenig Proviant mitgenommen hatte. Soweit er übersehen konnte, fehlten eine Flasche Mineralwasser ohne Kohlensäure, Brot, Bananen und Äpfel. Sie hatte wohl in einem der Schapps nach einer Plastiktüte gesucht, und diese schließlich gefunden. Eine der Tüten lugte noch hervor. Andere Unordnung hatte sie nicht gemacht.
Auf dem großen Tisch war alles aufgeräumt. Nichts war entfernt worden, auch nicht sein Laptop, auf dem er gelegentlich im Internet surfte, wenn es in einem Hafen W-LAN gab.
Nur im Badezimmer hatte sie eindeutige Spuren hinterlassen. Sie hatte geduscht, Peters Handtuch lag nun im Wäschekorb, und sein Shampoo stand offen neben der Dusche. Im Waschbecken waren schwarze Spuren zu sehen, ja, beinahe das ganze Waschbecken war von einer undefinierbaren schwarzen Schicht überzogen. Peter konnte sich überhaupt keinen Reim darauf machen. Was zum Teufel hatte diese Große Katze hier zu reinigen versucht?
Er holte das Handtuch aus dem Wäschekorb und sah, dass die schwarzen Spuren auch auf dem Textil zu finden waren. Er roch daran, aber alles roch neutral oder nach seinem Shampoo. Entfernt hatte sie auch hier rein gar nichts, höchstens eine Rolle Toilettenpapier. Seine teure Armbanduhr oder andere Kleinigkeiten, die sie hätte zu Geld machen können, hatte sie nicht entwendet, sodass Peter beschloss, sie eine weitere Nacht am Bug des Schiffes schlafen zu lassen, wenn sie denn wiederkäme.
Sie war nicht gekommen. Fast schon ein wenig enttäuscht kümmerte sich Peter am nächsten Morgen wieder rührend um Kleine Katze , bevor er selbst frühstückte. Danach wollte er klar Schiff machen, es war mal wieder an der Zeit. Peter war sehr sauber und ordentlich und scheute nicht davor zurück, diese Aufgabe selbst zu übernehmen. Er nahm sich zuerst die Nasszelle vor, und putzte vor allem das Waschbecken mit den seltsamen schwarzen Hinterlassenschaften der Frau, die einen Tag später wie ein Zeichen auf ihn wirkten. Er meinte, ein Gesicht in den Schmutzresten zu erkennen, verwarf den Gedanken aber sofort wieder und bezeichnete sich selbst lachend als Spinner.
Nachdem er die Kajüte geputzt hatte, machte er sich an den wesentlich größeren Teil der Arbeit, die er lange vor sich hergeschoben hatte. Es war an der Zeit, die gesamte Jacht von außen zu putzen, die Außenhaut, das Deck, die Plicht, aber auch den Mast, die Gangway, Poller, Fenster und Luken. Immerhin hatte er die Sitze aus Teakholz schon vor einigen Tagen geölt, und im selben Zuge auch das Teakdeck. Es glänzte wie neu. Nun aber wartete der Teil der Arbeit auf ihn, den er vor sich hergeschoben hatte.
Читать дальше