Gegenüber sah er einen Nachbarn seine Jacht mit Wasser reinigen, aber Peter putzte die Secret nicht ausschließlich mit Wasser. Nach der Trocknung würden sich die mineralischen Rückstände in allen Vertiefungen und Kapillaren niederschlagen und danach kontinuierlich eine mineralische Kruste bilden. Die Verkrustung würde noch mehr Schmutz auffangen, und saurer Regen, Abgase und dergleichen den Zustand des Bootes verschlechtern. Er holte einen Autoreiniger aus der Kammer, mit dem er hervorragende Ergebnisse erzielt hatte, und ein Mikrofasertuch, das so weich war, dass es keinerlei Spuren hinterließ. Ausgerüstet mit Gummihandschuhen, einem Eimer Wasser, einem Schrubber, den unterschiedlichsten Reinigern und Tüchern in den Händen stieg er die Treppe hinauf und begann mit der Arbeit, als ihm Joe zuwinkte, sein Nachbar auf der Valletta .
»Endlich schönes Wetter, und du hast nichts Besseres zu tun als zu putzen«, lachte Joe.
»Ach, kein Problem. Wo Arbeit anfällt, muss sie getan werden, oder? Ich habe erst kürzlich in Italien eine Crew beauftragt, mein Prachtstück komplett zu sanieren, hatte ordentlich mit Fouling zu tun. Ich hatte extra ein Antifouling bestellt, das ökologischer ist als die normalen. Nun, Schiffsrumpf, Elektrik, Elektronik, Motoren, Takelage, alles wie neu! Den Rest muss ich aber selbst erledigen.«
Joe lachte. Er gehörte zu dem mediterranen Menschenschlag, der sehr viel lachte, und das Gesicht des alten Mannes bestand fast gänzlich aus Lachfalten.
»Du steckst mich an! Wenn ich dich so sehe, bekomme ich direkt Lust, meine Valletta auch zu schrubben. Ich sehe sie gerne glänzen, aber die Arbeit …«
»Ich putze mein Boot, weil ich demnächst aufbrechen will«, rief Peter dem sympathischen Nachbarn zu.
»Wohin soll es denn gehen? Nach Malta vielleicht?«
»Nein, da werde ich wohl erst später wieder anlegen. Ich möchte erst mal Griechenland ansteuern.«
»Auch schön. Hast du dir Kroatien überhaupt richtig angeschaut?«
Peter zögerte. Es fiel ihm nicht leicht, über den Kroatienbesuch zu sprechen. Er hatte niemanden aufgesucht, war ganz allein für sich geblieben.
»Ich war in den letzten Tagen unterwegs auf einigen Inseln und in Split, mehr habe ich nicht gesehen, aber es war alles sehr schön«, rief Peter von Boot zu Boot.
»Auf der Insel Brač gibt es diese tollen Steinbrüche mit weißem Kalkstein, hast du die gesehen?«, rief Joe.
»Ja, und den Leuchtturm von Hvar. Auf Vis habe ich mir den U-Boot-Bunker angesehen. Das Beste aber war, dass mich jemand auf der Gajeta Falkuse mitgenommen hat, es war ein kurzer Törn um die Inseln.«
Joe strahlte. Er kannte diese alten Fischerboote, war aber nie zu einem Törn eingeladen worden. Die beiden Männer verabredeten sich zum Dinner, und als es Abend wurde, klopften sie bei den anderen Jachten an, damit Peter in geselliger Runde seinen Abschied feiern konnte. Viele hatten sich noch nie vorher gesehen. Joe und er hatten dreizehn Leute zusammengetrommelt, und der Malteser, der es von seiner Heimat gewohnt war, abends an großen Tafeln zu speisen, freute sich über die Kunst des Deutschen, diese geselligen Runden zu organisieren. Da ein Geburtstagskind dabei war, war die Stimmung besonders heiter und ausgelassen, und am Ende stritt man spaßig darüber, wer die Rechnung begleichen würde. Peter setzte sich durch. Gegen Mitternacht war er ein wenig beschwipst, machte zur Verdauung noch einen kleinen Abendspaziergang, und fiel müde in seine Koje und Träume.
Er hatte nach einem frühmorgendlichen Kaffee und einem Croissant nur wenige Kilometer entlang der kroatischen Adriaküste Richtung Süden zurückgelegt, als er plötzlich neben sich und dem Ruder ein »Miau« vernahm. Kleine Katze?
Seit dem letzten Frühstück hatte er sie nicht mehr gesehen und war froh darüber gewesen, denn das Abschiednehmen wäre ihm schwergefallen. Sie lief auf ihn zu, schmiegte sich an ihn und forderte ihn auf, sie zu streicheln und für sie zu sorgen.
»Miau, miau, miau«, antwortete Peter, »wo hattest du dich denn versteckt, he? Und was soll ich nun mit dir tun?«
Er wollte gerade das Essen für Kleine Katze zurechtmachen, als er ein dumpfes Geräusch aus Richtung der Sitzecke vernahm.
»Miau«, machte die Kleine Katze wieder.
»Ja, ja, gleich«, antwortete Peter, »eine Minute Geduld noch!«
Wahrscheinlich , dachte er, höre ich langsam Gespenster. Da aber das Geräusch auf keinen Fall vom Deck kam, und er die Geräusche der Takelage sowieso im Schlaf erkannte, bewegte er sich auf die gepolsterte Sitzbank zu. Er bückte sich, und als er ein Stückchen der roten Decke sah, die er ganz sicher nicht hier versteckt hatte, war ihm alles klar!
Kleine Katze und Große Katze an Bord!
Der Skipper und die Einschleicherin
Peter hatte lange abgewartet. Er war der Meinung, dass die Große Katze sich ihm vorzustellen hatte, und wenn das Wort »vorstellen« auch ein wenig hochgestochen klang, so fand er doch, dass sie langsam etwas von sich geben sollte. Er hatte auf Autopilot gestellt, sodass der eingegebene Kurs beibehalten und jede seitliche Abdrift durch Wind oder Strömung verhindert wurde.
Seit einigen Stunden wartete er nun schon auf ein Wort von ihr, aber die fremde Frau war nur wortlos aus dem Stauraum der Sitzbank hervorgekrochen, und saß seitdem breitbeinig auf dem Boden, mit dem Rücken an die Sitzbank angelehnt. Es hatte keinen Blickkontakt gegeben. Sie hatte sich einen Kaugummi aus ihrer Gürteltasche genommen, auf dem sie laut herum kaute und hin und wieder Blasen damit erzeugte, und war einmal vor sich hin hüstelnd zur Toilette gegangen. Sonst nichts. Meist hielt sie ihre Augen geschlossen, und wenn sie diese mal öffnete, starrte sie auf die vielen Bücher, die Peter in speziell angefertigten Vitrinen untergebracht hatte.
Er hatte am Nachmittag den Anker vor der Insel Susac geworfen und wartete an Deck geduldig auf das erste Wort, das nicht aus seinem Mund stammen würde. Er hatte Zeit. Viel Zeit. Nun, die Große Katze hat wohl ebenso viel Zeit wie ich , dachte er schmunzelnd, mal schauen, wer den längeren Atem hat in puncto Schweigen .
»Miau, miau«, machte die kleine Katze, und so begab sich Peter erneut hinunter in die Pantry, um ein paar Fleischreste für sie zurechtzumachen. Er würde sich beim nächsten Stopp mit Katzenfutter eindecken müssen, wenn sie auf dem Boot bleiben würde. Eine Katze an Bord zu haben, gefiel Peter wesentlich besser als eine Frau, die kein Wort sagte.
Während Kleine Katze mit ihrem Futter beschäftigt war, schaltete Peter Musik ein, um der Spannung, die auf dem Boot herrschte, ein Ende zu setzen. Die Musik schien der Frau zu gefallen, sie wippte mit dem Fuß, und nun meinte er sogar zu hören, dass sie eine Zeile des Tina-Turner-Songs leise mitsang.
Kleine Katze sprang nach dem Essen auf den Schoß der Frau, streckte und reckte sich, ließ sich am Hals streicheln und schnurrte. Die merkwürdige Fremde schien einen guten Draht zu Katzen zu haben. Während Peter mit der Zeit innerlich immer gereizter wurde, schien das Kätzchen sich mit der großen Katze regelrecht anzufreunden. Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie die dicke Frau ihre Gürteltasche zum Spielen mit der Katze benutzte und einmal dabei auch leise kicherte. Dann aber schloss sie ihre Augen wieder und nuschelte: »Scheiße.«
Jetzt reichte es Peter. Das erste Wort war gefallen, nun war es an der Zeit zu reden. Die Frau konnte bisher nicht ahnen, dass er Deutsch verstand, als Peter knapp antwortete: »So scheiße ist es hier doch gar nicht, oder?«
Die Frau zuckte erstaunt zusammen, fing aber laut an zu lachen, schüttelte sich und lachte im Liegen weiter. Sie schien eine scheue, große Katze zu sein, denn sie warf ihm kaum einen Blick zu und vermied jeglichen Augenkontakt. Als sie endlich aufhörte zu lachen, fragte sie ihn noch immer nicht nach seinem Namen.
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