Als Peter ihre Blasen an den Füßen bemerkte, fragte er besorgt: »Sind die Schuhe etwa zu klein? Das tut mir leid!«
»Ach, du«, brach es jetzt aus ihr heraus, »lass das bitte! Ich weiß nicht, wie ich mich bei dir bedanken soll. Es gibt keine Worte dafür, warum tust du das alles für mich?«
»Halb so wild. Wir haben doch besprochen, dass ich dich eine Weile mitnehme, und ich habe nur das Nötigste gekauft, das ist doch selbstverständlich, denn du hast ja nun einmal kein Geld!«
»Du bist echt ein netter Typ, so wie du heute den Tisch gedeckt hast und so. Und sogar an Zeichenutensilien hast du gedacht, dabei kennst du mich doch gar nicht.«
»Ich kann dich jederzeit auch wieder an Land schmeißen«, scherzte Peter und zwinkerte, »aber ich habe mich mit dem Gedanken angefreundet, einen Passagier an Bord zu haben, oder besser gesagt zwei, mit Kleine Katze .«
»Wo ist sie?«
»Sie ist unterwegs, aber ich bin mir sicher, dass sie zurückkommt.«
»Hoffentlich! Ich liebe Kleine Katze , und ich habe mit der Erziehung schon angefangen. Ich glaube, sie lernt schnell.«
»Siehst du, das ist unser Deal. Ich will damit nichts zu tun haben«, sagte er und erhob seine Hand, um mit Josephine abzuklatschen. Ihre Finger waren jetzt nicht mehr so schwarz, sondern eher gräulich. Es würde nicht mehr lange dauern, bis ihre Hände wieder sauber waren.
»Was hast du den ganzen Tag lang gemacht?«, wollte er wissen.
»An alte Zeiten gedacht. Ich war auf Spurensuche. Es war frustrierend, oder auch nicht. Ich weiß nicht. Mir war plötzlich, als ob ich neben mir stand. Alles war so unwirklich, als ob ich das damals gar nicht war. Ein Tag auf deiner Jacht scheint meine Sichtweise auf viele Dinge verändert zu haben, das kannst du dir gar nicht vorstellen! Die Zeit kommt mir ganz komisch vor, so als würde ich schon eine Woche hier sein, oder länger. Ich denke auch anders über Vassi. Ich habe ein paar Bekannte von ihm getroffen, und alle sagen, dass er lauter krumme Dinger gemacht haben soll. Er war gar nicht der liebe Vassi, für den ich ihn damals gehalten habe, wie es scheint. Er soll alle abgezockt haben.«
Peter war müde. Er klappte seinen Laptop auf, und es erschienen Tabellen und Karten, die Josephine rein gar nichts sagten. Sie hasste Computer.
»Wir müssen Pläne schmieden, Josephine. Wo soll die Reise hinführen?«
»Egal«, sagte sie nur, und schenkte sich das nächste Glas Wein ein.
»Für mich bitte nichts mehr, Josephine. Ich trinke abends meist Wasser. Welches Land oder welche Stadt interessiert dich?«
»Mich interessiert nur, was Yassi angestellt hat, dieser Mistkerl!«
»Na gut, dann steuern wir Korfu an, wenn du nichts dagegen hast. Da kommen wir sowieso fast zwangsläufig vorbei. – Keine Angst, du brauchst dich weder um solche Dinge wie das Logbuch zu kümmern, noch um Radar oder Karten. Du wirst rein gar nichts mit Computern und Seemannsgerät zu tun haben«, sagte er, weil er bemerkte, dass Josephine schlechte Laune von diesen Dingen bekam, »aber ich muss mich darum kümmern. Sonst geht's nicht weiter, verstehst du? Wir können nicht einfach so auf dem Meer umhersegeln, es gibt Pflichten, Gefahren, Strömungen, Winde, und wir müssen funken, bevor wir irgendwo anlegen. Ich muss uns an- und abmelden, okay?«
Verwirrt darüber, dass es auf hoher See Regeln und Gesetze gab und nicht nur das Meer, Freiheit und Abenteuer, sagte sie gar nichts mehr, kaute auf ihrem Kaugummi herum und blieb stumm sitzen. Es war Mitternacht, und Peter verschwand in seiner Kabine.
Fünf Tage waren verstrichen, als Peter und Josephine endlich an der Marina Gouvia in Korfu anlegten. Peter, der selbst noch nie auf hoher See krank geworden war, hatte gleich einen kranken Passagier an Bord gehabt, was sich nicht einfach gestaltete. Als Einhandsegler auf dem Mittelmeer unterwegs zu sein, war eine Ausnahme, und eine zweite Person war normalerweise hilfreich. Schwer hingegen wurde es, wenn diese – wie Josephine – krank war, denn Peter hatte sich neben den Segelmanövern zusätzlich auch um sie und die Katze kümmern müssen. Zunächst war er verärgert gewesen und hatte wütend an den altmodischen Aberglauben gedacht, der besagte, dass Frauen an Bord Unglück brächten. Er war der Meinung gewesen, dass sie lediglich seekrank war, was ihn verstimmt hatte, denn eine seekranke Fremde an Bord konnte er auf Dauer nicht gebrauchen. Zu ihren Magen-Darm-Problemen gesellte sich aber rasch ein hohes Fieber, und so konnte eine Seekrankheit bald ausgeschlossen werden. Schließlich nahm er wohlwollend zur Kenntnis, dass sich Josephine die größte Mühe gab, ihn nicht allzu sehr zu belasten. Sie putzte am ersten Tag trotz des Fiebers ihre Koje, und entsorgte das Erbrochene aus dem Eimer ins Meer, und sie kümmerte sich sogar um Kleine Katze , die wieder an Bord war und sich langsam an ihre Schüssel gewöhnte. »Erst kotzt du, und nun ich«, hatte Peter Josephine zur Katze sagen hören.
Er hatte mehrfach den Kurs wechseln müssen. Ursprünglich hatte er in Albanien anlegen wollen. Seit ungefähr zwei Jahren war dieses Land keine Sperrzone mehr für Segler, es gab endlich einen Jachthafen, bei dem er schon einmal einklariert hatte. Er hatte gute Erinnerung an die Zöllner, Hafenangestellten und die lustigen Polizisten, die ihm beim Manövrieren geholfen hatten. Damals war er herzlich aufgenommen worden, gerade, weil selten nur ein Jachteigner aus einem EU-Land an der albanischen Küste anlegte. Er konnte die kleinen Bars noch vor sich sehen, und die Freude in den Augen der Arbeiter über seine Spendierhosen. Zwar hatte das Hinterland schauderhaft ausgesehen, denn die Plattenbauten aus der Zeit des Kommunismus drohten einzustürzen und waren bereits zu geisterhaften Stätten geworden, und eine Reihe neuer Klötze waren nie fertig geworden und fügten sich in das trostlose Bild der Küste. Er aber hatte die meiste Zeit mit den Männern am Hafen verbracht und abends beim Schreiben und einem Glas Wein den Rufen des Muezzins gelauscht.
Peter war neben der Europaflagge in Besitz des gesamten Flaggenalphabets: Frankreich, Monaco, Spanien, Gibraltar, Italien, Kroatien, Albanien, Griechenland, Türkei, Zypern, Nordzypern, Syrien, Israel, Libanon, Ägypten, Malta, Tunesien, Libyen, Algerien und Marokko. Lediglich vier Mittelmeeranrainerstaaten war er bisher nicht angelaufen, davon gehörten drei zum ehemaligen Jugoslawien. Die slowenische Flagge lag über denen von Bosnien Herzegowina, Montenegro und der des Gazastreifens unbenutzt und sorgfältig zusammengefaltet im Karton.
Peter hatte vor nunmehr zwei Wochen zum ersten Mal in Kroatien einklariert, und das auch nur sehr zögerlich. Er hatte Angst vor einem Gefühl, das einem Schuldgefühl ähnelte, Angst vor dem Aufflammen der Erinnerungen, die langsam verblassten, von Jahr zu Jahr mehr. Sie besaßen nicht mehr die Kraft wie damals, und das war der Grund dafür, dass er es gewagt hatte, dieses Land endlich einmal zu bereisen.
Er strich sich über die Augenbrauen und widmete sich wieder den Flaggen. Er hatte schon die Gastflagge für Albanien in der Hand, als ihm der Gedanke kam, dass es dort vielleicht Probleme mit Josephine geben würde. Unter den Gastlandflaggen hatte er die inzwischen selten verwendete, gelbe Flagge Q gesichtet, die zum Einklarieren in ein fremdes Land angebracht wurde. An Bord alles gesund, ich bitte um freie Verkehrserlaubnis , war ihre Bedeutung. Nicht im Klaren darüber, um welche womöglich schwere Erkrankung es sich bei Josephines handelte, kamen ihm Zweifel bezüglich eines Liegeplatzes in Albanien. Sie hatten sich beim Zoll zu melden, da sie aus einem anderen Land kamen. Im schlimmsten Fall würde es Ärger mit Josephine geben, und man würde die Secret durchsuchen. In einem Hafen, der einem Land der Europäischen Union angehörte, fühlte er sich im Allgemeinen bei den Behördenangelegenheiten wesentlich sicherer, und so hatte er das Schiff eine Weile einfach treiben lassen, um nachzudenken.
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