Im Badezimmer stand ein Kulturbeutel auf einem Handtuch bereit, in dem sich ein Duschgel, Bodylotion, ein Deodorant für Damen, Handcreme, Sonnencreme, zwei schicke Sonnenbrillen, Kaugummis und sogar eine Schachtel Tampons befanden. Er hatte wirklich an alles gedacht!
Als sie nach der Dusche in dem geöffneten Schrank Unterhosen, Socken, jeweils zwei BHs und Badeanzüge, Badelatschen, ein Paar Turnschuhe, Shorts, eine Jeans und eine Sommerhose, diverse Blusen und Shirts, einen Pullover, eine dicke Jacke und eine Regenjacke vorfand, ließ sie angesichts dieser Aufmerksamkeit ihren Tränen freien Lauf.
Auf dem Tisch lagen zwei große, lustige Sonnenhüte für sie bereit. Sie konnte es nicht abwarten, all die neuen Sachen anzuprobieren. Es war verblüffend, dass Peters Auswahl ihr nicht nur recht gut gefiel, sondern dass ihr alles bis auf die Turnschuhe perfekt passte! Die Schuhe waren ein wenig eng, würden sich aber vielleicht noch eintragen. Mit allem hatte er richtig gelegen, sogar der BH war groß genug.
Markensachen zu tragen, war sie nicht gewöhnt, und so stellte sie sich immer wieder vor den eigentlich viel zu kleinen Spiegel, um sich zu betrachten. Ihr gefiel das, was sie sah. Eine Frau mit Glatze und Zahnlücken, deren Gesichtszüge verlebt waren, die aber doch auch schick ausschaute in den neuen Klamotten. Sie machte eine Blase mit ihrem Kaugummi, lächelte und sagte zu sich selbst: Wenn du abnimmst und die Haare wieder wachsen, könntest du wieder ganz gut aussehen .
Nach ihrer ganz privaten Modenschau wurde sie neugierig. Was war dieser Spießer für ein Mann, und warum tat er all das für sie? Wohlwissend, dass sich das nicht gehörte, öffnete sie auch seinen Kleiderschrank. Alles lag ordentlich sortiert und zusammengelegt in den Schapps. Anders als erwartet, hatte er nicht sonderlich viele Anziehsachen.
In einem der vielen Schapps lagen Tennis-, Badminton- und Golfschläger, und davor stand ein kleines Ergometer, der durch ein interessantes System aus Schlössern so gesichert war, dass er bei Wind und Wetter nicht verrutschen konnte. Einige Hanteln lagen verstreut im Salon umher, und in einer Kabine war ein allem Anschein nach sehr teures Fahrrad festgezurrt. Er schien sportbegeistert zu sein, der Peter.
Seine zweite große Leidenschaft war eindeutig das Lesen. In den Vitrinen lagen Bücher aus allen erdenklichen Sparten. Kriminalromane, Romane, Thomas Mann – gesammelte Werke, Sachbücher zu den unterschiedlichsten Themen, darunter viele Bücher über Boote und die Schifffahrt, aber auch Kunstkataloge, Bücher über Pferde, Foto- und Gedichtbände, Psychologie- und Medizinbücher, Bücher über Yoga und sogar esoterisches Allerlei und Bücher über Astrologie. Mit Ausnahme der Sammlung über Boote, die abseits der anderen Bücher untergebracht war, erschien ihr die Sammlung wie die einer Frau, und sie überlegte, ob Peter vielleicht schwul sei. Das konnte ihr nur recht und sympathisch sein.
Just in diesem Moment fiel ihr Blick auf eine weitere Vitrine, in dem etwa zwanzig rot eingeschlagene Bände horizontal gestapelt lagen. Sie öffnete die Vitrine, zog einen Band heraus und sah sofort, dass es sich um so etwas wie ein Tagebuch handeln musste, mit Texten in einer schönen Handschrift. Auf jedem Band war für Ivo eingraviert, und alles war durchnummeriert. Es sah ganz danach aus, als ob Peter für seinen vermeintlichen Freund seine Reiseerinnerungen aufschrieb. Sie klappte das Buch rasch wieder zu, denn es ging zu weit, heimlich in fremden Tagebüchern zu lesen.
Überall herrschte Ordnung auf der Secret , auch in Peters Koje, in der ein blau bezogenes Bett stand, auf dem einige Bücher und Zeitschriften lagen.
Nachdem sie die Schüssel für die Katze im Bad aufgestellt und den ersten pädagogischen Versuch mit der Jungkatze unternommen hatte, bereitete sie sich ein ausgiebiges Frühstück aus Aufbackbrötchen, verschiedenen Käsesorten und zwei Eiern. Peters Kühlschrank war gut gefüllt, vor allem das riesengroße Gefrierfach. Er hatte beim Einkaufen aber auch an Kleine Katze gedacht, denn Josephine zählte dreißig Dosen Katzenfutter unterschiedlichster Sorten: Pute, Hähnchen, Garnelen, Thunfisch, Lachs und Rind, es war alles dabei. Peter musste mehrmals einkaufen gegangen sein, vielleicht hatte ihm dieser ominöse Ivo geholfen, oder er war mit dem Fahrrad unterwegs gewesen? Sie lief zum Frühstück auf das schattige Deck, wo der Tisch bereits für sie gedeckt worden war. Auf einer verankerten, alten Seemannstruhe war ein Zettel angebracht worden, auf dem stand: Für Josephine . Als sie diese öffnete, traute sie ihren Augen kaum. Bleistifte, Kohlestifte, ein Aquarellkasten, Pinsel und diverse Blöcke kamen zum Vorschein, und daneben lagen Lesebrillen in unterschiedlichen Stärken, wohl, weil sie nebenbei einmal flüchtig ihre schlechter werdenden Augen erwähnt hatte. In der Ecke der Truhe lag eine neue Gürteltasche aus hellem Leder.
Dieser Peter schien alles daran zu setzen, ihr den Aufenthalt an Bord so schön wie möglich zu gestalten. Beim Frühstück auf dem Deck setzte sie eine der neuen Sonnenbrillen und den Sonnenhut auf, beobachtete die kreisenden Möwen und fühlte sich ausgezeichnet. Sie aß ihr Frühstück mit Messer und Gabel, aus einer Art Dankbarkeit gegenüber Peter und seinen netten Gesten. Danach machte sie den zweiten Versuch mit Kleine Katze , schimpfte ordentlich, und las noch einmal den Brief von Peter. Wenn du magst, kannst du dich zu uns gesellen, stand da geschrieben.
Wir, das sind bestimmt Peter und sein Freund Ivo, wer sonst? , schoss es ihr durch den Kopf. Sie warf endlich ihre ausgeleierte Hose in den Müll, zog die schönsten Sachen an, und klapperte wenig später beinahe gestylt die Restaurants ab, um Peter zu suchen. Von Weitem sah sie bald eine große Gruppe verschiedener Menschen am Hafen sitzen, in der sich auch Peter befand. Es mussten an die zwanzig Leute sein, die es sich bei Speis und Trank gut gehen ließen. Champagner wurde serviert, und alle lachten und redeten durcheinander, vor allem eine Gruppe Italiener. Von einem Ivo keine Spur, wie es aussah, schade .
Sie würde sich in dieser Runde nicht wohlfühlen, außerdem hatte sie überhaupt keinen Hunger, und so beobachtete sie das bunte Treiben noch eine Weile, um sich dann auf Spurensuche in ihre Vergangenheit zu begeben.
Zuerst wurde sie von einem Hund begrüßt, der einem Kumpel von Vassi gehört hatte. Er sprang wüst an ihr hoch, obwohl zwei Jahre seit ihrer gemeinsamen Zeit in Dubrovnik vergangen waren. Der Hund schien herrenlos zu sein, verlassen, so wie die Baracke, in der sie damals eine Zeit lang zu mehreren gehaust hatten.
Im Inneren des alten, verfallenen Hauses stank es nach Urin, und durch den Kontrast zum Aufenthalt auf der Jacht konnte sie plötzlich kaum noch verstehen, dass sie so viele Jahre in Baracken dieser Art gewohnt hatte. So sehr sie sich auch bemühte, kamen keine schönen Erinnerungen zurück, keine Gefühle, an denen sie hing, nichts. Sie betrachtete die vielen leeren Flaschen, die in den Ecken lagen, und wischte genervt die Scherben mit dem Fuß beiseite. Ein Hocker, der ihr gehört hatte, stand dreibeinig in dem Haus, eine alte Matratze lag daneben, aber die Verbindung zu ihren Emotionen blieb aus.
Ich brauche ein Bier , dachte sie, und in dem Moment wurde ihr klar, dass sie nüchtern die Dinge anders betrachtete. Sie wusste plötzlich, dass sie Vassi alkoholisiert nur wieder nachweinen würde, und beschloss, bis zum Abend nüchtern zu bleiben.
Bis zum Abend blieb sie ihren Vorsätzen treu, nun aber spülte sie Peters Weißwein in großen Schlucken hinunter, schneller noch als sonst. Die Gefühle und Gedanken der Vergangenheit mischten sich mit der Unsicherheit, die sie Peter jetzt entgegenbrachte, nachdem er ihr so viele Geschenke gemacht hatte. Verzweifelt nach Worten ringend goss sie sich das nächste Glas ein, und auch eins für Peter, der eigentlich bereits bei seinem stillen Wasser zur Nacht war. Verlegen schaute sie zum Boden und zog ihre Turnschuhe aus, denn die Füße schmerzten von dem langen Weg, den sie zurückgelegt hatte.
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