»Ist das dein Boot?«
»Ja. Oder glaubst du vielleicht, das Boot gehört dem Kätzchen?«
Wieder schüttelte sich die Frau vor Lachen, wich aber nach wie vor seinem Blick aus. Peter konnte sehen, dass die Frau schrecklich schlechte Zähne und sogar zwei deutlich sichtbare Zahnlücken hatte.
»Wir liegen hier noch an der Adriaküste und können weitersegeln in Richtung Dubrovnik. Willst du auf meinem Boot bleiben?«, fragte Peter, stellte seine Tasse ab, und setzte sich nun ebenfalls auf den Boden der Kajüte.
»Na ja, ich kann ja hier schlecht aussteigen, mitten auf dem Meer, oder?«
Diese Retourkutsche ließ Peter schmunzeln. Das Eis schien gebrochen zu sein.
»Ich habe Durst, hast du was zu trinken?«, fragte die Frau, ohne ihn dabei anzuschauen.
»Es ist alles vorhanden. Wasser, Orangensaft, Apfels…«
»Hast du Bier?«, unterbrach sie ihn.
»Auch das«, sagte Peter, lief in die Pantry und öffnete zwei Flaschen Bier. Er genoss das Bier, denn normalerweise trank er nur an sehr heißen Hochsommertagen gelegentlich ein Bier. Heute aber war kein Tag wie jeder andere. Ein merkwürdiger Tag …
Sie saßen nun zu dritt auf dem Boden, Kleine Katze sprang zwischen den beiden hin und her, miaute ab und zu, aber Große Katze bevorzugte es, wieder zu schweigen, und leerte ihre vier Flaschen schneller als Peter seine beiden.
Die Secret schaukelte sanft im Wind und trieb sachte in Richtung der Insel. Mit Ausnahme eines zarten, knarrenden Geräuschs, das vom Mast ausging, war kaum etwas zu hören. Es gab kaum Wellen, und nur ab und zu kreischte eine Möwe.
»Da drüben liegt die Insel Susac, sie scheint nach dir benannt zu sein.«
Die Frau runzelte fragend die Stirn und kicherte.
»Es gibt in der Medizin ein sogenanntes Susac-Syndrom. Die Menschen, die daran leiden, neigen zu geschlossenen Augen und mitunter zu unerklärbarer Schwerhörigkeit, so weit ich mich erinnere. Sie antworten daher nie und …«
Die Frau lachte auf, und endlich schaute sie ihm kurz und schüchtern in die Augen.
Die Augen sind das einzig Schöne an der Großen Katze.
»Was soll ich denn schon sagen? Ich bin hier einfach als blinder Passagier auf deiner Jacht, bist du nicht sauer?«
»Bis jetzt noch nicht. Aber du könntest etwas dazu sagen, oder mir deinen Namen verraten. Du könntest deine Augen etwas häufiger öffnen, um kein blinder Passagier mehr zu sein.«
»Ich bin Josephine und auf der Suche nach Atlantis«, kicherte sie und reichte ihm ihre schwarze Hand.
»Ich bin Peter. Das da unten ist Kleine Katze . »
Josephine lächelte. » Kleine Katze? Heißt sie einfach Kleine Katze? «
»Ja.«
Josephine zog die rote, weiche Decke unter der Bank hervor, legte sie sorgfältig zusammen, sodass Kleine Katze es sich darauf bequem machen konnte.
»Hier, Kleine Katze , das war deine Decke«, sagte sie in alberner Babysprache, »die hatte ich Monster dir schon wieder zum Schlafen weggenommen.«
»Möchtest du endlich auch mal etwas essen? Die Katze hat schon gegessen, und ich auch. Du hast nur Bier getrunken.«
»Ich trinke morgens oft Bier zum Frühstück. Aber wenn du was hast, gerne.«
»Du weißt ja, wo die Küche ist, bediene dich. Ich habe mich in Split reichlich eingedeckt, der Kühlschrank ist voll bis obenhin.«
Josephine überhörte diese Anspielung, nahm ihren Kaugummi aus dem Mund und rollte ihn zwischen den Fingerspitzen hin und her. Peter hatte den Eindruck, als wolle sie dadurch den Dreck aus den Fingern in die klebrige Masse ziehen. Danach stand sie auf, schaute Peter ungläubig an, immer noch unsicher und verblüfft, dass er nicht böse auf sie war.
Sie tat es ihm gleich und stippte etwas unvorsichtiger als er ein Croissant in den heißen Milchkaffee, so wie es auch die Franzosen taten, wenn sie frühstückten. Den Schinken, den Peter ihr hingelegt hatte, gab sie der Katze und sagte zu ihm, als er sich wieder zu ihr gesellte: » Kleine Katze hat dort drüben hingemacht. Wo ist ihr Katzenklo?«
Daran hatte Peter überhaupt noch nicht gedacht, denn seine Gedanken waren immerzu bei der fremden Frau gewesen.
»Oh, sie hat noch gar keins, aber natürlich, du hast recht! Weißt du, sie ist erst hier, seit auch du hier an Bord bist, und deshalb habe ich euch Kleine Katze und Gr …«
Josephine unterbrach ihn.
»Ich hatte früher Katzen, ich kenne mich aus. Wenn du mich irgendwo bei einer Stadt rausschmeißt, mache ich euch vorher noch ein schönes Katzenklo zurecht, okay? Ich habe kein Geld und kann mich nicht anders bei dir bedanken.«
»Okay«, antwortete er nur, obwohl er sich nicht vorstellen konnte, Josephine einfach wieder irgendwo zurückzulassen. Er verspürte Neugier und wollte mehr über die Frau erfahren, die jetzt am Kajütenfenster stand und rief:
»Es dämmert schon. Ich möchte schwimmen gehen. Das Wasser sieht total klar aus, durchsichtig, wollen wir zur Insel schwimmen?«
»Nein. Erstens möchte ich bald weitersegeln, und zweitens kann ich nicht schwimmen!«
Josephine schüttelte sich, wie immer, wenn sie lachte.
»Du hast eine Jacht, und kannst nicht schwimmen?«
Peter zeigte beiläufig hinüber zu den Rettungsmitteln und rief Josephine von der Reling aus zu:
»Ich habe Angst vor Fischen. Ich mag sie mehr als gerne essen, aber kann nicht ertragen, wenn sie neben mir im Meer schwimmen. Das kommt von einer Erfahrung, die ich mit fünf Jahren machte. Meine Eltern waren mit mir an der Mosel im Sommerurlaub, ich wollte mir die Füße kühlen, und habe um mich herum plötzlich Tausende toter Fische gesehen. Es gab damals ein großes Fischsterben. Seitdem wollte ich nie mehr in einen Fluss oder ins Meer und habe darauf verzichtet, erneut schwimmen zu lernen.«
Josephine lachte nun nicht mehr. Sie wusste jetzt, warum Peter andauernd eine dieser Westen trug. Sie legte ihre viel zu große Hose ab, danach ihre Bluse und die Unterwäsche.
Sie stand ungeniert nackt vor Peter, weiß war ihre Haut, und ihre Brüste hingen herab. Sie nahm ihre Unterwäsche und warf sie in den Abfallbehälter, lief zur Reling und sprang grinsend ins offene Meer.
Sie schlenderten gemeinsam durch die nächtlichen Straßen von Dubrovnik und wirkten auf die Passanten wie ein merkwürdiges Gespann. Peter, von Natur aus hellhäutig, hatte durch seinen ständigen Aufenthalt auf dem Meer eine gesunde Hautfarbe. Josephine hatte von Natur aus relativ dunkle Haut, und auch sie verbrachte die meiste Zeit im Freien. Trotzdem wirkte ihre Haut blass und ungesund. Das künstliche Licht der Laternen mochte diesen Unterschied noch ein wenig verbergen, alles andere aber war nicht zu übersehen, sodass die beiden die Blicke auf sich zogen.
Peter war nicht wesentlich größer als sie, seine Gestalt aber schlank und sportlich, was man von Josephine nicht behaupten konnte. Sie trug keinen BH, und Peter bemerkte, dass die jungen Frauen entsetzt auf ihre fülligen, hängenden Brüste starrten. Josephines Gestalt und ihre Art, sich gänzlich über kritische Blicke hinwegzusetzen, war wie ein Schlag ins Gesicht für die modebewussten jungen Mädchen, die sich ohne Schminke nackt und hilflos fühlten, ja, geradezu verloren. Fast noch mehr aber wurde ihre Glatze entsetzt beglotzt. Josephine war nach ihrem mutigen Sprung ins Meer lange im kalten Nass geschwommen, hatte an Bord nach einer Schere gefragt, sich bald darauf eine Stunde ins Bad zurückgezogen, um geschoren wieder herauszukommen. Peter hatte zur Glatze nichts gesagt, und ihr nur wortlos eine seiner Unterhosen hingelegt, mit mehr hatte er nicht dienen können. Seine Shirts und Hosen waren ihr zu eng.
Josephine trug hier in Dubrovnik noch immer die schmutzige Hose, die ihr zu weit war, und um die sie ihre altersbrüchige, schwarze Gürteltasche schnürte, damit sie nicht rutschte. Peter hingegen war bestens gekleidet und trug einen flotten Kurzhaarschnitt. Er hatte Hunger und war der Meinung, dass Josephine dieses Gefühl teilen müsse. Sie aber sagte wieder kein Wort. Sie hatte herzergreifend geweint, als sie am Hafen von Dubrovnik angelegt hatten, so als würde sie mit dieser Stadt etwas verbinden, dass sie zum Weinen brachte. Es war zu früh, um Fragen zu stellen, sodass er sich entschlossen hatte, zu warten, bis sie fertig mit Weinen war. Schließlich hatten sie ohne Worte die Secret verlassen und waren an der Stadtmauer entlang gelaufen, wo hoch über ihnen die Festung thronte.
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