Dort hat der Otto Habsburg uns erklärt, dass er von verlässlichen Vertrauensleuten in Österreich Nachrichten bekommt, dass die Koalitionsregierung zwischen Volkspartei und Sozialisten völlig am Ende ist. Die beiden Parteien haben das Land mit dem Proporz und dem ganzen Filz in den Abgrund geführt. Da hat er nicht ganz unrecht gehabt. Aber dann hat er gesagt, dass das Volk diese Regierung ablehnt und nach etwas Neuem lechzt. Da lag er natürlich ganz falsch, denn die Sozialpartnerschaft war eine beliebte Institution und bei jeder Wahl haben die Leute doch hauptsächlich rot oder schwarz gewählt. Und ich habe ihm gesagt: „Die Koalition ist nicht am Ende. Abgesehen davon hat ja diese Koalition vor drei Jahren den Staatsvertrag gebracht, also die Befreiung Österreichs. 1945 war die große Befreiung durch die Alliierten und 1955 war die Befreiung von den Alliierten durch die Koalition. In all dieser Zeit liegt eine Entwicklung Österreichs, die die Bevölkerung auf dieses Land eingeschworen hat. Die Bevölkerung liebt dieses Land. Nicht alle Politiker sind populär, aber viele. Von einem revolutionären Gedanken oder einer Befreiung ist hier nicht die Rede.“
Das hat der Habsburg ganz strikt bestritten. Er weiß ganz genau durch seine Vertrauensleute, Österreich ist so reif für die Wende und für einen Umschwung wie Frankreich. Wie General de Gaulle will er als Retter nach Österreich kommen, durch eine demokratisch legitimierte Verfassungsänderung Bundespräsident und Bundeskanzler in einer Funktion zusammenlegen, einen „Justizkanzler“, ein gerechtes Staatsoberhaupt schaffen, und dafür würde er kandidieren und sicher auch gewählt werden, denn das ganze Volk wartet auf ihn .
Wir wollten ihm das ausreden, denn es würde Österreich in Lager spalten und auch international nicht akzeptiert werden, und haben ihm versichert: „Herr Doktor, wir werden leider Gottes im ‚Kurier‘ ganz und gar gegen Sie Stellung nehmen müssen.“
Später war Otto dann sehr versöhnlich und hat mir nach dem Begräbnis seiner Mutter Zita 1989 einen Dankesbrief für meinen Fernsehkommentar geschrieben. Wir sind immer als Gentlemen auseinandergegangen und würden uns auch wieder so begegnen .
Hundert Leute, eine Wurst
Hugo Portischs größtes Interesse gilt dem Weltgeschehen. Neben ihm schon bekannten Ländern wie den USA oder Großbritannien bereist er bereits zu Beginn der 60er-Jahre Länder in Asien, Lateinamerika und Afrika, die anderen westlichen Journalisten noch keinen Zutritt gewähren. Daraus entstehen Bücher der „So sah ich …“-Reihe, die allesamt zu Bestsellern werden. 1962 besucht der überzeugte Antikommunist zum ersten Mal die Sowjetunion. Von einer Dolmetscherin namens Alexandra begleitet, weiß er sehr genau zwischen den Menschen und dem Regime zu unterscheiden.
Alexandra hat mich die ganzen vier Wochen über begleitet und es war klar, dass sie mich auch zu überwachen hat. Jeden Tag ist sie eine halbe Stunde verschwunden, um darüber Bericht zu erstatten, was ich gemacht habe. Ich hatte einige sehr einschneidende Erlebnisse. Die langen Menschenschlangen vor dem großen Kaufhaus GUM in Moskau zum Beispiel. Ich dachte mir: Was gibt’s dort zu kaufen? Die Lösung: Es war eine ziemlich wuchtige, runde Wurst, von der große Scheiben abgeschnitten wurden. Um diese Wurstscheiben haben sich mehr als hundert Leute angestellt. Dann bin ich in ein Kaufhaus gegangen und habe gesehen, wie armselig dort alles ist, und wie teuer das Armselige ist. Eine ganz einfache Jacke war fast unbezahlbar für einen normalen Sowjetbürger. Gleichzeitig waren die Leute aber alle recht gut angezogen. Wie machen die das?, dachte ich. Sie waren munter, heiter und freundlich. In der Tat ein tolles Volk!
Alexandra war in manchen Fragen hilfreich, in ideologischen Angelegenheiten war sie aber völlig stur und von der Propaganda vollkommen falsch unterrichtet: In Korea haben die Amerikaner angegriffen und nicht die Nordkoreaner. Der Eiserne Vorhang ist natürlich nur dazu da, um die westlichen Spione davon abzuhalten, die sozialistischen Länder zu überrennen. In Sibirien steht auf jeder kleinen Brücke ein Mann mit einem Gewehr. „Wozu?“, fragte ich sie. „Es ist ja kein Bürgerkrieg mehr.“ – Antwortet sie: „Die Brücken werden wegen der westlichen Agenten bewacht.“ Das schien mir doch unwahrscheinlich, 500 oder 1.000 Kilometer von der nächsten westlichen Grenze. Wo sollen da Agenten herkommen?
Nach ein paar Tagen hab ich vom KGB die Auskunft bekommen: Ich möge das verstehen, während des Krieges war das notwendig, weil es da ja tatsächlich überall Nazi-Agenten gab. Da hat man ein großes Wachkorps hauptsächlich für Brücken, Viadukte und Eisenbahnen aufgestellt. Jetzt, lange nach dem Krieg, wagt es niemand, diese Leute nach Hause zu schicken. Sie wären nämlich arbeitslos und sie können keine Arbeitslosen brauchen. Die bleiben weiterhin bei den Brücken stehen, weil das ihr Job ist. Den haben sie gelernt. Davon beziehen sie ihren Lebensunterhalt. Sie können sie nicht abziehen .
Wahrscheinlich tausende, die nur so dagestanden sind und die Brücken bewacht haben wegen nix und wieder nix. Unglaublich!
Wer bin ich schon gegen China?
Anfang August 1964 droht der bis dahin lokal begrenzte Vietnamkrieg ein Konflikt zwischen den Supermächten zu werden. Die USA sind im Begriff, direkt in den Krieg gegen das kommunistische Nordvietnam einzugreifen. Genau in diesen Wochen befindet sich Hugo Portisch im Rotchina Mao Zedongs – eine ungeheure Sensation, denn westlichen Journalisten bleibt China gewöhnlich verschlossen. Eines Tages wird Portisch zu einem Gespräch mit dem dritten Mann der obersten KP-Nomenklatura eingeladen, dem Außenminister Chen Yi.
Da fängt der Marschall Chen Yi an, mit mir zu reden. Ich begreife nicht gleich, was das soll. Er erzählt mir über Vietnam. 1964 erzählt er mir etwas über Vietnam! Und dass China überhaupt kein Interesse an diesem Land hat. Es sei ihnen völlig egal. Das ist ja nur Dschungel mit Giftschlangen, hat er wörtlich gesagt. Nicht einmal genug Reis für die eigene Bevölkerung gibt es dort. In Vietnam ist für China gar nichts zu holen .
Denke ich mir, warum sagt er mir das?
Natürlich, das amerikanische Engagement in Südvietnam war mir schon geläufig, dass die Amerikaner dort sind und so weiter. Ich frage ihn: Betrifft das den Krieg in Vietnam? Sagt er, ja, das betrifft den Krieg in Vietnam. Sage ich, den amerikanischen Krieg in Vietnam? Sagt er, ja, den amerikanischen Krieg in Vietnam. Dann sagt er mir, Sie wissen doch, die Amerikaner haben Hanoi bombardiert. Ich wusste es natürlich nicht. Ich hatte auch kein Funkgerät. Jetzt war mir also klar, dass die Amerikaner Hanoi bombardiert hatten. Das muss dieser Tage gewesen sein, vor ein paar Tagen oder sogar am Tag vorher. Habe ich gesagt: Ist das Ihrer Meinung nach der Beginn einer amerikanischen Invasion in Nordvietnam? Da hat er gesagt, das ist durchaus möglich, dass es eine amerikanische Invasion in Nordvietnam gibt. Wir haben allerdings dort keine Interessen. Habe ich gesagt, das heißt, dass es nicht so sein würde wie in Korea? Denn dort haben die Chinesen damals mit einer Riesenarmee eingegriffen .
Mir ist die Spucke weggeblieben. Hier sagt mir der Außenminister, ein Marschall, ein Weggenosse und Politbüromitglied und einer der engsten Mitarbeiter Mao Zedongs, dass, wenn die Amerikaner in Nordvietnam einmarschieren, die Chinesen nichts tun werden .
Er will offenbar, dass ich diese Botschaft hinaustrage. Ich? Wer bin ich schon? Der Chefredakteur des „Kurier“ in Wien. Was ist das im Verhältnis zu China und Amerika? Vielleicht weil es glaubhaft ist, wenn es über ein neutrales Land kommt?
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