Gute Geschichten bessern die Welt.
Hugo Portisch
So sah ich
Mein Österreich
story.one - Life is a story
Aufgezeichnet von Hannes Steiner
1. Auflage 2021
© story.one – the library of life – www.story.one
Eine Marke der Storylution GmbH
2010 hat Hugo Portisch dem befreundeten Verleger Hannes Steiner (story.one) in insgesamt 30 Stunden sein Leben erzählt. Dieser hält gemeinsam mit dem Unternehmer Michael Kraus die Rechte an diesen „Toskana Tapes“.
Geplant ist ein Hugo-Portisch-Preis für exzellente journalistische Leistungen und eine Sommerakademie für Journalisten im Toskana-Haus von Hugo Portisch, das er im Alter an Michael Kraus verkaufte.
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Copyright-Inhabers reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw.
Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.
Gesetzt aus Minion Pro und Lato.
© Coverfoto: Ernst Kainerstorfer / picturedesk.com, Artwork www.adwerba.at© Fotos: Aloha / Interfoto / picturedesk.com, Cermak, Alfred / ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com, Scherl / SZ-Photo / picturedesk.com, Rübelt, Lothar / ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com, Votava / Imagno / picturedesk.com, ORF, Peter Kurz / First Look / picturedesk.com, Barbara Pflaum / Imagno / picturedesk.com
Printed in the European Union.
ISBN: 978-3-903715-10-3
eISBN: 978-3-903715-11-0
„Die Geburt der Zweiten Republik aus den Trümmern des Krieges ist eine unglaubliche Geschichte.“
Österreich – Eine unglaubliche Geschichte
Spaziergang mit Ernst Fischer
Weichenstellung für Österreich
Der Fall Margarethe Ottillinger
Ich als „Volksverhetzer“
Hitlers erstes Opfer
Mit Raab auf ein Schildkrötenschnitzel
Das heimliche Interview
Aug um Aug, Zahn um Zahn
Das Buhlen um die Nazis
Kreisky und der Glasenbacher
Kreisky, der Reform-Kanzler
Kreisky versus Wiesenthal
Eine Regierungserklärung muss her
Karl Schranz auf dem Heldenplatz
Erstes politisches Opfer im neuen Österreich
Kein Geschäft für erwachsene Menschen
Österreich – Eine unglaubliche Geschichte
Die Geburt der Zweiten Republik aus den Trümmern des Krieges und der Hitler-Tyrannei bezeichnet Hugo Portisch als „unglaubliche Geschichte“. Es hätte auch ganz anders kommen können. Doch mit Strategie, Taktik, Geschick und auch ein bisserl Infamie – potenziert durch glückliche Zufälle – erfing sich Österreich rasch wieder und startete neu durch.
Gleich noch im Mai 1945 kreiste ein Flugzeug der Alliierten über Wien. Von diesem Flieger aus wurde alles Wichtige gefilmt. Der zerschossene Prater, das bombardierte Schloss Schönbrunn, der Stephansdom in Trümmern, die Universität – alles in Ruinen. Diese Aufnahmen habe ich in einem Archiv gefunden und wollte sie in meiner Dokumentation „Die Zweite Republik – Eine unglaubliche Geschichte“ zeigen. Aber – mehr noch: Ich wollte sie kontrastieren mit Bildern vom heutigen Wien. Deshalb wollte ich diesen Flug von damals nachstellen. So sind wir mit einem Polizeihubschrauber geflogen – das war ein ungeheurer Kontrast! Damals und heute! Und das haben wir dann auch so gezeigt: das bombardierte Schönbrunn, teilweise ohne Dach, tief zerstört, und die englischen Soldaten stehen in einer Wachformation vor dem ramponierten Schloss … Und dann haben wir im Morphingverfahren auf die heutigen Bilder aus dem Polizeihubschrauber übergeblendet: Eine große Truppe von japanischen Touristen steht in einer Wachformation vor dem strahlenden Schloss Schönbrunn, und ringsherum ist alles Jubel, Trubel, Heiterkeit …
Die Entstehung – genauer gesagt: die Geburtsurkunde – dieser Zweiten Republik ist tatsächlich eine unglaubliche Geschichte! Unglaublich war schon die „Moskauer Deklaration“ 1943: Die war ein reines Zufallsprodukt, das etwas ganz anderes bewirkt hat, als die Alliierten damit eigentlich vorhatten. Sie wollten Deutschland schwächen und Österreich als eigenen Staat definieren – den man später vielleicht wieder kassieren würde. Tatsächlich haben sie diesen Staat aber dadurch mit einer „Geburtsurkunde“ ausgestattet, die uns bis zum heutigen Tag verfolgt .
So hat man uns damals mitgeteilt: Ihr seid einerseits ein „Opfer Hitlers“; andererseits seid ihr trotzdem am Krieg schuld. Darin liegt der ganze Widerspruch Österreichs in der Zweiten Republik. Und dadurch wurde diese Republik unter unglaublichen Umständen aus der Taufe gehoben!
Es ist heute wirklich unglaublich, was da alles entstehen konnte! Unglaublich, dass die Russen einverstanden waren mit der freien Wahl im November 1945! Unglaublich, dass diese Wahl – zum Nachteil der Sowjets – so ausgegangen ist! Unglaublich, dass wir diese Bedrohung der Spaltung Österreichs und der Blockierung Wiens in Anbetracht der ganzen europäischen Situation so glimpflich überstanden haben! Unglaublich, wie wir unsere Kunstschätze aus Wien evakuiert haben! Unglaublich auch, wie sich die österreichische Wirtschaft erholt hat und wie das Modell der Sozialpartnerschaft gewirkt hat! Bis zum Waldheim war alles unglaublich .
Spaziergang mit Ernst Fischer
Die erste Nationalratswahl der Zweiten Republik fand am 25. November 1945 statt. Die ÖVP unter Leopold Figl ging als Sieger aus der Wahl hervor. Zweiter wurde die SPÖ unter Staatskanzler Karl Renner. Die KPÖ blieb deutlich hinter den Erwartungen. Der Schriftsteller und Publizist Ernst Fischer, bis dahin KPÖ-Staatssekretär für Unterricht der Provisorischen Staatsregierung Renner, hatte sich ein wesentlich besseres Abschneiden der Kommunisten erwartet.
Ernst Fischer, der große KP-Führer und KP-Minister, und ich gingen das Stückerle von der jugoslawischen Botschaft bis zum Donaukanal hinunter, wo der Fischer zu Hause war. Da hat er mir auf dem Weg erklärt, dass sie damit gerechnet hatten, dass freie Wahlen auf jeden Fall für die Kommunisten ausgehen müssten. Mit Abstand hätten sie die gewinnen müssen, denn sie waren ja die Befreier. Es kamen die Sowjettruppen ja als Befreier! Alle diese Völker – so Fischer – mussten doch unter dem Faschismus und unter dem Hitlerismus und unter den Machtinstrumenten wie der Gestapo unendlich gelitten haben, und daher würden sie überwältigend kommunistisch wählen – für die Befreiung. Darüber, dass es dann nirgendwo so war, waren die Kommunisten zutiefst und bitter enttäuscht .
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