Es hat sich dann zwar noch ein paar Monate verzögert, weil mich die aus New York nicht gleich weglassen wollten, aber so bin ich dann zum „Kurier“ gekommen. Der Dichand war Chefredakteur und ich wurde sein Stellvertreter und habe die Außenpolitik übernommen. Gleich zu Beginn hatte ich ein großes Glück: Da starb Einstein, ich konnte meinen ersten Leitartikel über ihn schreiben. Das war ungewöhnlich, denn in Österreich hat man Albert Einstein damals noch nicht wirklich als großen Mann wahrgenommen – wir aber sehr wohl! Ab da habe ich – im Gegensatz zu Dichand, der das nie getan hat – in der Regel die Leitartikel geschrieben. Damit war ich im „Kurier“ der Meinungsmacher .
Interessanterweise hat Julius Raab unsere Zusammenarbeit beziehungsweise meine Hilfsdienste in Amerika nicht vergessen. Denn er hat mich sehr bald danach zum Kaffeetrinken eingeladen und hat das auch beibehalten, ich wurde in gewissen Abständen immer wieder eingeladen. Dabei hat er mir dann auch so manchen seiner politischen Pläne enthüllt. Er hatte gute Gründe, mit mir Gedanken auszutauschen: „Damit ich Ihre Leitartikel, wenn schon, dann zu Recht angreife und nicht zu Unrecht!“
An einem Spätnachmittag im April 1955 läutet Portischs Telefon in der „Kurier“-Redaktion. Am Apparat ist Bundeskanzler Raabs Sekretär Erich Haider in Moskau, wo gerade wieder einmal die österreichische Regierungsdelegation am Verhandeln um den heiß ersehnten Staatsvertrag ist, der Österreich frei machen soll:
Heute kann ich es ja sagen. Damals habe ich es streng geheim gehalten: War der Haider am Telefon und sagt: „Du, wir sind durch! Ich sage dir, wie es ausgehen wird: Wir bekommen den Staatsvertrag, alle Besatzungsmächte werden abziehen, alle Kriegsgefangenen und andere politische Gefangene werden freigelassen und werden ihre Heimat wiedersehen.“ Wörtlich! Ich bin ganz weg gewesen. Ich habe das nicht erwartet. Niemand hat erwartet, dass der Staatsvertrag kommt. Zehn Jahre lang ist jede Staatsvertragsverhandlung gescheitert. Jede! Auch die hoffnungsvollste. Es gab ja einige, die sehr hoffnungsvoll waren. Ein Jahr vorher in Berlin haben wir den Staatsvertrag auch schon fast in der Hand gehabt. Nur haben da noch die Sowjets darauf bestanden, dass sie mit einem kleinen Kontingent im Land bleiben. Und jetzt das? Das kann nicht wahr sein! Sagt er: „Du kannst dich drauf verlassen, es stimmt.“
Daraufhin rufe ich den Dichand an: „Machen wir ein Extrablatt!“ – „Sofort ein Extrablatt! Ruf den Herausgeber Ludwig Polsterer an.“ Sagt der, ja, einverstanden, Extrablatt. Wir rufen die Leute in der Setzerei zusammen, dort war ja keiner mehr, der „Kurier“ ist zu Mittag erschienen und wurde in der Früh gemacht. Die Setzer hatten aber ein gutes Alarmsystem und wir haben eine einblättrige Zeitung produziert mit großen Headlines: „Österreich wird frei! Der Staatsvertrag wird abgeschlossen!“ Alles hat sich überstürzt. Nur hatten wir am Abend um sieben Uhr keine Kolporteure! Was machen wir jetzt?
Da habe ich gesagt: „Die ganze Redaktion, jeder nimmt sich einen Schüppel Extrablätter unter den Arm und wir laufen überall in die Stadt und schreien: ‚Österreich wird frei. Der Staatsvertrag wird abgeschlossen!‘ So bringen wir das unter die Leute.“ Der Dichand und ich nehmen uns jeder einen Schüppel Zeitungen in die Hand und laufen auf die Kärntner Straße. „Du läufst links, ich laufe rechts.“ Auf beiden Seiten der Kärntner Straße: „Österreich wird frei!“ Aber die Leute haben nur gelacht: „Wen haltet ihr denn zum Narren? Seid ihr blöd! Schleichts euch mit dem Schmäh!“ Niemand hat es geglaubt. „50 Groschen? Das ist nicht einmal 50 Groschen wert. Behaltet euch das Kasblattl!“ Da habe ich gesagt: „Wir schenken es her.“ Und wir haben es verschenkt. Aber niemand hat es geglaubt .
Am nächsten Tag wurde es dann allgemein bekannt, aber der Erich Haider hat seine Entlassung riskiert, als er mir das aus Moskau noch vor dem ÖVP-Pressedienst durchgegeben hat. Er hat sich gedacht: Der „Kurier“ erscheint ohnehin erst zu Mittag, da braucht’s keine Sperrfrist …
Drei Jahre danach löst Hugo Portisch, der Journalist mit den guten Kontakten, Hans Dichand als Chefredakteur ab. Da ist er 31 Jahre jung.
1956 verstaatlicht der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser die Suezkanal-Gesellschaft und brüskiert damit den Westen und Israel. Noch dazu, wo Nasser mit der Sowjetunion zusammenarbeitet und kommunistische Berater ins Land holt. Davon kann sich Hugo Portisch, der 1956 zum ersten Mal nach Ägypten reist, persönlich überzeugen. Nach der Besichtigung des Suezkanals will er auf der Post in Kairo ein Telegramm an die „Kurier“-Redaktion in Wien aufgeben, doch zunächst wird er dort von zwei Herren in weißen ägyptischen Uniformen in einen Nebenraum gebeten:
Die sprechen Sächsisch. Jetzt war mir natürlich schlagartig klar, die sind aus der DDR, die stehen in ägyptischen Diensten hier und sind die Deutsch-Zensoren. Sie haben mich verhörmäßig befragt, warum und wie ich zum Suezkanal gekommen bin .
Ein Oppositioneller namens Munir lädt Hugo zu einem Segelflug ein.
Wir sind in das Segelflugzeug, einen Doppelsitzer, eingestiegen. Ein Jeep hat uns gezogen und hochgeschleudert und wir sind über den Stadtrand von Kairo geflogen und hinaus in Richtung Pyramiden. Das einzige Mal in meinem Leben, dass ich die Pyramiden gesehen habe. Nachher nie wieder. Dann über die Wüste. Dort deutet der Munir nach unten und zeigt mir eine Unzahl von Panzern, die in der Wüste stehen. Ich konnte sie nicht zählen, aber es waren Dutzende, viele, hundert vielleicht. Das waren T34, sowjetische Panzer. Ich bin außer mir! Das ist eine sowjetische Bewaffnung Ägyptens. Es geht nicht nur um den Suezkanal. Nasser hat eine Bereitschaft zu kämpfen. Entweder für die Verteidigung Ägyptens oder sogar in einem Krieg gegen Israel .
Am nächsten Tag werde ich aufgeweckt, sehr zeitig, so um sechs Uhr. Es ist Munir, der sagt: „Sie müssen sofort mit mir kommen! Nehmen Sie alles mit, Sie verlassen Ägypten.“ Sage ich: „Ich habe noch …“ – „Nichts. Sie haben gar nichts! Sie kommen jetzt mit mir. Sie verlassen Ägypten.“
Ich steige in ein Auto ein, das fährt auf den Flugplatz, direkt aufs Flugfeld. Das Auto bleibt bei einer TWA (Trans World Airlines)-Maschine stehen. Ich gehe durch keine Kontrolle, besteige das Flugzeug. Eine Viertelstunde später hebt es ab und bringt mich über Rom nach Wien .
Später habe ich erfahren, die wollten mich holen, die Herren aus Sachsen. Die wollten mich dann ordentlich verhören dort. Der Munir hat das als kundiger Oppositioneller gewusst und hat mich aus dem Verkehr gezogen. Munir hat das für mich geschafft, und zwar mit voller Absicht, damit die Welt weiß, was mit dem Nasser los ist. Und die Welt hat es von mir erfahren. Denn ich kam nach Wien und habe natürlich das alles brühwarm geschrieben, auch die Panzer, die ich gesehen habe. Wo habe ich damit Schlagzeilen gemacht? In Israel natürlich. Die israelischen Zeitungen haben aufgemacht mit dem Panzer in der Wüste, auch die britischen Zeitungen. So wurde ich eigentlich ziemlich heftig in den Nahostkonflikt eingeschaltet und habe von da an immer eine gute Position gehabt .
Seit Ende der 50er-Jahre beschäftigt die Habsburg-Frage und dann -Krise die Republik. Otto (von) Habsburg, der Sohn des letzten Kaisers von Österreich-Ungarn, verzichtet auf seine Thronansprüche und will nach Österreich einreisen. Das spaltet die Koalition und das Land. Die ÖVP hat mehrheitlich keinen Einwand, aber die SPÖ und auch die oppositionelle FPÖ laufen Sturm dagegen. Was will Otto Habsburg in Österreich? „Kurier“-Herausgeber Ludwig Polsterer, der viele adelige Freunde hat und eher prohabsburgisch eingestellt ist, reist bereits 1958 gemeinsam mit Chefredakteur Hugo Portisch zu Otto Habsburg in dessen Domizil in Pöcking am Starnberger See, um herauszufinden, was dieser in Österreich vorhat.
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