Besonders in Südeuropa und in Südostasien war das kreative Unternehmen in den letzten Jahren gewachsen und hatte sich dort viele Lorbeeren auf dem Gebiet der Meerwasserentsalzung verdient. Umso betroffener reagierte die gesamte Belegschaft, als sie von dem geplanten Verkauf ihres so erfolgreich geführten Familienunternehmens überrascht wurden. Zahlreiche Umstrukturierungen wurden befürchtet, so wie es bereits ähnlichen Betrieben ihrer Branche ergangen war, die im Laufe der letzten Jahre von der AquaTop übernommen worden waren. Der alte Eigentümer hätte gerne eine andere Lösung gehabt, aber es fehlte ganz einfach an einem geeigneten Nachfolger und mit seinen 82 Jahren war sein Ausstieg aus der Firma schon lange überfällig. Sein Ziel bestand in der Einbindung seines Lebenswerkes in einen liquiden, weltweit operierenden Konzern und mit diesem Konzept konnte er schließlich auch seine Mitarbeiter überzeugen. Die Verhandlungen dauerten fast ein ganzes Jahr, bis der Deal schließlich in trockenen Tüchern war. Die nächsten Schritte nach einem neuen Einkauf waren bei der AquaTop AG in einer Standardarbeitsanweisung – auch SOP genannt – genauestens dokumentiert und folgten einem festen Muster.
Als allererste Maßnahme würde die Geschäftsführung ausgetauscht und mit einem führenden Angestellten der AquaTop AG besetzt werden, der, wenn alles klappte, Dr. Alexander Brünner heißen sollte. Er rechnete mit der Ernennung innerhalb der nächsten Tage, denn Tom Polster hatte sich für Ende der Woche in Amsterdam angekündigt, und dann würden wohl alle geplanten Personalien im Zusammenhang mit dem Kauf der OsmoTec GmbH offiziell bekannt gegeben werden. Den Gedanken, dass eventuell jemand anderes für diese Position in Betracht gezogen werden könnte, ließ Dr. Brünner erst gar nicht zu, denn die Vorstellung in der zweiten Reihe zu agieren war für ihn vollkommen unakzeptabel. So wie er allgemein nur wenige in seinem direkten Umfeld akzeptierte, darunter zwangsläufig das Seniormanagement der AquaTop AG und Madame Karen, die Betreiberin eines kleinen Domina-Studios in der Kerkstraat. Zu dieser Frau pflegte er eine ganz besondere Beziehung, er war ihr bedingungslos verfallen. Sie war seine Vertraute, bei ihr hatte er sich schon so manches Leid von der Seele geredet. Hierhin verschwand er regelmäßig, wenn sein innerer Druck wieder einmal zu groß wurde und er nach der harten Hand der resoluten Dame gierte. Sie war sein Ventil, und unter dem strengen Blick von Madame Karen konnte er sich der aufgestauten Dinge entledigen um dann, nicht nur um ein paar Hundert Euro erleichtert, wieder an sein Tagesgeschäft zu gehen. Dass er dabei neben seinen kleinen Beichtgeständnissen auch noch Lust empfand, machte einen Besuch in dem intimen Studio ganz besonders attraktiv. Das würde er vermissen, wenn er denn irgendwann einmal in die heiligen Hallen des Headquarters in New York wechseln würde. In dem neuen Unternehmen würde er freie Hand haben, um die im Vorfeld akribisch analysierten Einsparpotentiale schnellstens umzusetzen. Noch in dieser Woche würden zwei Mitarbeiter von Human Resources, der Personalabteilung von AquaTop, sich in dem ehemaligen Familienunternehmen umsehen und von allen Führungskräften ein Profil anlegen. Dabei würden schon in der ersten Runde ein paar kritische Angestellte auf der Strecke bleiben. Kein Job, bei dem man sich Freunde machte, aber das wurde auch nicht von ihnen verlangt, ganz im Gegenteil, hier setzte die AquaTop AG nur auf Köpfe, die ohne Zaudern alle erforderlichen Maßnahmen ohne Rücksicht umsetzten. Die Ergebnisse würde man Brünner sodann sofort zur Verfügung stellen, damit er sich mit seinem neuen Team alsbald an die Arbeit machen konnte. Unter strenger Beobachtung würde er dabei in den nächsten Wochen stehen, und er wusste, dass er sich keinen Fehler erlauben durfte, was das Erreichen der gesteckten Ziele betraf. Der hoch motivierte Manager war nicht zufällig für diese anspruchsvolle Aufgabe ausgewählt worden, so wie auch alle anderen wichtigen Entscheidungen bei der AquaTop AG nicht dem Zufall überlassen wurden. Entscheidend war ein kleiner Vermerk in seiner Personalakte gewesen, dass ihn für heikle Aufgaben wie diese geradezu prädestinierte. Er gehörte zu dem Managertyp mit ausgeprägten soziopathischen Merkmalen, das hatte ein eigens für die AquaTop entwickelter Persönlichkeitstest ergeben. Der hauseigene Konzernpsychologe hatte seinerzeit sogar von einer Einstellung abgeraten, doch höchst angetan von Brünners souveränem Auftritt hatte sich die weibliche Leitung von Human Resources darüber hinweggesetzt. Die entscheidende Stimme kam von Sonja Roberts, der globalen Direktorin der Abteilung, die in Brünner einen exzellenten Nachwuchsmanager sah, der dem Unternehmen nur zu guttun würde. Inwieweit ihre persönlichen Präferenzen für den, von ihr mehrfach als attraktiv und sexy bezeichneten Brünner dabei eine Rolle gespielt hatten, konnte nie geklärt werden. Auf jeden Fall war er bestens geeignet für großangelegte Umstrukturierungen, bei denen die Gefühlswelt gekränkter und verunsicherter Mitarbeiter völlig ausgeblendet werden musste.
Für Dr. Alexander Brünner war es ein Problem, sich in andere Menschen hinein zu versetzen, geschweige denn in deren Seelenleben, was ihm völlig fremd war, so wie er auch äußerst selten von Schuldgefühlen ereilt wurde. Im Fokus seines Handelns stand stets er selbst, immer darauf bedacht im Sinne seiner Auftraggeber zu glänzen. Seiner narzisstischen Neigung folgend, eilte er auf die Toilette um sich im Spiegel zu mustern. Seine Krawatte saß korrekt, er sah weder zu blass aus, noch hatte er Schweißflecken auf seinem Hemd. Jetzt, um Gottes Willen keine Schwäche zeigen, dachte er. Der zugeschaltete Konzernpsychologe würde dies sofort erkennen und ihm negativ auslegen. Er betrachtet sich von allen Seiten, es gab nichts zu mäkeln und so betrat der ehrgeizige Manager mit kühlem Blick wenige Minuten vor 15:00 Uhr den Konferenzraum.
November 2012
Koh Samui, Provinz Surat Thani, Thailand
Michael Kober lehnte sich entspannt zurück und wartete auf seinen Papayasalat, den er sich bei einem seiner Angestellten bestellt hatte und den er fast jeden Mittag zur gleichen Zeit auf der großzügigen Restaurantterrasse zu sich nahm. Das Sun Flower Ressort, welches er nun schon seit gut zwei Jahren leitete, war bereits gut gebucht, obwohl es im November immer noch zu starken Wolkenbrüchen kommen konnte. Doch man spürte längst das nahende Ende der Regenzeit und für die nächsten drei Monate gab es bereits zahlreiche Reservierungen, die die Kasse klingeln ließen. Zum Glück hatten sie den Trend der Zeit früh genug erkannt und das in die Jahre gekommene Ressort zu einer Luxusherberge umgebaut. Die immer zahlreicher kommenden Touristen aus Russland und zunehmend auch aus China waren bereit, für Extravagantes kräftig in die Tasche zu greifen. Die Zeiten der mittellosen Backpacker, die lange die drittgrößte Insel im Golf von Thailand belagert hatten, waren endgültig vorbei und Fünf-Sterne-Hotels wie das Sun Flower gaben zunehmend den Ton auf Koh Samui an. Das Ressort lag ganz im Norden der Insel am weitläufigen Maenam Strand, einer der wenigen Ecken, wo es noch recht beschaulich zuging. Wem mehr nach Nightlife und Abenteuer zumute war, war am Chaweng Beach besser aufgehoben. Michael Kober liebte diesen Strandabschnitt und sein Blick schweifte stolz über den liebevoll angelegten Garten, in dem zwischen viel Grün und blühenden Gewächsen die unterschiedlichen Bungalows versteckt waren.
Als er damals beschlossen hatte nach Asien zu gehen, konnte er sich mehrere Anlagen aussuchen, denn Deutsche Führungskräfte im Hotelgewerbe wurden weltweit gesucht, man schätzte ihre Disziplin und Gründlichkeit. Seine Entscheidung war letztendlich auf das Sun Flower gefallen, denn dort hatte man dem jungen Manager viel freie Hand bei der Umgestaltung gelassen und dazu ein großzügiges Budget zur Verfügung gestellt, von dem er bei anderen Hotels nur träumen konnte. Jetzt war soweit alles auf dem neuesten Stand, bis auf eine notwendige Sanierung, aber auch die war bereits durchgeplant und sollte in der nächsten Woche in Angriff genommen werden.
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