«Ach, Sie schon wieder», sagt er, als er mich sieht. Er lächelt freundlich und winkt mich zu sich heran.
Vor Reiter verbreitert sich der Gang. Die Stelle sieht aus wie ein kleiner Teich. Was sich im Wasser verbirgt, kann man nicht erkennen.
«Hier führt eine Treppe nach unten», erklärt Reiter. «Wir tauchen ein paar Meter geradeaus, bis wir eine weitere Treppe erreichen. Oberhalb dieser Treppe liegt eine Tür, die wir aufbrechen müssen. Er da ...» Reiter deutet auf einen der Filipinos. Wie ich erst jetzt bemerke, ist der Asiate klatschnass.
«... hat versucht, die Tür aufzubrechen, aber ohne Erfolg. Eben lag sie noch zur Hälfte über Wasser. Aber wir müssen uns beeilen. Das Schiff legt sich ziemlich schnell auf die Seite, hab ich das Gefühl.»
«Wir», wiederhole ich tonlos.
«Ja. Wir», bestätigt Reiter. «Sie sind doch gekommen, um zu helfen.»
Ich nicke. «Dann lag ich mit meiner Vermutung also doch richtig.»
Er lächelt und schüttelt den Kopf. «Nicht ganz. Ich bin es nicht. Ich bin nur einer wie Sie. Ein Mensch, der Gott getroffen hat. Aber wir waren ihm die ganze Zeit sehr nahe.»
Er sieht mein fragendes Gesicht, und sein Lächeln wird breiter.
«Anastasia von Haffenberg.»
Ich stehe da mit offenem Mund, unfähig mich zu rühren.
«Ich würde sehr gerne noch mit Ihnen plaudern», fährt Reiter fort. «Aber wir haben hier einen Job zu erledigen. Wollen wir uns nicht in New York verabreden? Übermorgen zum Dinner?»
Ich nicke mechanisch.
«Schön. Sagen wir im Balthazar», fährt Reiter fort. «Vorausgesetzt, wir kriegen einen Tisch. Und vorausgesetzt, wir überleben die Sache hier.»
Wieder nicke ich.
«Dann los!», sagt mein Kollege und stürzt sich in die Fluten.
Ich schaue ihm nach und versuche, meine Gedanken zu ordnen. Es will mir nicht gelingen. Ich spüre jedoch, dass ich ein seltsames Glück dabei empfinde, auf einem sinkenden Ozeanriesen zu stehen und
gleich mein Leben zu riskieren für Leute, die ich nicht mal kenne.
Die schwarze Haarpracht Albert Reiters taucht aus den Fluten auf. «Es ist nicht weit, keine sechs Meter, würde ich sagen. Wir schaffen das. Aber ich brauche Ihre Hilfe.»
Ich nicke, ziehe rasch mein Sakko aus und werfe es zur Seite.
«Möge der Himmel uns beistehen», sagt Reiter.
«Das wird er ganz bestimmt», entgegne ich.
Dann springe ich ins kalte Wasser.
Hans Rath, Jahrgang 1965, studierte Philosophie, Germanistik und Psychologie in Bonn. Er lebt in Berlin, wo er sein Geld unter anderem als Drehbuchautor verdient. Mit seiner Romantrilogie um den vom Leben und von der Liebe gebeutelten Anfangvierziger Paul («Man tut, was man kann», «Da muss man durch» und «Was will man mehr») hat Rath sich eine große Fangemeinde geschaffen.
Jakob Jakobi hat das Glück verlassen. Geschieden, pleite, beruflich gescheitert und mit einer blutige Nase vom Neuen seiner Ex: So gebeutelt trifft Jakobi auf Abel Baumann, einen ebenfalls glücklosen Zirkusclown. Der leidet offenbar an einer kuriosen Persönlichkeitsstörung, denn er hält sich für Gott. Und sucht einen Therapeuten. Jakob ist fasziniert von den vielfältigen, aber seiner Meinung nach komplett irdischen Talenten des sympathischen Spinners. Doch bald ist der Psychologe nicht mehr so sicher, mit wem er es wirklich zu tun hat. Und wer hier eigentlich wem hilft…
Rowohlt Digitalbuch, veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, November 2012 Copyright © 2012 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
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ISBN Buchausgabe 978-3-8052-5044-3 (1. Auflage 2012)
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