Unwillkürlich steigt Ärger in mir auf. «Ellen, du hast unsere Ehe für ein paar lumpige Millionen geschrottet. Du kannst nicht erwarten, dass ich dir das mal eben so verzeihe.»
«Es waren nicht nur ein paar lumpige Millionen», korrigiert sie sachlich.
«Ist doch schnurz, wie viel es war», maule ich. «Du wolltest schlicht nicht teilen. Und das wäre auch völlig okay gewesen, weil es nicht mein, sondern dein Erbonkel war. Aber du hättest mich nicht belügen dürfen, damit ich diesen verdammten Ehevertrag unterschreibe.»
Sie sieht mich schweigend an, dann sagt sie: «Es ging um fast hundertvierzig Millionen.»
«Was?» Ich glaube mich verhört zu haben.
«Die Erbschaft. Es sind hundertvierzig Millionen», wiederholt sie. «Und du hättest dir vor Gericht die
Hälfte davon holen können. Verstehst du jetzt mein Problem? Keine Ahnung, ob du mit ein paar Millionen zufrieden gewesen wärst. Falls aber nicht, hätte ich die Hälfte verloren, und deshalb ...»
«Stopp! Moment!», unterbreche ich. «Du willst mir sagen, dass du selbst im allerschlimmsten Fall siebzig Millionen Euro behalten hättest?»
Sie nickt, als wäre das eine Selbstverständlichkeit.
«Aber warum, zur Hölle, hast du mich dann ausgebootet? Das ist doch viel mehr Geld, als ein normaler Mensch in einem Leben ausgeben kann.»
«Du wärst dann aber vielleicht ratzfatz mit deinen siebzig Millionen und irgendeiner Schlampe über alle Berge gewesen. Und genau das wollte ich verhindern», entgegnet sie entschieden.
«Aber wir sind doch jetzt trotzdem getrennt», sage ich verwirrt. «Wo ist denn da die Logik?»
«Die Logik ist, dass wir zwar getrennt sind, ich dir aber nicht obendrein auch noch siebzig Millionen hinterhergeworfen habe», stellt sie fest.
Ich werde gerade das Gefühl nicht los, in einem surrealen Meisterwerk von Bunuel mitzuspielen. Um mich auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, nehme ich einen großen Schluck Champagner. Dann sage ich: «Aber selbst in diesem Fall wärst du noch wahnsinnig reich. Außerdem war es nur deine fixe Idee, dass ich dir dein Erbe wegnehmen will. Wenn du ehrlich zu mir gewesen wärst, hättest du nicht nur das ganze Geld behalten können, obendrein wäre unsere Ehe höchstwahrscheinlich noch existent.»
Sie gießt uns erneut ein, schiebt die nun leere Flasche zur Seite und zieht den Chablis etwas näher zu sich, als wäre zu befürchten, dass er sich heimlich aus dem Staub macht. «Siehst du. Und genau darüber wollte ich mit dir reden», sagt sie mit einem gewinnenden Lächeln.
«Worüber jetzt?», frage ich und stehe schon wieder auf der Leitung.
«Na, über unsere Ehe. Ich fand nämlich, sie war gar nicht so schlecht.»
Ich weiß immer noch nicht, worauf sie hinauswill.
«Ich dachte, dass wir es vielleicht noch mal miteinander versuchen sollten», fährt Ellen fort. «Wenn du endlich aufhören würdest, darüber zu lamentieren, dass ich dein Vertrauen missbraucht habe, wäre ich bereit, dir eine größere Summe Geldes zu überweisen. Du sollst wissen, dass es mir ebenfalls nicht nur ums Geld geht. Ich möchte, dass du es als Geschenk ansiehst. Es würde dich zu absolut nichts verpflichten. Ich möchte dich nur um etwas bitten.»
«Du willst mich kaufen?», frage ich völlig entgeistert.
«Ich dachte an eine Million Euro», ergänzt Ellen.
«Oha», rutscht es mir raus.
«Mach damit, was immer du willst, aber versprich mir, dass du ernsthaft darüber nachdenkst, unserer Beziehung noch eine allerletzte Chance zu geben.» Sie schiebt das Glas zur Seite, beugt sich vor und schaut mir direkt in die Augen. «Wir hatten doch eine gute Zeit miteinander, Jakob. Und jetzt ist mehr als genug Geld da, um alle unsere Wünsche zu erfüllen. Lass uns mit der Vergangenheit abschließen und noch mal ganz von vorn anfangen.»
Ich fische den Korkenzieher aus der Schublade und beginne, Ellens Chablis zu öffnen. Sie hat recht.
Wir waren wirklich kein schlechtes Paar. Und mit ihrem Geld könnten wir uns nun ein sehr angenehmes Leben machen. Leider hat die Sache einen winzigen Haken: Ich will nicht der Galan meiner geschiedenen Frau werden.
«Sehe ich es richtig, dass du mir eine Stelle als Noch-Exmann anbieten möchtest?», frage ich.
Sie wirkt amüsiert. Ich gieße uns ein, sie nippt und ist offenbar mit ihrer Weinauswahl sehr zufrieden. Ich nehme ebenfalls einen Schluck und mache ein anerkennendes Gesicht. Sie hat sich wirklich nicht lumpen lassen.
«Uh. Billig war der aber nicht, oder?», sage ich.
Sie lächelt und schweigt.
«Dass du bereit bist, eine runde Million für mich auszugeben», fahre ich fort, «das ehrt mich übrigens.
Wirklich. Du hättest ja auch versuchen können, mich zu leasen. Oder mich billig in der Zwangsversteigerung zu kriegen.»
Ellens Gesicht wird ernst. «Ich will dir nur helfen, Jakob. Wie schon gesagt: Die Million ist nicht an Bedingungen geknüpft. Ich bitte dich nur, noch mal über alles nachzudenken.»
Warum glauben eigentlich alle Leute, dass sie mir helfen müssen?
«Danke. Ich brauch deine Hilfe nicht», sage ich entschlossen. «Und dein Geld brauche ich auch nicht.»
Ihre Lippen spannen sich. «Wie viele Patienten sind dir geblieben?», fragt sie mit scharfem Unterton. «Zehn? Zwanzig? Höchstens zwanzig, würde ich sagen.»
«Einer», sage ich wahrheitsgemäß.
Ellen, die gerade einen Schluck Wein nehmen will, hält erstaunt inne und stellt das Glas zurück auf den Tisch.
Ich nicke bestätigend. «Nachdem ich mir keine Sprechstundenhilfe mehr leisten konnte, ging mit den Terminen einiges drunter und drüber», erkläre ich. «Und die Bank will mir keinen Kredit geben.»
«Warum nimmst du mein Geld dann nicht?», fragt sie.
«Würdest du es von mir annehmen, wenn du in meiner Position wärst?»
Sie überlegt kurz. «Nein. Ich hätte dich nach der üblen Trickserei mit dem Ehevertrag langsam vergiftet und würde mir nun dein Erbe unter den Nagel reißen.»
Ich muss grinsen. Ihr loses Mundwerk mochte ich schon immer.
«Im Ernst: Ja, ich würde das Geld nehmen», fährt sie fort. «Aber ich bin da auch pragmatischer als du.» Sie sieht mich an. «Und wie soll es jetzt für dich weitergehen, Jakob?»
Ich zucke mit den Schultern. «Vielleicht kann mein letzter Patient mir helfen. Immerhin hält er sich für Gott höchstpersönlich.»
«Interessant», erwidert Ellen. «Selbst Gott hat Probleme?» Sie muss kichern. «Das klingt kompliziert. Und bei ihm kannst du ausnahmsweise mal nicht eine verkorkste Kindheit oder ein schwieriges Verhältnis zu den Eltern für alles verantwortlich machen.» Wieder muss sie kichern, dann steht sie auf und sagt: «Entschuldige mich einen Moment, ich bin gleich wieder da.» Kichernd verschwindet sie in Richtung Bad.
Ich nicke geistesabwesend. Ellen hat mich da gerade auf einen Gedanken gebracht: Ob Abel Baumann wohl Familie hat? Es würde mir helfen, mit jemandem zu sprechen, der ihn gut kennt.
Mein Handy reißt mich aus den Gedanken.
«Jakobi.»
«Polizeioberrat Schavinski hier. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass wir Ihren Schützling auf freien Fuß gesetzt haben. Der Staatsanwalt hat sich noch mal breitschlagen lassen, weil Herr Baumann ja jetzt in Ihrer Obhut ist. Außerdem habe ich eben seine Krankenakte bekommen. Medizinisch gesehen ist alles in Ordnung. Das heißt also: Jetzt sind Sie dran.»
«Moment», sage ich. «Ich bin nur sein Psychotherapeut, nicht sein rechtlicher Betreuer. Wenn er wieder Mist baut, ist das ganz allein seine Sache. Nur, um das klarzustellen.»
Schweigen. Schavinski räuspert sich, man hört das Rascheln von Papier. «Da haben Sie mir heute Mittag aber was anderes erzählt.» Wieder Papierrascheln. «Und wie ich hier gerade sehe, haben Sie es auch unterschrieben.»
«Was habe ich unterschrieben?»
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