»Und wie heißt diese mächtige Magie?«
Rincewind hob die Schultern. »In unserer Sprache nennt man sie Widerhallendes-Geräusch-wie-von-unterirdischen-Geistern. Habt ihr auch Wein?«
»Nun, ich bin nicht ohne Geschick, soweit es Magie betrifft«, sagte Schleicher. »Im letzten Jahr habe ich, mit Hilfe meines Gefährten, den mächtigen Erzmagus von Ymitury um seinen Stab, den Gürtel mit Mondjuwelen und sein Leben gebracht — etwa in dieser Reihenfolge. Ich fürchte nicht das Widerhallende-Geräusch-wie-von-unterirdischen-Geistern, aber du hast mein Interesse geweckt. Darf ich dich bitten, deine Schilderungen fortzusetzen?«
Bravd betrachtete das Etwas auf der Straße. Es war jetzt näher, und seine Konturen zeichneten sich im dämmrigen Morgengrauen deutlicher ab. Sonderbarerweise sah das Ding aus wie.
»Eine Truhe mit Beinen?« brachte der Barbar hervor.
»Ich erzähle euch mehr davon«, bot sich Rincewind an. »Vorausgesetzt, ihr gebt mir Wein.«
Unten im Tal donnerte und zischte es. Jemand, der vernünftiger war als die meisten anderen Bürger der Stadt, hatte den Befehl gegeben, die großen Schleusentore dort zu schließen, wo der breite Ankhstrom aus der Zwillingsstadt floß — daraufhin trat er über die Ufer und erreichte schon nach kurzer Zeit die vom Feuer heimgesuchten Straßen. Aus dem Kontinent der Flammen wurden einige Inseln, die rasch schrumpften, als die dunkle Flut höher stieg. Dampf gesellte sich Rauch und Qualm über der Stadt hinzu und verschlang das Licht der Sterne. Schleicher verglich die Form der Wolke mit der eines riesigen Pilzes.

Die Zwillingsstadt des stolzen Ankh und schäbigen Morpork — keine andere Stadt in Raum und Zeit kann es mit ihr aufnehmen — hat in ihrer langen und recht bewegten Vergangenheit viele Katastrophen überstanden, um anschließend wieder aufzublühen. Das Feuer und die Flut, die alles zerstörte, was nicht dem Feuer zum Opfer fiel (sie erweiterte die Probleme der Überlebenden um einige sehr lästige Bereiche), bedeuteten keineswegs das Ende der Metropole. In diesem Zusammenhang handelte es sich eher um ein Satzzeichen, um ein kohleartiges Komma oder ein feuriges Semikolon in einer Geschichte mit vielen weiteren Kapiteln.
Einige Tage vor dem Brand kam ein Schiff mit der Dämmerungsflut über den Ankh, steuerte wie viele andere das Morpork-Ufer an und erreichte schließlich das Labyrinth aus Docks und Kais. Die Fracht bestand aus rosaroten Perlen, Milchnüssen, Bimsstein, einigen offiziellen Briefen für den Patrizier von Ankh — und einem Mann.
Dieser Mann weckte die Aufmerksamkeit des Blinden Hugo, eines Bettlers, der schon früh am Perlendock arbeitete. Er gab dem Rheumatischen Wa einen Stoß in die Rippen und zeigte in die entsprechende Richtung.
Der Fremde wartete nun auf der Anlegestelle und beobachtete einige schnaufende Seeleute, die eine große, mit Messingbeschlägen versehene Truhe über die Laufplanke trugen. Neben ihm stand ein anderer Mann, offensichtlich der Kapitän. Die unterschwellige Erregung der Matrosen... Die Nerven des Blinden Hugo vibrierten selbst dann, wenn sie fünfzig Schritte entfernt die Anwesenheit einer kleinen Menge von unreinem Gold spürten, und jetzt übermittelten sie dem Gehirn eine un-überhörbare Botschaft: Die Seeleute erwarteten unmittelbar bevorstehenden Reichtum.
Und tatsächlich: Als die Truhe auf dem Kopfsteinpflaster stand, öffnete der Fremde einen Beutel, und daraufhin blitzte eine Münze. Mehrere Münzen. Aus Gold. Der Blinde Hugo zitterte wie eine Wünschelrute, die nahes Wasser spürt, und er pfiff leise durch die Zähne. Dann stieß er Wa noch einmal in die Rippen und schickte ihn durch eine benachbarte Gasse ins Herz der Stadt.
Als der Kapitän an Bord seines Schiffes zurückkehrte und einen verwirrten Fremden auf dem Kai zurückließ, griff der Blinde Hugo nach seinem Bettelnapf, überquerte die Straße und grinste einschmeichelnd. Der Reisende schien ihn zu bemerken und tastete nach seinem Beutel.
»Ich wünsche dir einen guten Tag, Herr«, begann der Blinde Hugo und starrte in ein Gesicht mit vier Augen. Er wandte sich zur Flucht.
»!« sagte der Fremde und hielt ihn am Arm fest. Hugo hörte das Lachen der Seeleute, die an der Reling des Schiffes standen, und gleichzeitig nahmen seine spezialisierten Sinne die Nähe von viel Geld wahr. Er erstarrte. Der Reisende ließ ihn los, zog ein kleines Buch hinter seinem Gürtel hervor und blätterte eilig darin. »Hallo«, sagte er nach einer Weile.
»Was?« erwiderte Hugo. Der Mann sah ihn groß an.
»Hallo?« wiederholte er etwas lauter als notwendig. Er sprach mit so sorgfältiger Artikulation, daß Hugo hörte, wie die Vokale ihren Platz einnahmen.
»Selber hallo«, antwortete er. Der Fremde lächelte, schob erneut die Hand in den Beutel und zog eine große Goldmünze daraus hervor — sie war sogar noch größer als eine ankhianische Krone im Wert von achttausend Dollar. Das Muster darauf sah der Blinde Hugo nun zum erstenmal, aber es fiel ihm ganz und gar nicht schwer, die Sprache der Münze zu verstehen. Mein gegenwärtiger Besitzer braucht Beistand und Hilfe, sagte sie. Du solltest ihm beides gewähren. Dann können wir fortgehen und uns irgendwo amüsieren.
Geringfügige Veränderungen in der Haltung des Bettlers sorgten dafür, daß sich der Fremde entspannte. Erneut warf er einen Blick in das kleine Buch.
»Ich möchte zu einem Hotel, Taverne, Pension, Gasthaus, Hospiz, Herberge, Karawanserei«, sagte er.
»Was, alles auf einmal?« entfuhr es Hugo verblüfft.
»?« entgegnete der Mann.
Hugo stellte fest, daß einige Marktweiber, Muscheltaucher und freiberufliche Gaffer interessiert zusahen.
»Nun, ich kenne eine gute Taverne. Genügt das?« Er schauderte bei der Vorstellung, daß die Goldmünze aus seinem Leben entkam. Hugo wollte sie in jedem Fall behalten, auch wenn Ymor den Rest beschlagnahmte. Und die Truhe, die den größten Teil des Gepäcks darzustellen schien... Sie erweckte den Eindruck, mit Gold gefüllt zu sein.
Der Vieräugige blickte in sein Buch.
»Ich möchte zu einem Hotel, Ruhestätte, Taverne.«
»Ja, schon gut«, unterbrach Hugo den Fremden hastig. »Komm!« Er hob eins der Bündel auf und ging mit langen Schritten über den Kai. Der Reisende zögerte kurz und folgte ihm dann.
Ein bestimmter Gedanke zog durch die Aufregung hinter der Stirn des Bettlers. Hugo hielt es für einen ausgesprochenen Glücksfall, daß er den Fremden einfach so zur Gebrochenen Trommel bringen konnte — Ymor würde ihn gewiß dafür belohnen. Andererseits: Sein neuer Bekannter wirkte recht freundlich, aber irgend etwas an ihm bereitete Hugo Unbehagen. Er überlegte angestrengt, fand jedoch keine Erklärung dafür. Es ging dabei nicht um die beiden zusätzlichen Augen, so seltsam sie auch sein mochten. Nein, es gab einen anderen Grund. Vorsichtig blickte er zurück.
Der kleine Mann schlenderte hinter ihm über die Straße und beobachtete seine Umgebung mit gebanntem Interesse.
Dann sah Hugo etwas, das ihn erschauern ließ.
Die große Holztruhe, die bis eben auf dem Kopfsteinpflaster gestanden hatte, folgte ihrem Herrn und neigte sich dabei von einer Seite zur anderen. Hugo bückte sich ganz langsam — um zu vermeiden, daß ihm eine plötzliche Bewegung die Kontrolle über seine Knie raubte — und spähte unter die Kiste.
Viele kleine Beine ragten nun aus ihr hervor.
Behutsam drehte sich der Blinde Hugo um und setzte den Weg vorsichtig zur Gebrochenen Trommel fort.
•
»Seltsam«, sagte Ymor.
»Er hatte eine große Holztruhe«, fügte der Rheumatische Wa hinzu.
»Wahrscheinlich ist er Kaufmann — oder Spion.« Ymor löste ein Stück Fleisch vom Schnitzel in seiner Hand und warf es hoch. Es hatte noch nicht den Zenit der Flugbahn erreicht, als aus einer finsteren Ecke des Raums ein Schatten heransauste und nach dem Brocken schnappte.
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