Dumpfer Trommelschlag erklang auf der Seite der Trolle, als ihr Krieger die Shalyn Falah betrat. Auch er war barfuß! Ohne zu zögern, kam er auf sie zu. Mit der Linken nestelte er an seiner Maske. Als er die Mitte der Brücke erreichte, nahm er sie ab und warf sie mit lässiger Geste in den Abgrund.
Ollowain!
Emerelle traute ihren Augen nicht! Wieder griff sie sich an ihr Herz. Wie konnte es sein, dass er vor ihr stand und sie ihn nicht fühlte?
Er hob das Schwert zum Fechtergruß.
»Ollowain?« Er reagierte nicht auf seinen Namen! Was hatte Skanga ihm angetan?
»Los! Kämpfen.« Seine Stimme war verändert.
»Wer bist du?«
»Klaves. Diener in Elijas Herde. Ich trage den Dung der Echsen. Und Trolltrottel totmachen kann ich auch ...« Er wirkte plötzlich erschrocken. »Das darf ich eigentlich nicht sagen, Weißmädchen.«
Emerelle starrte ihn einfach nur an. Wie redete er? Was war mit ihm geschehen? »Komm, Weißmädchen!« Er deutete mit dem Schwert auf ihre Brust.
»Du willst mich töten? Warum? Du warst mein Schwertmeister. Erinnerst du dich denn nicht?«
Klaves runzelte die Stirn. »Ich bin Elijas Diener. Und wenn ich dich totmache, werde ich vom Diener zum Krieger. Krieger müssen keinen Echsendung mehr schleppen.« Er hatte sogar noch sein altes Schwert, bemerkte Emerelle. Sie legte ihre Hand auf den Schwertgriff. Sie konnte es nicht ...
»Du würdest mich töten, Klaves?«
»Elija hat gesagt, ich soll mit dir kämpfen. Ich bin ein guter Diener. Ich tue immer, was Elija mir sagt.«
»Und wenn ich nicht mit dir kämpfen möchte?« Er sah sie erschrocken an. »Das geht nicht. Elija hat gesagt, ich muss kämpfen. Nimm jetzt dein Schwert in die Hand. Das brauchst du zum Kämpfen!« Der Wind wehte ihr Gischt ins Gesicht und verbarg so ihre Tränen. Was hatten sie mit ihm gemacht? Er war nicht mehr Ollowain. Aber er hatte immer noch das Gesicht des Mannes, den sie liebte. Ihre Finger tasteten nach dem Albenstein unter ihrer Leinenrüstung. »Darf ich dich mit einem Stein an deiner Stirn berühren?«
Er trat einen Schritt zurück. »Nein! Wir kämpfen jetzt, Weißmädchen!« Emerelle kniete nieder. Sie hatte in ihrem Leben manches getan, das ihr schlaflose Nächte bereitet hatte. Sie hatte Unrecht geduldet, zum Wohle Albenmarks. All dies war vergebens gewesen, wenn sie nun kampflos aufgab. All die Toten der letzten Monde waren für nichts gestorben. Doch sie konnte nicht.
Sie zog ihr Schwert und legte es ihm zu Füßen. Sie wusste nicht, was geschehen war. Doch zumindest ihr Herz hatte sie nicht getäuscht. Der Ollowain, den sie gekannt hatte, war tot. Aber sie würde ihn wieder zurückholen! Sie würde alle seine Leben wieder zurückholen! »Du hast mich besiegt«, sagte sie leise.
Der Krieger sah sie verwirrt an. »Das geht so nicht. Erst muss man kämpfen. Dann siegt man.« »Stell deinen Fuß auf mein Schwert und strecke deine Waffe dem Himmel entgegen.« Er gehorchte sofort. Sie hatten ihn durch und durch zu einem Diener gemacht.
Auf Seiten der Trolle brach wildes Jubelgeschrei los. Ihr junger König und Skanga kamen den Serpentinenweg hinab. Orgrim, Ganda und andere, die Emerelle nicht kannte, folgten ihnen.
Sie wagte es nicht zurückzublicken. Sie konnte nicht in die Augen all derer sehen, die sie verraten hatte. Aber ganz gleich, wie schlecht die Trolle auch herrschen mochten, es wäre Frieden. Das Massaker war abgewandt.
»Darf ich mit meinem Stein deine Stirn berühren?« Sie hatte alles aufgegeben für ihn. Nun würde sie ihn zurückholen. Kein Zauber, den Skanga wirken konnte, würde der Macht des Albensteins widerstehen!
Sie zog den Stein, der an einem dünnen Lederriemen hing, unter ihrem Leinenpanzer hervor. Ollowain beobachtete sie misstrauisch.
»Es wird nicht wehtun«, sagte Emerelle, obwohl sie sich dessen nicht sicher war. Sie berührte ihn sanft mit dem Stein an der Stirn und hauchte ein Wort der Macht. Dann griff sie in seine Erinnerungen. Sie sah ihn niederste Arbeiten verrichten, aber auch, wie er mit Melvyn kämpfte. Ganda pflegte ihn, als er verwundet war. Im Blick der Lutin konnte sie lesen, wie viel er Ganda bedeutete. Dann kamen keine Erinnerungen mehr. Mit all ihrer Macht und Wut stemmte sich Emerelle gegen den Zauber, der auf Ollowain lag. Ein Wall aus Finsternis trennte ihn von seinem Leben. Emerelle stellte sich vor, ein Rammbock zu sein. Eine Kraft, der nichts widerstehen konnte. Doch der Wall blieb unüberwindlich.
Dann dachte sie an all das Unausgesprochene. An ihre Liebe zu Ollowain, die sie niemals gelebt hatte. Sie dachte an Falrach und an all die anderen, als die Falrach seitdem wiedergeboren worden war. Falrach, der sich für sie geopfert hatte. Der selbstlose Ritter, der unter dem Prankenhieb starb, der sie hätte töten sollen.
Der Albenstein fühlte sich kalt an.
»Geh weg von ihm, Weib!« fauchte Skanga. »Er gehört zu uns! Fort mit dir! Du bist nichts mehr.«
»Beleidige Emerelle nicht.« Ollowain hob sein Schwert. »Weg mit dir!«
»Aber Jüngelchen, du gehörst zu uns.«
»Davon wüsste ich!«
Die Stimme klang vertraut in Emerelles Ohren, auch wenn sie sie sehr lange nicht mehr gehört hatte. » Falrach?«
»Wir sollten uns zurückziehen, Schwertschwester«, sagte er leise. »Das sind zu viele Trolle dort oben. Allein werden wir sie nicht aufhalten. Und hier finden wir keine Deckung, wenn sie auf die Idee kommen, Steine zu werfen.«
Das war Falrach! Unverwechselbar! Wieder hatte er sich schützend vor sie gestellt. Wo war Ollowain? Wie konnte es sein, dass sie zu Falrach vordrang, aber Ollowain nicht finden konnte?
»Was hast du getan, du hirnlose Elfenschlampe!«, schrie Skanga. Ihre Stimme klang schrill vor Angst.
Emerelle blickte zurück. Doch sie konnte nichts sehen.
»Sie sind gekommen, Verfluchte! Sie haben das Tor gefunden, das du ihnen geöffnet hast!«
Wie Kadlin zu Luth ging
»Als dann aber Ulric Trolltöter in die Tiefen versank und hundert der schrecklichsten Trolle mit sich in den Tod riss, da brach ein großer Streit aus. Von den Kindern des Elfenjarls Alfadas war nur mehr Kadlin geblieben, denn den Wolfselfen, den er in Albenmark gezeugt hatte, hatte noch niemand gesehen und wollte auch niemand sehen. Nun erhob sich aber ein großes Geschrei unter den Kriegern im Fjordland, denn sie wollten nicht von einem Weibe regieret sein. Kadlin aber, in der das heiße Blut ihres Großvaters stark war, nahm die Axt und sagte, sie wolle zu Luth gehen, um als Einzige in ihrem Fleische in der Goldenen Halle zu sitzen, denn sie wolle lieber unter toten Helden als unter lebenden Schreihälsen verweilen. Weil Kadlin aber nicht wusste, wie sie lebend zu Luths Halle gelangen konnte, ging sie zur Allweisen Emerelle. Wie es aber mit den Allweisen so ist, so sind sie manchmal sehr zerstreut. So hatte Emerelle, als sie das letzte Mal ins Große Dunkel gegangen war, vergessen, die Pforte zu verschließen, welche die Schatten aus Albenmark fortsperrt. Es herrschte eine große Not in der Alben Mark, als Kadlin dorthin reiste. So schlimm war es um die Alben bestellt, dass Emerelle den Trollen ihre Krone schenkte, damit sie ihr halfen. Doch selbst Elfen und Trolle vereint, vermochten die Schattenkrieger aus dem Großen Dunkel nicht zu besiegen.
Kadlin, die nie aufs Maul gefallen war, versprach den Albenkindern, ihren Bruder aus den Hallen des Luth zu schicken, wenn die Elfen ihr denn dorthin verhelfen wollten. Da Emerelle, die Allweise, stets einen Weg an jeden Ort kannte, den man sich nur denken mochte, öffnete sie Kadlin ein Tor, und die Enkelin Mandreds fuhr durch den Schornstein in die Halle des Luth hinab. Und Kadlin hielt sich an ihr Wort. Sie schickte den ruhmreichen Ulric zu den Albenkindern, wo ihr Bruder so viele Schattenkrieger erschlug, dass die Überlebenden froh waren, wieder ins Große Dunkel zu flüchten.
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