Bernhard Hennen - Elfenlicht

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Als ein Heer von Trollen Albenmark bedroht, zerschneidet Emerelle, Königin der Elfen, mit der Kraft ihrer Magie einen goldenen Albenpfad. Tausende Trollkrieger stürzen ins Nichts, das Reich der Elfen scheint gerettet. Mit ihrer Tat hat Emerelle jedoch auch das goldene Netz zerstört, das einst die Alben zum Schutz ihrer Nachkommen woben. Schatten dringen ins Herzland und suchen nach Seelen, um sich diese einzuverleiben. Emerelle schickt Ollowain, ihren Schwertmeister, an der Seite einer Koboldin nach Iskendria, um die Hüter des Wissens zu befragen. Doch die Schatten lauern überall und mit ihnen eine Bedrohung, die sich bis in das Fjordland erstreckt.
Und plötzlich scheint nicht dem Schwertmeister Ollowain, sondern den Kindern des Menschenkönigs Alfadas die Schlüsselrolle im Kampf gegen den uralten Feind, der sich in den Schatten verbirgt, zuzufallen: Melvyn, dem Wolfselfen, der seinen Vater nie kennen lernte, Ulric, dem geheimnisvollen Thronerben, und der jungen Jägerin Kadlin, die nicht ahnt, welch Blut in ihren Adern fließt. Sie alle werden in ein Abenteuer verstrickt, das Menschen und Elfen vor eine schreckliche Wahl stellt, denn ein Reich ist dem Untergang geweiht — Albenmark oder Fjordland ...

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Bernhard Hennen

Elfenlicht

Für Melike und Pascal, meine Albensterne

Alle Ketten der Meinung sind für mich zerbrochen, ich kenne nur die Ketten der Notwendigkeit.

Jean-Jaques Rousseau (1712–1778)

Karten: Andreas Hancock

Erstes Buch

Der Spieler

Die letzte Grenze

In dieser Nacht noch sollten die Trolle kommen, so hieß es. Der Schwertmeister der Elfenkönigin beugte sich tief über die Mähne seines Hengstes und trieb ihn unbarmherzig voran. Es waren noch viele Meilen zur Burg.

Nichts hatte die Trolle in ihrem grausamen Wüten aufhalten können, seit sie nach Albenmark zurückgekehrt waren. Drei blutige Siege hatten diese grobschlächtigen Ungeheuer errungen, und Branbart, ihr König, hatte geschworen, Emerelle, die Herrscherin Albenmarks, zu erschlagen und aus ihrem Schädel eine Metschale für seine Festtafel fertigen zu lassen.

Verzweifelt hing der Elf seinen Gedanken nach. Alle hatten Emerelle verlassen. Und die Königin hatte gewusst, dass es so kommen würde. Die Herrschaft der Elfen würde in dieser Nacht enden. Doch wenigstens er würde an ihrer Seite sein! Dort, wo immer schon sein Platz gewesen war, wenn es galt, mit dem Schwerte für Albenmark einzutreten. Hoffentlich kam er nicht zu spät!

Ollowain blickte auf. Der Weg senkte sich in ein weites Tal und folgte dem silbern gesprenkelten Band eines Baches. Düstere Kopfweiden säumten das Ufer; wie große Perlen schimmerten die weißen Knospen auf den pfeilgeraden, jungen Ästen im Mondlicht.

Der Mond stand wie ein riesiger Schild aus gehämmertem Silber am Himmel. Sein Licht verlieh der lauen Nacht einen unheimlichen Zauber. Eine leichte Brise strich über den Hang und trieb dem Elfenritter Blütenblätter ins Gesicht. Er blinzelte und trieb den Hengst weiter an, seinem Ziel entgegen. Inmitten des weiten Tals erhob sich die Burg der Königin. Ihre schlanken Türme schienen fast bis zum Mond hinaufzureichen, in dessen Schein die weißen Mauern silbern leuchteten. Der dunkle Fels, auf dem die Burg sich erhob, verschwamm mit dem samtigen Blau der Nacht, sodass es schien, als schwebe die Festung in der Finsternis. Jahrhunderte hatte das Volk der Elfen an dieser Burg gebaut. Trotz ihrer Türme und Mauern hatte niemand geglaubt, dass sie jemals angegriffen würde, und sie war auch nicht errichtet worden, um einem Feind die Herrschaft über das Herzland abzutrotzen. Sie sollte ein Sinnbild der Vollkommenheit sein.

Obwohl Ollowain die Burg schon hunderte Male gesehen hatte, berührte ihr Anblick ihn stets aufs Neue. Es war ein Gefühl, wie es sonst nur Musik in ihm erwecken konnte, das traurige Lied einer Flöte vielleicht oder melancholisches Harfenspiel. Ein Schmerz, der sich nicht in Worte fassen ließ, süß und durchdringend.

Kein Horn kündete von seiner Ankunft, und die Öllampen, die gewöhnlich den Weg hinauf zum Burgtor in goldenes Licht tauchten, waren verloschen. Der hohle Hufklang unter dem Torbogen war der einzige Willkommensgruß, der den Schwertmeister empfing, als er in die Burg einritt.

Die Wachen waren verschwunden. Ihre Speere lehnten entlang der Mauer, so als seien die Krieger eben erst gegangen. Auf einem Sims stand ein Falrach-Tisch. Die Partie war vor dem Ende abgebrochen worden. Doch ein einziger Blick genügte, um zu erkennen, dass Schwarz auf verlorenem Posten stand. Die Königin war eingekreist in ihrer Burg, ihre Krieger standen auf dem ganzen Spielfeld verstreut.

Ollowain trieb den Hengst über den weiten Hof und dann den Marmoraufgang hinauf. Der Schwertmeister glaubte förmlich spüren zu können, wie sich das Unheil über der Burg zusammenzog. Er preschte einen Säulengang entlang. Die schweren, eisenbeschlagenen Hufe seines Schlachtrosses ließen Steinchen aus den kostbaren Bodenmosaiken splittern. Er musste Emerelle finden. Sie hatte die Burg nicht verlassen, da war er sich ganz sicher.

Das schwere Bronzetor am Ende des Ganges, das sich sonst stets wie von Geisterhand geöffnet hatte, blieb verschlossen. Es war so groß, dass nicht einmal ein Riese sein Haupt hätte neigen müssen, wollte er in die Halle dahinter treten. Fein ziselierte Bilder zeigten, wie die Alben den Letztgeborenen, den Elfen, ihre Welt anvertrauten, bevor sie für immer verschwanden. Es war eine Mahnung an alle, die den Weg zum Thronsaal beschritten. Jeder sollte sehen, wem es bestimmt war, in Albenmark zu herrschen. Doch die Trolle würden sich einen Dreck darum scheren.

Ollowain sprang aus dem Sattel. Ein Stoß genügte, um einen der Torflügel aufschwingen zu lassen. Er schlug gegen die Wand, und dumpfes Dröhnen wie ein Gongschlag schallte durch die verlassene Burg.

Der Hengst des Schwertmeisters wieherte ängstlich. Mit tänzelnden Schritten wich er vor der Schwelle der Halle zurück.

Geisterhaftes Licht erfüllte den Bannersaal. Es ließ die fernen Wände vor dem Auge des Betrachters verschwimmen und gab ihm das Gefühl, auf einem offenen Platz und nicht in einer Halle zu stehen.

Von den Emporen, die in kühnem Schwung aus dem Licht hervorragten, hingen prächtige Seidenbanner mit den Wappen der Fürsten Albenmarks: die Nixe Alvemers, der silberne Stern Carandamons, die scharlachfarbene Rose auf schwarzem Grund, die Alathaia von Langollion zu ihrem Feldzeichen erwählt hatte, und all die anderen stolzen Wappen jener, die heute nicht hier waren, um an Emerelles Seite zu stehen.

Mit fliegendem Schritt durchmaß Ollowain den Bannersaal und stieß das nächste Bronzetor auf. Die Halle, die vor ihm lag, wurde von einem großen Brunnen beherrscht. Zwischen Wasserfontänen fochten marmorne Krieger verzweifelt gegen einen Sonnendrachen von Ischemon. Eine der Kriegerinnen in dem Gefecht war Emerelle; damals war sie noch nicht Königin gewesen. Die Kampfszene zeigte den Augenblick, in dem sich Falrach opferte, um den tödlichen Hieb abzufangen, der Emerelle zu zerschmettern drohte.

Wie stets überlief Ollowain ein Schaudern, wenn er den Brunnen betrachtete. So lebensecht waren die Steinbilder, dass man erwartete, der Kampf werde jeden Augenblick mit lautem Getöse fortgeführt. Wo waren die Helden von einst geblieben?, fragte er sich bitter. Waren sie alle ins Mondlicht gegangen?

Er hatte fast das Tor zum Thronsaal erreicht, als sich das Licht in der weiten Halle wandelte. Es wurde blasser, und dann schien ein Zittern durch die Wände zu laufen. Einen Herzschlag lang wurden die Mauern der Halle sichtbar. Das helle Plätschern des Brunnens setzte aus.

Der Schwertmeister stieß das letzte Tor auf. Der Thronsaal war ein großer, kreisrunder Raum, dessen Wände hinter Kaskaden silbern schimmernden Wassers verborgen blieben. Anstelle einer Decke spannte sich der sternklare Nachthimmel über Ollowain. Gegenüber dem hohen Tor führten sieben Stufen hinauf zum Thron von Albenmark. Dort, neben dem schlichten Holzstuhl, dessen Intarsien aus Marmor und Onyx zwei untrennbar ineinander verflochtene Schlangen zeigten, stand Emerelle, die Königin der Elfen. Sie war klein und von zierlicher Gestalt, doch strahlte sie eine Kraft aus, vor der einst selbst Drachen zurückgeschreckt waren. Sie hielt sich gerade, ohne steif zu wirken; das Kinn trotzig vorgereckt, war ihr Blick auf die Mitte des Thronsaals gerichtet. Mit einer knappen Geste bedeutete sie dem Schwertmeister, zum Thron zu kommen.

Der Boden des Saals war mit einem weitläufigen Mosaik ausgelegt. Das Schmuckmotiv des Throns aufgreifend, zeigte es sieben Schlangen, die sich einander umschlingend bekämpften. Neben Marmor und Onyx hatten hier auch meerdunkle Jade, heller Türkis, purpurroter Porphyr, sonnengelber Bernstein und grausilberner Granit Verwendung gefunden. Obwohl in den Jahrhunderten, die der Palast bestand, ganze Heerscharen von Gästen und Höflingen über das Mosaik geschritten waren, hatten die Steine nichts von ihrem Glanz verloren. Ja, sie schienen auf geradezu magische Weise von innen heraus zu leuchten und ließen die Schlangen lebendig erscheinen.

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