Etwas Weißes schimmerte durch seine Schulter. Zuerst dachte ich, es wäre Knochen, und mir wurde speiübel. Aber es war kein Knochen, es war Haut. Blass wie die von T’vril, aber ohne die Flecken. Und sie bewegte sich, als sie sich durch die geschmolzene Schwärze nach oben schob.
Und dann sah ich ...
Und sah nicht.
Eine strahlende Cestalt — die mein Geist nicht sah — stand über einer formlosen schwarzen Masse — die mein Geist nicht sehen konnte — und tauchte ihre Hände immer wieder in diese Masse. Sie riss sie nicht auseinander. Sie hämmerte — schlug — brutalisierte sie in Form. Die Masse schrie und wehrte sich verzweifelt, aber die glänzenden Hände kannten keine Gnade. Sie tauchten erneut hinein und rissen Arme heraus. Sie quetschten die formlose Schwärze, bis sie Beine bekam. Sie stießen in die Mitte und zerrten einen Torso heraus. Dann, während die Hand noch bis zum Handgelenk im Bauch steckte; griff sie zu, um ein Rückgrat herbeizuzwingen. Als Letztes wurde ein Kopf hervorgerissen, der kaum menschliche Züge und eine Glatze hatte. Ansonsten war er unkenntlich. Sein Mund war offen und kreischte, in seinen Augen stand der blanke Wahnsinn, verursacht durch Schmerzen jenseits dessen, was Sterbliche ertragen konnten. Aber natürlich war dies kein Sterblicher.
Das ist es, was du willst, knurrte der Strahlende, seine Stimme ist wild, aber dies sind keine Worte, und ich höre sie nicht. Es ist Wissen, das sich in meinem Kopf befindet. Diese Abscheulichkeit, die sie erschaffen hat. Du würdest sie mir vorziehen? Dann nimm ihr »Geschenk« ... nimm es ... nimm es und vergiss nie, dass du ... das hier ... gewählt hast ...
Ich bemerkte, dass der Strahlende sogar bei der Ausführung dieser Gewalttat weinte.
Und irgendwo tief in mir drin schrie jemand, aber ich war es nicht, obwohl ich auch schrie. Und wir konnten uns kein Gehör verschaffen. Die Schreie der neu erschaffenen Kreatur, die auf dem Boden lag, waren zu laut, und ihr Leiden hatte gerade erst begonnen ...
Der Arm renkte sich mit einem Laut aus Nahadoth heraus, der mich an gekochtes Fleisch erinnerte. Dasselbe saftige, ploppen- de Geräusch ertönt, wenn man eine Haxe abreißt. Nahadoth war auf allen vieren und zitterte am ganzen Körper, als der zusätzliche Arm blindlings herumzappelte und dann Halt auf dem Boden neben ihm fand. Ich konnte jetzt sehen, dass er blass war, aber nicht das Mondweiß, das ich kannte. Dies war ein viel banaleres, menschliches Weiß. Dies war sein Tages-Ich, das sich einen Weg durch die Gottesfassade bahnte, mit der es bei Nacht bedeckt war. Es war eine grausige Parodie auf eine Geburt.
Ich bemerkte, dass er nicht schrie. Außer dem ersten, unvollkommenen Geräusch blieb Nahadoth still, obwohl sich ein anderer Körper aus seinem schälte. Das machte es irgendwie schlimmer, weil sein Schmerz so offensichtlich war. Ein Schrei hätte mein Entsetzen gemildert, aber wohl nicht seine Qual.
Viraine stand neben ihm und beobachtete ihn einen Moment, dann schloss er die Augen und seufzte.
»Das kann noch Stunden dauern«, sagte Scimina. »Es würde natürlich schneller gehen, wenn das hier echtes Sonnenlicht wäre, aber darüber kann einzig und allein der Elysiumvater verfügen. Dies ist nur eine armselige Imitation.« Sie warf Viraine einen verächtlichen Blick zu. »Mehr als genug allerdings für meine Zwecke, wie du siehst.«
Ich biss mir auf die Zähne. Auf der anderen Seite des Kreises, durch die Lichtsäule und den Nebel, der durch Nahadoths dampfendes Gottesfleisch entstanden war, konnte ich Kurue sehen. Sie sah mich einmal verbittert an und schaute dann weg. Zhakkarns Blick ruhte auf Nahadoth. So zeigten Krieger, dass sie Leiden anerkannten und respektierten; sie würde den Blick nicht abwenden. Ich ebenfalls nicht. Aber Götter, Götter!
Si’eh ging in den Lichtkreis, fing dabei meinen Blick auf und ließ ihn nicht mehr los. Das Licht konnte ihm nichts anhaben, da es nicht seine Schwäche war. Er kniete neben Nahadoth und hielt den sich auflösenden Kopf an seine Brust. Dann umschlang er mit seinen Armen die bebenden Schultern — alle drei. Während der ganzen Zeit beobachtete Si’eh mich mit einem Ausdruck, den die anderen wahrscheinlich für Hass hielten. Ich wusste es besser.
Sieh her, sagten die grünen Augen, die meinen so ähnlich waren, aber so viel älter. Schau, was wir erdulden. Und dann lass uns frei.
Das werde ich, antwortete ich aus ganzer Seele — auch aus Ene- fas. Das werde ich.
Ich wusste es nicht. Egal, was sonst noch geschah, Itempas liebte Naha. Ich hätte nie gedacht, dass sich das in Hass verwandeln könnte.
»Wie zur unendlichen Hölle kommst du darauf, dass das Hass war?«
Ich warf Scimina einen Blick zu und seufzte.
»Versuchst du, in mir so viel Übelkeit zu erregen, dass ich antworte?«, fragte ich. »Noch mehr Dreck auf dem Boden? Das ist alles, was diese Farce bringen wird.«
Sie lehnte sich zurück und hob eine Augenbraue. »Kein Mitleid für deinen Verbündeten?«
»Der Lord der Finsternis ist nicht mein Verbündeter«, fuhr ich sie an. »Wie jeder in diesem Albtraumnest mich wiederholt gewarnt hat, ist er ein Ungeheuer. Aber da er sich nicht von dem Rest von euch, der mich tot sehen will, unterscheidet, dachte ich, dass ich wenigstens seine Macht ausnutzen kann, um meinem Volk zu helfen.«
Scimina sah skeptisch aus. »Und welche Hilfe hat er dir ange- deihen lassen? Du hast dich doch in der nächsten Nacht in Men- chey bemüht.«
»Keine, die Dämmerung kam zu schnell. Aber ...« Ich zögerte an dieser Stelle, dachte an die Arme meiner Großmutter und den Geruch der feuchten Darr-Luft in jener Nacht. Ich vermiss- te sie wirklich und Darr und den ganzen Frieden, den ich dort einmal gekannt hatte. Vor Elysium. Vor dem Tod meiner Mutter.
Ich senkte meine Augen und ließ meinen echten Schmerz durchscheinen. Nur das würde Scimina beschwichtigen.
»Wir haben über meine Mutter gesprochen«, sagte ich ein wenig leiser. »Und andere Dinge, persönliche Dinge — nichts davon wäre irgendwie wichtig für dich.« Mit diesen Worten sah ich sie wütend an. »Und selbst wenn du diese Kreatur die ganze Nacht hindurch röstest, werde ich dir diese Dinge nicht mitteilen.«
Scimina schaute mich lange an. Ihr Lächeln war verschwunden, ihre Augen analysierten mein Gesicht. Schließlich gab Nahadoth zwischen uns einen weiteren Ton von sich. Durch seine Zähne hindurch knurrte er wie ein Tier. Dann folgten noch mehr furchtbare, reißende Geräusche. Ich verhinderte, dass ich mich darum scherte, indem ich Scimina hasste.
Schließlich seufzte sie und ging von mir weg. »So sei es denn«, sagte sie. »Es war ein kläglicher Versuch, Cousine. Dir muss doch klar gewesen sein, dass er so gut wie keine Aussicht auf Erfolg hatte. Ich werde mich mit Gemd in Verbindung setzen und ihm sagen, dass er den Angriff fortsetzen soll. Sie werden eure Hauptstadt übernehmen und jeglichen Widerstand im Keim ersticken. Obwohl ich ihnen sagen werde, dass sie dein Volk momentan noch nicht abschlachten sollen — jedenfalls nicht mehr als nötig.«
Jetzt lagen die Karten also auf dem Tisch: Ich musste ihr zu Willen sein, oder sie würde die Mencheyev loslassen, um mein Volk auszulöschen. Ich runzelte die Stirn. »Welche Garantie habe ich, dass du sie nicht trotzdem töten wirst?«
»Gar keine. Nach dieser Torheit bin ich versucht, das aus reiner Bosheit zu tun. Aber wenn ich so darüber nachdenke, ist es mir glaube ich lieber, dass die Darre überleben. Ich vermute, dass ihr Leben wenig angenehm sein wird. Das ist Sklaverei selten — obwohl wir das natürlich anders nennen werden.« Sie warf Nahadoth einen amüsierten Blick zu. »Aber sie werden leben, Cousine, und wo Leben ist, da ist Hoffnung. Ist dir das nichts wert? Eine ganze Welt vielleicht?«
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