»Ich bin jetzt hier«, sagte ich zu ihr. »Also sag, was du willst.«
Scimina stieß ein kurzes, scharfes Lachen aus. Sie blieb die ganze Zeit nicht stehen. »Sagen, was ich will. Sie klingt so kämpferisch, nicht wahr?« Sie schaute sich in der Menge um, aber niemand antwortete ihr. »So stark. Winziges, schlecht erzogenes, lächerliches kleines Ding — was DENKST du denn, was ich will, du Närrin?« Das Letzte schrie sie mir entgegen. Sie hatte ihre Fäuste geballt, und der seltsame Stab zitterte. Ihre Haare lösten sich allmählich aus der aufwändigen Frisur, die aber immer noch schön anzusehen war. Sie sah auf exquisite Weise verrückt aus.
»Ich denke, dass du Dekartas Erbin sein willst«, sagte ich leise, »und mögen die Götter der ganzen Welt helfen, sollte das eintreten.«
Blitzschnell wandelte Scimina sich von der kreischenden Irren zu lächelndem Charme. »Stimmt. Und ich wollte mit deinem Land anfangen und es gründlich vom Angesicht der Erde löschen. Ich hätte damit inzwischen sogar schon angefangen, wenn das Bündnis, das ich in dieser Region so sorgfältig eingefädelt hatte, nicht gerade dabei wäre, zu zerfallen.« Sie marschierte weiter, warf mir über die Schulter einen Blick zu und drehte den Stab vorsichtig in ihren Händen. »Ich dachte zunächst, das Problem wäre die alte Hochnordfrau, die du im Salon getroffen hast. Aber ich habe das nachgeprüft — sie hat dir nur Informationen gegeben, die meisten davon unnütz. Also hast du etwas anderes angerichtet. Würdest du mir das erklären?«
Mir gefror das Blut in den Adern. Was hatte Scimina mit Ras Onchi gemacht? Dann schaute ich Si’eh an, der sich ein wenig erholt hatte, obwohl er immer noch schwach und von Schmerzen benebelt wirkte. Er heilte nicht, was keinen Sinn ergab. Ich hatte Nahadoth mitten ins Herz gestochen, und das war für ihn kaum ein Ärgernis gewesen. Trotzdem hatte es eine Zeit gedauert, bis er heilte, erkannte ich, und mir wurde eiskalt. Vielleicht, wenn man ihn eine Zeit lang in Ruhe ließ, würde Si’eh sich auch erholen. Es sei denn ... Itempas hatte die Enefadeh in menschlicher Form gefangen, damit sie alle Schrecken der Sterblichkeit erlitten. Schloss das den Tod ein? Schweiß brannte in den Schnitten an meinen Händen. Es gab Dinge, die war ich nicht bereit zu erdulden.
Aber dann erzitterte der Palast. Einen Moment lang fragte ich mich, ob diese Erschütterung eine neue Bedrohung darstellte, aber dann fiel es mir ein.
Sonnenuntergang.
»Oh, Dämonen«, murmelte Viraine in dem allgemeinen Schweigen. Kurz darauf wurden ich und jede Person in dem Raum von einem bitterkalten, schmerzhaften Windstoß zu Boden geschleudert.
Ich brauchte einen Moment, um mich wieder hochzukämpfen. Als es mir gelungen war, war mein Messer weg. Um mich herum herrschte Chaos — ich hörte schmerzerfülltes Stöhnen, Flüche und Alarmrufe. Als ich einen Blick Richtung Aufzug warf, konnte ich einige Menschen sehen, die sich durch die Öffnung zwängten und versuchten, sich hineinzudrängeln. Aber all das war vergessen, als ich in die Mitte des Raumes schaute.
Es war schwer, Nahadoths Gesicht zu sehen. Er kauerte bei Si’eh, sein Kopf war gebeugt, und die Schwärze seiner Aura war so, wie sie in meiner ersten Nacht in Elysium gewesen war — so finster, dass es im Kopf schmerzte. Ich konzentrierte mich auf den Boden, wo die Ketten, die Si’eh gefangen gehalten hatten, zerschmettert lagen. Ihre Glieder waren mit Reif überzogen. Si’eh selber konnte ich nicht sehen — nur eine seiner Hände, die schlaff herunterhing. Dann legte sich Nahadoths Umhang um ihn, und die Dunkelheit verschluckte ihn.
»Scimina.« Da war wieder dieses Hohle, Hallende in Nahadoths Stimme. Hatte der Wahnsinn ihn wieder? Nein, das war schlicht und einfach Wut.
Aber Scimina, die auch auf den Boden geschleudert worden war, stellte sich auf ihre stöckelbeschuhten Füße und nahm sich zusammen. »Nahadoth«, sagte sie, ruhiger, als ich es mir hätte vorstellen können. Ihre Waffe war ebenfalls verschwunden, aber sie war eine wahre Arameri und hatte keine Angst vor dem Zorn des Gottes. »Wie nett, dass du dich auch schon zu uns gesellst. Setz ihn ab.«
Nahadoth stand da und warf seinen Umhang zurück. Si’eh, der jetzt ein junger Mann war — in einem Stück, bekleidet und hellwach — stand neben ihm und starrte Scimina trotzig an. Irgendwo tief in mir ließ die Anspannung etwas nach.
»Wir hatten eine Abmachung«, sagte Nahadoth, und in seiner Stimme lag immer noch Mordlust.
»In der Tat«, sagte Scimina, und jetzt war es ihr Lächeln, das mir Angst machte. »Du und Si’eh, ihr werdet beide diesem Zweck dienen. Knie nieder.« Sie zeigte auf die Blutlache und die leeren Ketten.
Das Gefühl der Macht schwoll für einen kurzen Moment in dem Raum an, so wie Druck sich auf ein Trommelfell legt. Die Wände knarrten. Ich erschauerte und fragte mich, ob dies das Ende war. Scimina hatte einen Fehler gemacht, hatte eine Lücke gelassen, und jetzt würde Nahadoth uns alle wie Insekten zerquetschen.
Aber dann bewegte Nahadoth sich zu meinem Entsetzen von Si’eh weg und ging in die Mitte des Raums. Er kniete sich hin.
Scimina drehte sich dorthin um, wo ich immer noch halb auf dem Boden lag. Beschämt stand ich auf. Ich war überrascht zu sehen, dass wir immer noch Zuschauer hatten, wenn auch wenige. T’vril, Viraine, eine Handvoll Diener und etwa zwanzig von hohem Geblüt. Ich vermute, dass die von hohem Geblüt sich von Seiminas Furchtlosigkeit inspirieren ließen.
»Das wird dir eine Lehre sein, Cousine«, sagte sie in dem süßen, höflichen Ton, den ich so sehr hasste. Sie nahm ihre Wanderung wieder auf und beobachtete Nahadoth mit einem Ausdruck, der beinahe begeistert war. »Wenn du hier in Elysium aufgewachsen wärest oder wenn deine Mutter dich vernünftig erzogen hätte, dann würdest du das wissen ... aber erlaube mir, zu erklären. Es ist schwer, einen Enefadeh zu verletzen. Ihre menschlichen Körper reparieren sich ständig und schnell, dank des Wohlwollens unseres Vaters Itempas. Aber sie haben Schwächen, Cousine, man muss sie nur verstehen. Viraine.«
Viraine war ebenfalls aufgestanden, obwohl er sein linkes Handgelenk zu schonen schien. Er sah Scimina misstrauisch an. »Ihr übernehmt bei Dekarta die Verantwortung?«
Blitzschnell drehte sie sich zu ihm um. Wäre der Stab noch in ihrer Hand gewesen, hätte Viraine eine tödliche Wunde erleiden können. »Dekarta wird in einigen Tagen tot sein, Viraine. Er ist es nicht, vor dem du dich fürchten solltest.«
Viraine gab nicht nach. »Ich tue nur meine Arbeit, Scimina, und weise Euch auf die Konsequenzen hin. Es könnte Wochen dauern, bevor er wieder einsatzfähig ist ...«
Scimina gab ein Geräusch primitiver Frustration von sich. »Sehe ich so aus, als ob mich das kümmert?«
Einen spannungsgeladenen Moment lang standen die beiden sich gegenüber, und ich dachte wirklich, dass Viraine eine Chance hatte. Sie waren beide Vollblut-Arameri. Aber Viraine war nicht in der Linie der Thronfolger, Scimina aber war es — am Ende hatte Scimina recht. Dekartas Wille zählte nicht mehr.
Ich schaute zu Si’eh, der Nahadoth anstarrte. Auf seinem viel zu alten Gesicht lag ein nicht zu deutender Ausdruck. Beide waren Götter, die älter waren als das Leben auf der Erde. Ich konnte mir die Spanne einer solchen Existenz nicht vorstellen. Ein Tag voller Schmerzen war vielleicht nicht von Bedeutung für sie — aber für mich.
»Genug«, sagte ich leise. Das Wort war in der ganzen Arena zu hören. Viraine und Scimina schauten mich überrascht an. Si’eh wirbelte ebenfalls herum und starrte mich verwirrt an. Und Nahadoth ... nein. Ich konnte ihn nicht ansehen. Er würde mich für das hier als schwach ansehen.
Nicht schwach, ermahnte ich mich. Menschlich. Wenigstens bin ich das noch.
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