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Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien
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ISBN 978-3-7117-2103-7
eISBN 978-3-7117-5439-4
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Thomas Sautnerwurde 1970 in Gmünd geboren, heute lebt er im nördlichen Waldviertel sowie in Wien. Neben zahlreichen Essays und Erzählungen erschienen im Picus Verlag seine Romane »Fuchserde«, »Milchblume«, »Die Älteste«, »Das Mädchen an der Grenze« und 2019 »Großmutters Haus«. www.thomas-sautner.at
THOMAS SAUTNER
ROMAN
PICUS VERLAG WIEN
immerwährend sei das Leben
immerwährend euch ein Vielleicht
und nur nachts werdet ihr
Augen haben
und nur wenn ein Stern steht, es sehen
TARIMOKO SON
Wir vergessen, dass das ,
was wir nicht getan haben ,
wir auch nicht gewesen sind .
FERNANDO PESSOA
Über den Autor Thomas Sautner wurde 1970 in Gmünd geboren, heute lebt er im nördlichen Waldviertel sowie in Wien. Neben zahlreichen Essays und Erzählungen erschienen im Picus Verlag seine Romane »Fuchserde«, »Milchblume«, »Die Älteste«, »Das Mädchen an der Grenze« und 2019 »Großmutters Haus«. www.thomas-sautner.at
PROLOG
ERSTER TEIL
- Kapitel 1 -
- Kapitel 2 -
- Kapitel 3 -
- Kapitel 4 -
- Kapitel 5 -
ZWEITER TEIL
- Kapitel 1 -
- Kapitel 2 -
- Kapitel 3 -
- Kapitel 4 -
- Kapitel 5 -
- Kapitel 6 -
- Kapitel 7 -
- Kapitel 8 -
- Kapitel 9 -
- Kapitel 10 -
DRITTER TEIL
- Kapitel 1 -
- Kapitel 2 -
- Kapitel 3 -
- Kapitel 4 -
- Kapitel 5 -
- Kapitel 6 -
VIERTER TEIL
- Kapitel 1 -
- Kapitel 2 -
- Kapitel 3 -
- Kapitel 4 -
- Kapitel 5 -
- Kapitel 6 -
- Kapitel 7 -
- Kapitel 8 -
FÜNFTER TEIL
- Kapitel 1 -
- Kapitel 2 -
- Kapitel 3 -
- Kapitel 4 -
- Kapitel 5 -
- Kapitel 6 -
- Kapitel 7 -
- Kapitel 8 -
Danksagungen
Das Leben ist ein fremder Ort, weit aus der Zeit. Bis es dich unversehens packt, mitreißt und in eine Gegenwärtigkeit schießt, die dein Innerstes nach außen kehrt, dein Herz rasen lässt, dich an Neuland schwemmt.
»An Neuland wie einen Lurch?«
»Oh ja, wie einen Lurch. Einen, der japsend froschig erwacht und um sich blickt und staunt, als wär’s sein erster Tag, und der die neue Welt vor lauter Glück gar nicht glauben kann.«
So blödelten wir, doch das war später, als wir einander schon besser kannten. Zuvor steckten wir noch in einer anderen Atmosphäre fest, lief es noch so: »Ein Froschmännchen denkt vierundsechzigmal am Tag an Sex, ein Froschweibchen einmal öfter.« Wie beiläufig sagte er das so dahin. Als hätte er zufällig einmal mitgezählt! Ich beließ den Blick auf dem Spiegel des Teichs, umschlang meine zur Brust gezogenen Knie und überlegte einen Konter.
»Der Mensch«, sagte ich und sah ihn an, »ist die einzige Tierart, die so tut, als dächte sie überhaupt nicht daran. Ein Menschenweibchen trifft auf ein Menschenmännchen, denkt an Sinnlichkeit und beginnt in der Sekunde danach ein Gespräch übers Wetter. Oder ein Menschenmännchen: trifft auf ein Menschenweibchen und erzählt irgendwelche Fantasiegeschichten über Frösche.«
Die Parade saß. Er blickte mich stutzig an, machte »hm« und schwang sich auf die Beine.
Lange saß ich allein. Über mir stand der zunehmende Halbmond und wunderte sich kein bisschen.
An jenem Abend war ich seit etwa zwei Wochen in der Gegend. Seit zwei Wochen auf Recherche für einen Roman, von dem ich noch nicht wusste, ob ich ihn schreiben würde. Begonnen hatte es mit diesem Brief.
Sehr geschätzte Aliza Berg!
Erlauben Sie, dass ich sofort zu meinem Anliegen komme. Mein Wunsch ist, Sie mögen in meinem Auftrag, doch in völliger literarischer Freiheit, einen Roman schreiben. Zwei Bitten erlaube ich mir zu äußern. Der Roman soll das Leben zum Thema haben. Ist das nicht ohnehin das Größtmögliche, das sich eine Schriftstellerin vornehmen kann, liebe Aliza Berg? Und ist es nicht auch so, dass Literatur geradezu die Pflicht hat, aufs Ganze und gegen jede Vernunft immer nur aufs Ganze zu gehen? Die höchsten Gipfel, die hellsten Himmel? Das Leben – seine Geheimnisse, die offenkundigen und die verborgenen .
Ich kenne und liebe Ihren Roman »Selatura«, daher bin ich gewiss, dass Sie, geschätzte Aliza Berg, mehr als nur ausreichend Verstand und Gefühl mitbringen für dieses Vorhaben, und darüber hinaus etwas Entscheidendes: einen frischen, unvoreingenommenen Blick .
Beiliegend finden Sie eine Landkarte, und damit komme ich zu meiner zweiten Bitte. Mein Wunsch ist, dass Sie das Leben exemplarisch anhand der auf dieser Karte markierten Region und aller ihrer Bewohner beschreiben, dass Sie dem Leben hinter die Kulissen blicken, es erforschen, gleichsam mit Mikroskop und Teleskop, es mit unbestechlichen Augen wie neu entdecken – und damit womöglich erstmals wahrhaftig .
Sehr geschätzte Aliza Berg, Geld spielt in dieser wichtigen Sache keine Rolle, es wäre mir eine Ehre, die Sie mir hoffentlich gewähren, mich gebührend für Ihre Arbeit zu bedanken. Vorerst habe ich mir erlaubt, einen fünfstelligen Geldbetrag auf Ihr Konto zu überweisen. Sie alleine entscheiden, ob es sich dabei um eine erste Anzahlung handelt oder – sollten Sie zu meinem Bedauern kein Interesse für dieses Romanprojekt hegen – um ein Geschenk, eine symbolische Wertschätzung Ihres bisherigen literarischen Werkes .
Zuletzt verzeihen Sie bitte, dass ich meinen Namen nicht nenne. Er spielt keine Rolle, nie spielen Namen eine Rolle, nur das Werk zählt, nur das Leben. Doch das, liebe Aliza Berg, wissen Sie wohl besser als jede andere .
Hochachtungsvoll!
G .
Zuerst reagierte mein Körper. Ein Schauer strich über meinen Nacken, meine Arme. Ich duckte mich.
Dieser Brief war ein Überfall, eine Grenzübertretung und: eine verführerische Möglichkeit. Der Mensch mag aus tausend widersprüchlichen Teilchen bestehen, mein draufgängerischstes war drauf und dran, die Sache im Alleingang für mich zu entscheiden. Spring! Zögere nicht! Nimm die Einladung an! Ohne Geldsorgen und Zeitdruck tun, was du ohnehin tun willst: dem Leben ins Innerste schauen, es dir schreibend unter die Haut jagen. Spring!
Dann reagierte mein Verstand: Das Ganze ist ein Scherz, irgendein Schriftstellerkollege versucht, dich zum Narren zu halten!
Ich stieg ins Onlinebanking ein.
Der Kontostand betrug zwanzigtausendsiebenhundertfünfzehn Komma zwölf. Nach dem Eingang von zwanzigtausend. Jemand hatte mir, einfach so, zwanzigtausend überwiesen!
Wie ich mich freute! Wie es mich erleichterte! Und: welchen Schauer es mir versetzte.
Wer war dieser Mensch?
Ich griff nach dem zweifach gefalteten Brief. Wer schrieb überhaupt noch Briefe? Diesmal las ich die Zeilen langsam. Erlauben Sie, dass ich sofort zu meinem Anliegen komme. Mein Wunsch ist, Sie mögen in meinem Auftrag, doch in völliger literarischer Freiheit, einen Roman schreiben . Wie direkt, wie selbstsicher! Und das in diesem altmodisch höflichen Ton: Mein Wunsch ist, Sie mögen in meinem Auftrag … Ich stellte mir den Schreiber als älteren Herrn vor. Schon beim ersten Mal, als ich die Zeilen nur überflogen hatte, war vor meinem inneren Auge das Bild dieses sonoren Herrn mit Weste und Lesebrille aufgetaucht. Und er saß in einem Ohrensessel, ja, einem Ohrensessel wie in diesen alten Krimis, und vor ihm, das musste sein, loderte Feuer im offenen Kamin. Den Brief hatte er seinem Sekretär diktiert, der ihn auf einer museumsreifen Schreibmaschine getippt hatte, mit seinen knochigen Fingern hatte er auf die Tasten eingeklopft. Tack. Tack tack, tack.
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