Guido Barbujani
Wissenschaft gegen Rassismus
Aus dem Italienischen von Edmund Jacoby
FÜR ALEXIS ASTRINAKIS, DEN GROSSEN GRIECHEN
VORWORT ZUR DEUTSCHSPRACHIGEN AUSGABE
1. Kapitel GRENZZIEHUNGEN
Worin wir uns fragen, ob es Menschenrassen gibt und was sie sein sollen
2. Kapitel MENSCHENARTEN
Worin nachgewiesen wird, dass es nur eine einzige lebende menschliche Spezies gibt, wir aber Bekanntschaft mit verschiedenen ausgestorbenen Menschenarten machen
3. Kapitel VON DER SCHÖPFUNG ZUM HUMANGENOMPROJEKT
Worin wir im Schweinsgalopp durch die Geschichte der Evolutionsbiologie und Genetik eilen
4. Kapitel WOVON WIR REDEN, WENN WIR VON RASSEN REDEN
Worin wir überlegen, was eine Rasse sein soll
5. Kapitel MENSCHENKATALOGE
Worin wir feststellen, dass es nicht nur einen Katalog der Menschenrassen gibt, sondern viele, sogar sehr viele
6. Kapitel WAS UNS DIE GENE SAGEN
Worin festgestellt wird, dass es in den Genen keine Rassen gibt
7. Kapitel MODELLE
Worin von drei Theorien zur Evolution der Menschheit die Rede ist
8. Kapitel WAS DIE GENE UNS NOCH SAGEN
Worin endlich die DNA die Bühne betritt
9. Kapitel WARUM WIR UNS NUR ALS AFRIKANER BEZEICHNEN KÖNNEN
Worin wir uns davon überzeugen, dass Afrika kein Kontinent ist wie alle anderen, und alte Knochen dabei helfen, alte Vorurteile zu widerlegen
10. Kapitel EINER STAND SCHMIERE
Worin wir Zeugen mehrerer Versuche werden, die Rassenidee wiederzubeleben
11. Kapitel »ABER WENN DIE NEGER SO WÄREN WIE ICH, WÜRDE MAN SIE DOCH WEISSE NENNEN«
Worin wir uns mit dem gesunden Menschenverstand auseinandersetzen müssen
12. Kapitel WIR SIND ALLE VERWANDT UND ALLE VERSCHIEDEN
Worin wir uns für die nächsten Folgen verabreden
DANKSAGUNG
KLEINES GLOSSAR
VORWORT
ZUR DEUTSCHSPRACHIGEN AUSGABE
Als 2006 die erste Ausgabe dieses Buches herauskam, war das Humangenomprojekt gerade abgeschlossen – was mit großem Pomp gefeiert wurde: Pressekonferenz im Weißen Haus, eröffnet von Präsident Bill Clinton, der britische Premierminister Tony Blair über Satellit zugeschaltet, und die Botschafter des Vereinigten Königreichs, Japans, Deutschlands und Frankreichs in Fleisch und Blut zugegen. Nach dreizehn Jahren Arbeit und 2,7 Milliarden ausgegebenen US-Dollars hatte ein Konsortium von 2800 Wissenschaftlern es geschafft, zum ersten Mal ein Genom, das heißt, die gesamte DNA eines Menschen, auszulesen. Genau genommen kein komplettes Genom, sondern nur 92 %. Doch auch so war das ein so gewaltiger Schritt nach vorne, dass jemand in der ersten Begeisterung mit der Erfindung des Rads verglich. »Früher dachten wir, unser Schicksal stehe in den Sternen. Jetzt wissen wir, dass unser Schicksal zum großen Teil in den Genen liegt«, erklärte etwas übertrieben – wie er das manchmal macht – der Medizinnobelpreisträger James Watson. Doch gut. Jetzt lag der Text, in dem laut Watson das Schicksal geschrieben steht, offen vor aller Augen und war gelesen worden.
Kurz, als Die Erfindung der Rassen erschien, kannten wir nur ein einziges menschliches Genom, inkomplett und mit einer ganzen Reihe von Fehlern, die mit den Jahren korrigiert werden sollten. Vor allem war es aber nur ein einziges, doch erst, wenn wir viele Menschen miteinander vergleichen, können wir versuchen zu verstehen, welche DNA-Fehler Diabetes, Krebs, Bluthochdruck, Parkinson, Alzheimer und so weiter verursachen. In den zwölf Jahren seitdem hat es einen verblüffenden technischen Fortschritt gegeben. Heute gibt es mehrere Tausend ausgelesene (der Terminus technicus ist »sequenzierte«) Genome, und viele davon sind veröffentlicht, zugänglich für jeden, der sie für wissenschaftliche Zwecke nutzen möchte. Die Zahl der Fehler beim Auslesen ist sehr zurückgegangen, die Kosten noch stärker: Es geht nicht mehr um Milliarden, sondern um weniger als eintausend Euro, und es sind nicht Heerscharen von Wissenschaftlern dabei am Werk, sondern inzwischen genügt ein einziger Techniker; und wenn man ein paar Wochen auf die Resultate warten muss, liegt dies nicht an der enormen Zahl nötiger chemischer Reaktionen und bioinformatischer Analysen, sondern daran, dass die gewaltigen Maschinerien, die die DNA auslesen, rund um die Uhr ausgelastet sind, sodass man schon ein wenig Schlange stehen muss. Kaum jemand hat vorausgesehen, wie schnell es gelingen würde, diese astromischen Zahlen von Daten zu produzieren.
Diese Wissensexplosion hat die Wissenschaft, mit der ich mich beschäftige, die Genetik, verändert. Für mehr als ein Jahrhundert mussten sich die Genetiker mit ganz wenigen Daten begnügen und haben, angefangen mit Gregor Mendel, ausgeklügelte Methoden und Kalküle entwickelt, um überhaupt etwas zu verstehen. Und plötzlich finden wir uns inmitten einer Orgie von DNA-Sequenzen wieder und haben gar nicht die Zeit, sie gründlich zu untersuchen, weil jede Woche neue publik werden. Ich habe ausgerechnet, dass in einer einzigen Ausgabe der Zeitschrift Nature Genetics , der von März 2015, das isländische Team von Kári Stefánsson mehr genetische Daten publiziert hat als die Wissenschaftlergemeinde der ganzen Welt von Mendel bis zum Juni 2000. Das ist etwas über den Daumen gepeilt, doch wenn ich mich geirrt habe, dann nur um ein Weniges.
Heute versuchen wir Genetiker, uns in diesem Überfluss von Informationen zu orientieren, doch dieser ist auch ein Labyrinth, in dem wir hin- und hergerissen sind zwischen dem erregenden Gefühl, uns in einer Ausnahmesituation zu befinden (wegen der neuen Fragen, auf die wir versuchen können, Antworten zu geben), und einem Gefühl der Übersättigung (weil wir nicht die Zeit haben, alles Neue zu verdauen). Es ist noch zu früh, eine Bilanz zu ziehen. Ich würde aber sagen, dass einerseits Watsons Voraussagen sich nicht bewahrheitet haben: Heute kennen wir zwar seine gesamte DNA (ja, Watsons Genom, das 2008 sequenziert worden ist), doch wir sind nicht in der Lage, daraus auf sein Gewicht und seine Größe zu schließen, ganz zu schweigen von viel komplizierteren Dingen wie seinem Blutdruck, seinem Infarktrisiko oder – was das Komplizierteste ist – seine Intelligenz (für die es im Übrigen keine befriedigende Definition gibt).
Aber ich möchte andererseits auch nicht zu pessimistisch erscheinen. Genome lesen zu können, erst eines und dann viele weitere, ist und bleibt eine unverzichtbare Methode, um viele grundlegende Fragen der Biologie beantworten zu können. Zweifellos haben wir die Schwierigkeiten unterschätzt, und der eine oder die andere hat sich vorgemacht, die Interpretation der Daten könne leicht sein; doch jetzt wissen wir wenigstens, dass Genome allein nicht genügen und dass wir ordentlich nachdenken müssen, um etwas zu verstehen. Wir sind auf dem rechten Weg, aber wir haben noch nicht einmal die Hälfte der Strecke hinter uns.
Im Augenblick also verfügen wir über eine gigantische Fotografie – vielleicht wäre Mosaik die richtige Metapher – der genetischen Differenzen, die jeden von uns gegenüber seinen Mitmenschen zu einem anderen machen. Auch wenn es noch nicht die spektakulären Fortschritte in der Diagnose und der Verhütung von Krankheiten gibt, die sich manch einer erhofft hat, können wir viele andere Dinge mit einer Genauigkeit untersuchen, die vor zwölf Jahren noch unvorstellbar war: wie die Körperzellen funktionieren, wie sehr wir uns genetisch voneinander unterscheiden und durch welche Ereignisse diese Differenzen sich akkumuliert haben.
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